Dr. Stefan Schmiedel, Tropenmediziner am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, berichtet von seinem Hilfseinsatz in einem Behandlungszentrum im westafrikanischen Sierra Leone.
Hamburg. Ebola-Kranke in Sierra Leone zu behandeln – das heißt oft, machtlos zu sein, längst nicht alles tun zu können, was medizinisch möglich wäre. „Ich habe Menschen gesehen, die entsetzlich leiden mussten“, sagt Dr. Stefan Schmiedel. „Aber meistens gelang es gerade so, eine Basisbehandlung durchzuführen. Essen und Flüssigkeit zuführen, Schmerzmittel und Antibiotika geben – mehr ging nicht“, erzählt der 47-Jährige. Es habe Tage gegeben, an denen bis zu 15 Patienten eingeliefert wurden und fast ebenso viele starben. „Das mitzuerleben und aushalten zu müssen, war eine große Belastung.“
Schmiedel, leitender Tropenmediziner am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), arbeitete im Oktober und November ehrenamtlich 20 Tage lang in einem Ebola-Behandlungszentrum in Kailahun, einer Stadt im Osten von Sierra Leone. Vor drei Wochen kehrte er nach Deutschland zurück. Am Dienstag berichtete Schmiedel am UKE von seinen Erlebnissen.
Die Klinik in Kailahun, bestehend aus 100 Betten, die in Zelten untergebracht sind, ist eine von vier Hilfseinrichtungen, die die Organisation Ärzte ohne Grenzen in Sierra Leone aufgebaut hat. Das Land ist zum Zentrum der Ebola-Epidemie in Westafrika geworden: 7897 bestätigte Fälle registrierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis zum 10. Dezember, mehr noch als in Liberia (7719 Fälle). Während die Fallzahlen in Liberia zuletzt zurückgingen, stiegen sie in Guinea, wo Ebola zuerst ausbrach, und auch in Sierra Leone weiter an.
„Es ist ein Land, das am Boden liegt, schwer gebeutelt von dieser Epidemie“, erzählt Schmiedel. „Ebola ist dort noch längst nicht unter Kontrolle“, sagt Dr. Frank Dörner, der in den vergangenen Wochen als Medizinischer Koordinator von Ärzte ohne Grenzen vor Ort arbeitete. Sierra Leone sei das fünft ärmste Land der Welt, sagt Dörner. „Das Gesundheitssystem dort war eh schon schlecht, das Land hatte ohnehin nur wenige Experten. Zuletzt sind etliche von ihnen verstorben.“
Beide Ärzte wollten helfen, die Not zu lindern. Schmiedel, der sich für den Einsatz vier Wochen frei nehmen musste, wurde einige Tage in Amsterdam vorbereitet. Von dort aus flog er nach Freetown, die Hauptstadt von Sierra Leone. Weiter ging es in einer achtstündigen Autofahrt über matschige Pisten bis nach Kailahun im Osten des Landes.
In dem Behandlungszentrum dort zwängte sich Schmeidel drei bis viermal pro Tag jeweils für eine Stunde in eine Plastikmontur. Patienten fasste er nur mit zwei Paar Handschuhen übereinander an. „Es ist beklemmend, in dieser Montur zu stecken, und für die Kranken ist man kaum als Mensch zu erkennen“, sagt Schmiedel.
In Kailahun musste der Mediziner funktionieren, trotz des Grauens, das er immer wieder erlebte. Ebola beginnt meist mit Fieber. Die Patienten leiden zudem unter Muskelschmerzen, Durchfall und Erbrechen. In diesem Stadium sollen Nährstofflösungen helfen, den Kreislauf zu stabilisieren; vorbeugend erhalten die Erkrankten zudem Antibiotika, um zu verhindern, dass unter Umständen weitere, durch Bakterien verursachte Erkrankungen ausbrechen.
Doch mit dem Ebola-Virus muss das Immunsystem selbst fertig werden. Schafft es das nicht, verschlechtert sich der Zustand des Patienten immer weiter, er kann innere Blutungen bekommen. Den Ärzten bleibt dann oft nur noch, Schmerzmittel zu verabreichen, um die Pein zu lindern. Schließlich versagen die Organe.
Zuerst habe er es als sehr bedrückend empfunden, in dem Behandlungszentrum in Kailahun unter Umständen zu arbeiten, die gemessen an westlichen Verhältnissen „bestürzend schlecht“ seien, sagt Schmiedel. „Eine intensivmedizinische Versorgung ist unmöglich.“ Gleichwohl biete die Basisbehandlung weit mehr, als sonst für die Patienten möglich wäre. Denn ohne ärztliche Betreuung sei in Sierra Leone meist nicht einmal gewährleistet, dass Ebola-Kranke ausreichend Essen und Flüssigkeit erhielten, so der Tropenmediziner, von Antibiotika und Schmerzmitteln ganz zu schweigen.
In den vier Behandlungszentren von Ärzte von Grenzen in Sierra Leone arbeiteten nach Angaben der Organisation zuletzt 113 internationale und etwa 1100 nationale Helfer. Sie konnten nicht verhindern, dass trotz Behandlung 547 Patienten an Ebola starben. 672 Infizierte hätten jedoch überlebt und seien entlassen worden, sagte Stefan Dold, Sprecher von Ärzte ohne Grenzen. Es sind diese Erfolge, die die Helfer antreiben. „Ich glaube, dass schon die einfachen Therapiemaßnahmen die Sterblichkeit zuletzt reduziert haben“, sagt Stefan Schmiedel. Trotz der zeitweiligen Machtlosigkeit habe er seinen Einsatz als sehr sinnvoll und wichtig empfunden.
Allerdings sei ihm nach seiner Rückkehr in Hamburg Stück für Stück bewusst geworden, wie sehr ihn das Erlebte mitgenommen habe. „Die psychologische Betreuung, die Ärzte ohne Grenzen zurückgekehrten Helfern bietet, war seitdem eine große Hilfe“, sagt der Mediziner.
Seit seiner Rückkehr habe er drei Wochen lang zweimal täglich seine Temperatur messen und die Ergebnisse dem Gesundheitsamt mitteilen müssen, bevor er wieder arbeiten durfte, sagt Schmiedel. „Als ich es einmal vergaß, rief das Amt gleich an und fragte: Was ist denn los?“ Das zeige, dass die Vorsorge und die Überwachung hierzulande funktionierten.
Fachlich habe er von seinem Einsatz in Sierra Leone sehr profitiert, sagt Schmiedel. Der Mediziner hatte einige Wochen vor seiner Abreise am UKE den ersten Ebola-Kranken in Deutschland behandelt. Anfang Oktober war der Mann aus dem Senegal geheilt entlassen worden. Inzwischen gebe es viele neue Erkenntnisse zu Ebola. „Wir verstehen zum Beispiel die Komplikationen besser“, sagt Stefan Schmiedel.
Der Mediziner appelliert an die Öffentlichkeit, die Ebola-Epidemie in Westafrika weiter im Blick zu behalten und zu helfen. „Die Lage in Sierra Leone war zuletzt so, dass ich mir wirklich nicht vorstellen kann, wie es in den nächsten Jahren dort ohne massive internationale Hilfe weitergehen soll“, sagt er. Auch Frank Dörner kritisiert, das Interesse an der Situation im Epidemiegebiet lasse in der Politik und in den Medien deutlich nach. Die Situation in Westafrika werde wahrscheinlich noch mehrere Monate lang ernst bleiben. Dörner beklagt zudem, Ärzte ohne Grenzen müsse eine zu große Last bei der Ebola-Hilfe in Westafrika tragen. „Die internationale Hilfe hat uns eine Verantwortung aufgebürdet, die wir nicht wollten und die eigentlich nicht akzeptierbar ist.“
Zuletzt meldete die WHO fast 6.600 Ebola-Tote in Westafrika. Deutschland hat zur Bekämpfung der Epidemie insgesamt mehr als 161 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.