Hamburger Forscher untersuchen in einem neuen Großprojekt, dem Centre for Ultrafast Imaging, wie sich kleinste Teilchen bewegen. Ziel ist es unter anderem, Krankheiten besser zu verstehen.
Hamburg. Der Titel einer Elite-Hochschule blieb der Universität Hamburg bisher verwehrt. Allerdings konnte sie in der zweiten Runde der Bundesexzellenzinitiative erneut mit dem Klimaforschungsprojekt CliSAP punkten. Außerdem gewann sie Fördermittel für ein zweites Großvorhaben, das Hamburg Centre for Ultrafast Imaging (CUI).
Im CUI arbeiten Physiker, Chemiker und Mediziner aus verschiedenen Instituten zusammen; sie wollen Bewegungen von Atomen und Molekülen beobachten, Teilchen, die wenige Millionstel Millimeter groß sind. Damit verfolgen sie unter anderem das Ziel, Krankheiten besser zu verstehen und Grundlagen für neue Medikamente zu schaffen.
Der Bund unterstützt das CUI bis 2017 mit 25 Millionen Euro. 51 Forschergruppen sollen an dem Projekt teilnehmen, 46 haben inzwischen die Arbeit aufgenommen. Das Abendblatt stellt zwei CUI-Wissenschaftlerinnen vor, die auf dem Gelände des Deutschen Elektronensyncrotrons (DESY) in Bahrenfeld arbeiten.
Blitze aus der Elektronenkanone
Die Maschine, die es eigentlich nicht geben dürfte, steht in einem unterirdischen Betonbau aus den 1960er-Jahren. Bäume und Sträuchern säumen den Weg hinab zum Eingang; von dort führen schmale Gänge in einen Raum, der an einen Heizungskeller erinnert. Einst befand sich hier der Vorbeschleuniger für das Desy, den ersten Teilchenbeschleuniger des gleichnamigen Forschungszentrums. Nun entsteht hier etwas Neues: Über zehn Meter in der Breite erstrecken sich Stahlröhren, schwarz lackierte Kästen und Hunderte Kabel; sie bilden den Prototyp eines Elektronenmikroskops, das lebendes Gewebe untersuchen soll.
Stephanie Manz ist mit dafür verantwortlich, dass die Maschine scharfe Bilder macht. Die Physikerin hat berechnet, wie die magnetischen Linsen des Mikroskops beschaffen sein müssen, damit Abbildungen von kleinsten Teilchen so vergrößert werden, dass man etwas damit anfangen kann. Viel Verantwortung für die 33-Jährige, die zur Max-Planck-Gruppe für strukturelle Dynamik an der Uni Hamburg gehört. „Wenn ich einen Fehler mache, dann sehen wir nichts“, sagt Manz. Nervös deswegen? „Aufgeregt trifft es eher“, sagt Manz. „Ich sehe meine Aufgabe vor allem als Herausforderung.“
Vor Kurzem war die Forscherin auf einer Elektronenmikroskopie-Konferenz in Regensburg. „Da galt alles, was wir hier machen als unmöglich“, erzählt sie. „Interessant war das Wort, das alle verwendet haben, in verschiedenen Tonlagen.“
Elektronenmikroskope nutzen statt Licht einen Elektronenstrahl. Wenn die Elektronen auf eine Probe treffen, werden sie teilweise abgelenkt, abhängig davon, wie schwer die Atome sind, auf die sie treffen. Aus der Ablenkung lassen sich Konturen rekonstruieren. So entsteht ein Bild. Die modernsten dieser Geräte machen bis zu 0,1 Nanometer kleine Strukturen sichtbar und bieten so tiefere Einblicke als Lichtmikroskope. Doch müssen die Proben trocken sein und – fein geschnitten – in einem Vakuum fixiert werden. Das macht es unmöglich, lebende Zellen zu mikroskopieren und das Verhalten von Atomen und Molekülen nachzuvollziehen.
Das Vakuum ist nötig, damit die Elektronenstrahlen präzise gelenkt werden; Luft würde sie streuen. Im Vakuum kann aber nichts leben. Die Scheibchen sind nötig, weil die Elektronenstrahlen herkömmliche Geräte nur Proben mit einer bestimmten Größe durchdringen – eine ganze menschliche Zelle ist für sie schon zu groß.
Das Forscherteam um den Kanadier Dwayne Miller, zu dem Stephanie Manz gehört, will diese Probleme mit einem Trick lösen. Lebendes Gewebe, also intakte Zellen, sollen in einer speziellen Kapsel im Vakuum platziert werden. Die Fenster der Kapsel sind so dünn, dass der Elektronenstrahl hindurchkommt; trotzdem ist die flüssige Probe vom Vakuum getrennt. Der Elektronenstrahl soll gerade stark genug sein, um dicke Proben zu durchdringen, und er soll in Form extrem kurzer Blitze erzeugt werden, um Moleküle in Bewegung abzulichten, dabei aber die Strahlenbelastung der Zelle so gering zu halten, dass sie zumindest für wenige Minuten keinen Schaden nimmt. „In dieser Zeit wollen wir Abläufe im Nanokosmos filmen, etwa wie eine Zelle ein Teilchen aufnimmt“, erläutert Manz.
REGAE nennen die Forscher ihr Instrument. Die Abkürzung steht für „relativistische Elektronenkanone für atomare Erforschung“.
Dass Stephanie Manz einmal die Welt der kleinsten Teilchen erkunden würde, war zunächst nicht absehbar. Als Kind wollte sie Astronomin werden. „Ich hatte die romantische Vorstellung, dass man in diesem Beruf alleine auf einem Berg sitzt und mit einem Teleskop ins All blickt“, erzählt Manz. Während des Physikstudiums in Heidelberg stellte sie dann fest, dass Astronomen oft am Schreibtisch arbeiten und Daten analysieren. „Ich wollte aber an großen Geräten arbeiten, und ich wollte an solchen Geräten schrauben.“ So kam Manz zu ihrem jetzigen Posten.
Apropos Schrauben: Wie steigt die Physikerin durch bei der Unmenge an Kabeln und Schrauben, aus denen REGAE zusammengesetzt ist? „Die Kunst ist zu wissen, wen man anrufen muss, wenn etwas kaputtgeht“, sagt Manz. Dann führt sie uns aus dem unterirdischen Labor zurück ans Tageslicht.
Forschung mit Mikrowellen
Etwa 400 Meter entfernt ragt der halbverglaste, futuristische Rundbau des Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) empor. Daneben duckt sich ein unauffälliges Backsteingebäude. Dort experimentiert Melanie Schnell. Auch sie betritt wissenschaftliches Neuland, auch sie hat Schraubenschlüssel und Zangen immer in Griffweite, weil sie die Instrumente für ihre Forschung selbst zusammenbaut. Und darauf ist sie stolz. „Das hier muss man als Gesamtkunstwerk sehen“, sagt sie und deutet auf das Regal hinter ihrem Schreibtisch, in dem eine baumstammdicke Vakuumkammer und Messgeräte stehen.
Die 35 Jahre alte Physikochemikerin untersucht, wie sich Moleküle erkennen. Die Teilchen verbinden sich ständig überall im Körper oder reagieren miteinander, etwa wenn sich neue Zellen bilden und beim Stoffwechsel. Wie genau sie zueinander finden, ist aber erst wenig erforscht. „Diese Erkennung möchte man beeinflussen, damit etwa der Wirkstoff eines Medikaments exakt an die gewünschte Stelle gelangt“, erläutert Melanie Schnell.
Bei ihren Experimenten nutzt sie die Mikrowellenspektroskopie, eine Methode, die seit Jahrzehnten etabliert ist. Für Schnells besonderen Forschungsansatz gab es allerdings kein passendes Gerät. Also suchte sich die Wissenschaftlerin die nötigen Einzelteile zusammensuchen. „Und das Beste ist: Es funktioniert“, sagt Schnell.
Die Moleküle gelangen in Form eines Gases durch eine winzige Düse in eine Vakuumkammer. Auf diesem Weg treffen sich die Teilchen zwangsläufig, es gibt Stoßprozesse. Währenddessen erzeugt die Anlage Mikrowellenpulse, elektromagnetische Wellen also, die auf die Moleküle treffen. Zurück kommt eine Art Echo, dass darauf schließen lässt, was bei den Stoßprozessen geschieht.
In den Zellen unseres Körpers gibt es kein Gas; Moleküle agieren immer in Wasser. Deshalb untersuchen andere Forscher die molekulare Erkennung anhand von Flüssigkeiten. Dabei sei es jedoch schwer, den Vorgang exakt zu erfassen, weil auch noch Wechselwirkungen mit den Wassermolekülen berücksichtigt werden müssten, sagt Melanie Schnell. In Gasen lasse sich die molekulare Erkennung einfacher untersuchen. „Es spricht einiges dafür, dass sich Moleküle in Gasform beim Andocken an andere Moleküle so ähnlich oder genauso verhalten wie im Körper. Sicher wissen wir das bisher aber nicht.“
Schnell leitet ein achtköpfiges Max Planck-Forscherteam, sie hat schon etliche Preise bekommen, ist viel herumgekommen, forschte etwa in den USA. Dennoch wirkt sie nicht abgeklärt. Sie ist immer noch fasziniert von der Vielfalt der Moleküle, aus denen je nach Zusammensetzung etwas völlig anderes entstehen kann. Und deren Wechselspiel uns am Leben erhält, das uns aber auch schaden kann, wenn etwas schiefgeht und Krankheiten entstehen.
Schon als Schülerin sei diese Faszination für Moleküle entstanden, erzählt Schnell. Trotzdem wollte sie als Leistungskursus im Abitur zunächst nicht Chemie belegen, sondern Englisch. Doch ihr Chemielehrer hatte ihr Talent erkannt und versuchte hartnäckig, sie umzustimmen. „Alle Mädchen machen Englisch“, sagte er, „Sie machen jetzt Chemie.“ Melanie Schnell ließ sich überzeugen. Sie hat es nicht bereut.