Kapstadt. Ein Jahr nach Beginn der Ebola-Krise kritisieren Helfer vor allem die Weltgesundheitsorganisation. Epidemie noch längst nicht beendet.
Das Versagen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde nie deutlicher als an jenem Tag im Juli 2014. WHO-Generaldirektorin Margaret Chan empfing Joanne Liu, die internationale Präsidentin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF). „Die Ebola-Epidemie ist außer Kontrolle“, warnte Liu. Chan antwortete, Liu solle doch nicht derart pessimistisch sein. „Ich bin nicht pessimistisch, Dr. Chan“, sagte Liu, „ich bin nur realistisch.“
Sie hatte recht. 10.200 Tote hat das Virus bislang gefordert, 24.000 Menschen wurden infiziert, die meisten davon in Liberia, Guinea und Sierra Leone. Den ersten Fall gab es wohl schon im Dezember 2013. Doch erst am 23. März 2014 gab die WHO offiziell den ersten Ebola-Ausbruch in Westafrika bekannt. Was folgte, habe „schonungslos offengelegt, wie ineffizient und langsam die internationalen Gesundheits- und Hilfssysteme auf Notfälle reagieren“, sagte Liu nun anlässlich der Veröffentlichung eines MSF-Berichts.
Die Hilfsorganisation sieht die WHO in der Hauptrolle in einer „Koalition der Untätigen“. Denn seitdem MSF im März vor „einem Ausbruch von beispielloser geografischer Verbreitung“ gewarnt hatte, wurde die Bedrohung über Monate hinweg nicht nur von betroffenen Regierungen, sondern auch der WHO heruntergespielt. Dort sprach man im April, als bereits über 100 Menschen gestorben waren, weiterhin von „sporadischen Fällen“. Erst nach weiteren vier Monaten, als bereits über 1000 Menschen gestorben waren, rief die WHO einen internationalen Gesundheitsnotfall aus. Zu spät.
Die geografisch ungünstige Lage des Ausbruchs in der Grenzregion von Sierra Leone, Guinea und Liberia trug zur raschen Verbreitung des Virus bei. Auf dem Gelände aller drei Länder lebt der Stamm der „Kissi“, der das Gebiet ungeachtet der Landesgrenzen nutzt. Das trug dazu bei, dass sich die Epidemie fast gleichzeitig in drei der weltweit strukturschwächsten Länder ausbreiten konnte. Die Gesundheitssysteme kollabierten binnen weniger Wochen: In Sierra Leone gab es schon vor dem Ausbruch lediglich einen Arzt pro 50.000 Einwohner.
Doch wer das als einzige Erklärung gelten lasse, mache es sich zu einfach, so MSF. Das Ausmaß der Katastrophe sei auf das Versagen zahlreicher Institutionen zurückzuführen. Dazu zählten lange auch die Regierungen von Guinea und Sierra Leone. Anfang Mai sorgte sich Guineas Präsident Alpha Conde mehr um abgeschreckte Investoren als um das Wohl seines Volkes. Er warf MSF vor, die Situation bewusst übertrieben darzustellen, um zusätzliche Spenden zu bekommen. In Sierra Leone lehnte die Regierung über Monate hinweg Hilfe ab und wies die WHO an, lediglich Ebola-Tote zu melden, die in einem akkreditierten Labor positiv getestet wurden. Dabei wurde eine große Zahl von Ebola-Patienten ignoriert, die vor dem Erreichen der Klinik starben.
Mit den komplizierten Tests im Labor war die US-Firma „Metabiota“ beauftragt, die nach MSF-Angaben zahlreiche offensichtliche Ebola-Fälle übersehen haben soll. Als die Regierung schließlich MSF zu Hilfe rief, habe das Unternehmen Akten verweigert, die zur Ermittlung möglicher Kontakte von erkrankten Patienten hätten beitragen können. Die Firma verteidigte sich: Sie dürfe „wegen internationaler und nationaler Abkommen“ Daten lediglich an die Behörden der betroffenen Länder weitergeben.
MSF gilt als die mit Abstand aktivste Hilfsorganisation beim Kampf gegen die Epidemie. Dennoch wird in dem Bericht selbstkritisch festgestellt, dass auch intern schon zu einem früheren Zeitpunkt mehr Ressourcen hätten mobilisiert werden sollen.
Die WHO hatte im Januar zugegeben, zu spät reagiert zu haben. Es soll eine „schnelle Eingreiftruppe“ gebildet werden, um künftig rascher reagieren zu können. Zwar darf die einst auf Druck Chinas installierte Chan ihren Posten behalten, doch es wurde eine fähige Ärztin aus Botswana zur Direktorin für Afrika erklärt.
Ihr Versprechen: Die Posten in den Regionalvertretungen sollen mehr auf Grundlage von Kompetenz und weniger aus politischen Erwägungen vergeben werden. Oft agieren die regionalen WHO-Vertreter allzu sehr auf Linie mit den gastgebenden Ländern.
In Guinea ist das WHO-Büro in einem Gebäude mit dem Gesundheitsministerium untergebracht und folgte der Augen-zu-Taktik von Präsident Alpha Conde. Sogar die Bitte des WHO-Hauptquartiers, ein Ebola-Expertenteam beim Antrag von Visa zu unterstützen, wurde verweigert.
Auch der Ebola-Beauftragte der Uno, Ismail Ould Ahmed, gab Fehler zu. Auf Ratschläge habe man mitunter „arrogant“ reagiert, sagte Ahmed gegenüber der „BBC“. Allerdings habe die internationale Gemeinschaft von diesen Fehlern gelernt. „Ich bin ziemlich sicher, dass Ebola Ende August verschwunden sein wird“, sagte er.
Das ist keineswegs garantiert. Sowohl WHO als auch Hilfsorganisationen warnen davor, die Epidemie für beendet zu erklären. Noch immer gibt es jede Woche mehr als 100 Neuinfektionen, und diese Zahl ist seit Januar nicht mehr gesunken. Darunter sind auch immer wieder Patienten, bei denen unklar ist, wie sie sich angesteckt haben.
In Guinea stieg die Zahl der Patienten zuletzt sogar an, in Sierra Leone ist besonders der Westen des Landes weiterhin betroffen. Und in Liberia, wo es landesweit zwei Wochen lang keinen neuen Ebola-Fall gegeben hatte, wurde am 20. März eine Patientin in Monrovia positiv getestet. Eine deutliche Erinnerung, dass die Epidemie jederzeit wieder aufflammen kann.