Berlin. Die neuen Messgeräte sollen helfen, Energie zu sparen und die Netze zu stabilisieren. Experten bezweifeln jedoch die Wirksamkeit.
Mit „intelligenten Stromzählern“ will die Bundesregierung die Energiewende voranbringen. Die große Koalition hat am Mittwoch den Laufplan für die Einführung beschlossen. Unmittelbar betroffen sind Unternehmen oder Privathaushalte, die mehr als 6000 Kilowattstunden Strom im Jahr verbrauchen. Für sie soll das Messsystem ab 2017 beziehungsweise 2020 Pflicht werden. Für Einbau und Betrieb müssen die Stromkunden zahlen. Verbraucherschützer üben Kritik. Bundestag und -rat müssen noch zustimmen.
Was sind intelligente Stromzähler?
Die „Smart Meter“ genannten, ans Internet angebundenen Geräte messen regelmäßig den Stromverbrauch und melden die Daten an den Netzbetreiber. Sie sind eine Weiterentwicklung der digitalen Stromzähler, die auch heute schon genaue Daten über Verbräuche anzeigen, diese aber nicht weiterleiten. Seit 2010 sind „Smart Meter“ für Neubauten bereits vorgeschrieben.
Welchen Nutzen sollen sie haben?
Stromkunden bekommen einen besseren Überblick über ihren Verbrauch, zum Beispiel in Form von tagesaktuellen oder monatlichen Verbrauchsprofilen. Mithilfe der Daten und tageszeitabhängiger Tarife können sie Energie und Geld sparen. Entscheidender aber ist der Nutzen für Stromanbieter und Netzbetreiber. Die Digitalisierung des Strommarkts soll die Energiewende stützen, indem sie unter anderem die Netzauslastung planbarer macht.
Warum regelt die Bundesregierung die Einführung per Gesetz?
Zunächst folgt die Regierung mit dem Gesetz einer EU-Richtlinie, die vorschreibt, bis zum Jahr 2020 „80 Prozent der Endverbraucher an intelligente Messsysteme“ anzuschließen. Diese Vorschrift gilt aber nur, wenn sich Kosten und Nutzen die Waage halten. Weil einer Studie zufolge daran Zweifel bestehen, hat das zuständige Wirtschaftsministerium den Plan verworfen, alle Haushalte mit den neuen Zählern auszustatten. Klein- und Durchschnittsverbraucher würden unzumutbar finanziell belastet, heißt es in einer Analyse. Also hat sich der Gesetzgeber zunächst auf Großverbraucher konzentriert und die Kosten gedeckelt.
Wer muss die Zähler einbauen, und wie wird das ablaufen?
Wer mehr als 10.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr verbraucht, muss ab 2017 die Zähler umstellen. Das sind vor allem Unternehmen und Gewerbetreibende. Ab 2020 folgen die Verbraucher von mehr als 6000 Kilowattstunden. Laut einer Rechnung der Energieagentur NRW verbraucht ein vierköpfiger Haushalt im Schnitt 4500 Kilowattstunden Strom im Jahr. Wird das Wasser mit Strom erhitzt, verbraucht er 6200. Dieser Haushalt wäre zur Umstellung verpflichtet. Ebenfalls verpflichtet sind Stromerzeuger – etwa Betreiber einer Solarstromanlage – mit einer installierten Leistung von mehr als sieben Kilowatt. Zuständig für die Umstellung der Zähler sind die Netzbetreiber, in vielen Fällen sind das die örtlichen Stadtwerke.
Was kostet das Umstellen?
Installation und Messbetrieb kosten Gebühren. Im Gesetz sind nach Verbrauch gestaffelte Preisobergrenzen definiert. Sie reichen von etwa 20 bis 100 Euro pro Jahr. Die Kosten muss der Stromkunde zahlen.
Was sagen Verbraucherschützer?
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) nennt den Anschluss von Millionen Kunden an smarte Stromzähler unnötig. Für die Energiewende bringe das keinen Nutzen, so vzbv-Energieexpertin Marion Jungbluth. Auch das „Büro für Technikfolgenabschätzung“ beim Deutschen Bundestag schrieb in einem Bericht über „moderne Stromnetze“: Es sei nicht „erforderlich, die Verbrauchsdaten jedes einzelnen Haushalts zu jeder Zeit zu kennen. Die aggregierten Daten eines Straßenzugs oder Quartiers würden völlig ausreichen“. Diese Daten könnten Ortsnetztransformatoren liefern.
„Für Kunden hat das Gesetz sogar Nachteile“, sagt der vzbv: Es öffne Wohnungsunternehmen und privaten Vermietern die Hintertür für eine „günstige“ Umstellung. „Mieter können sich nicht gegen einen vom Vermieter veranlassten Einbau der Geräte wehren. Und damit auch nicht gegen die entstehenden Kosten“, kritisiert der Verband. Auch die Netzbetreiber könnten Kleinverbraucher in Eigenregie mit „Smart Metern“ ausstatten.
Einer Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums zufolge sind die Einsparpotenziale für Kunden durch intelligente Stromzähler gering: drei Euro pro Jahr für einen Ein-Personen-, 15 Euro für einen Drei-Personen und etwa 80 Euro für einen Sieben-Personen-Haushalt.
Was sagen Wissenschaftler?
Wissenschaftler des Instituts für Theoretische Physik der Universität Bremen haben den massenhaften Einsatz intelligenter Zähler am Rechner simuliert. Es entstünde ein neues Segment am Strommarkt, in dem es „chaotisch, wild und zappelig“ zugehen könne, schreiben die Physiker in der US-Physikzeitung „Physical Review“. Die Stromnetze könnten extrem belastet werden und sogar zusammenbrechen. „Der massenhafte Einsatz ist nicht sorgfältig bis zum Ende durchdacht.“ Die Versorger müssten auf mögliche Extreme aufmerksam gemacht werden.
Wie sehen Energieunternehmen das Thema?
Das größte Pilotprojekt startete der Energiekonzern RWE 2008 in Nordrhein-Westfalen. In Mülheim wurden rund 100.000 Haushalte mit digitalen Stromzählern ohne Internetverbindung ausgestattet. Das Projekt verlief schleppend und wurde 2012 abgeschlossen. Ab 2017 will RWE in großem Maßstab intelligente Messsysteme installieren. Auf Nachfrage wollte der Konzern keine konkreten Zahlen bestätigen. In der Vergangenheit hatte er angegeben, 4,5 Millionen Stück ausliefern zu wollen.