Es ist Ende Juni und der Sommer macht sich rar. Ist das noch normal? Auch wenn wir es nicht glauben mögen: Der Juni ist in diesem Jahr in Hamburg wärmer und trockener als im Durchschnitt.
Hamburg. Und jetzt: das Wetter. Diskutiert von zwei Hamburgern aus aktuellem Anlass, nennen wir sie Petersen und Kruse.
Kruse: „Schon wieder Wolken. Und so kühl ist es. Das ist doch kein richtiger Sommer!“
Petersen: „Dabei hatte ich mich so aufs Grillen gefreut. Was mache ich denn jetzt mit den ganzen Rippchen?“
Kruse: „Die können Sie ja braten. Aber im Ernst: Ich dachte, es wird immer wärmer, wegen des Klimawandels.“
Petersen: „Eben! Dabei ist doch das Gegenteil der Fall: So kühl dürfte es jetzt gar nicht sein. Und dann dieser Regen. Früher gab es im Juni Sonne satt. T-Shirt-Zeit. Da konnte ich noch grillen.“
Kruse: „Stattdessen können sie im Garten bald mit dem Bötchen fahren. Ich geh mir mal ’ne Jacke holen.“
Irgendwie verständlich, dieser Frust. Hatte uns – gefühlt – nicht schon der vergangene Winter eine besonders lang anhaltende Kälte beschert, mit eisigen Temperaturen im März? Mussten wir nicht schon lange genug auf das Knospen der Bäume warten, auf das es endlich Frühling werde? Und jetzt macht sich auch noch der Sommer rar – oder etwa nicht?
Anruf beim Deutschen Wetterdienst (DWD). Die Meteorologin Johanna Anger und DWD-Mitarbeiterin Elke Roßkamp wühlen sich für uns durch die Statistik – und fördern interessante Zahlen zutage. Diese deuten darauf hin, dass Petersen und Kruse das Wetter womöglich etwas schlechtermachen, als es ist.
Die Zahlen sagen nämlich: In Hamburg lag die Durchschnittstemperatur in diesem Juni bis Freitag bei 15,9 Grad – und damit über dem langjährigen Gebietsmittel von 15,7 Grad. Und der Regen? Im Durchschnitt kommt es in Hamburg im Juni zu einem Niederschlag von 70 Litern pro Quadratmeter. In diesem Juni gingen in Hamburg bis Freitag 61,3 Liter pro Quadratmeter nieder – also weniger als im Mittel. Ein kleines, allerdings weniger erfreuliches Minus zeigt sich auch bei einer weiteren Statistik: 194,2 Sonnenstunden gab es in diesem Juni bisher in Hamburg – 216 Stunden sind es im Mittel. Etwas weniger sonnig als im Durchschnitt war es auch in Schleswig-Holstein, zudem regnete es dort mehr: 86 Liter Regen pro Quadratmeter verzeichnete unser Nachbarbundesland – 69 Liter sind es im Durchschnitt. Deutschlandweit gesehen weichen alle genannten Parameter in diesem Juni kaum vom langjährigen Mittel ab. „Alles in allem kann man sagen, dass wir einen normalen Juni erleben“, sagt Johanna Anger.
Aber was ist mit den Vorjahren? War es früher im Juni nicht grundsätzlich wärmer? Nein, sagen die Damen vom Deutschen Wetterdienst. Vielmehr zeigten die Statistiken, dass das Wetter über die Jahre variiere. So war etwa der Juni des Jahres 2003 sehr warm: 18,2 Grad betrug die Durchschnittstemperatur damals in Hamburg (18,9 deutschlandweit); der Niederschlag betrug 44,4 Liter pro Quadratmeter (51 Liter deutschlandweit), es gab 245 Sonnenstunden (277 deutschlandweit). Damit war der Juni des Jahres 2003 deutlich „sommerlicher“ als der diesjährige Juni. Doch es gab auch schon erheblich schlechtere Wetterlagen. Zum Beispiel der Juni 2001: Nur 14,4 Grad betrug die Durchschnittstemperatur zu dieser Zeit in Hamburg (13,9 deutschlandweit); der Niederschlag lag bei 120,9 Litern pro Quadratmeter (92,6 deutschlandweit) und es gab nur 163 Sonnenscheinstunden (181 deutschlandweit). Hier sticht besonders der Niederschlag heraus – damals fiel doppelt so viel Regen wie bisher in diesem Juni.
Dass bisher kein „richtiger“ Sommer stattfinde, ist also zumindest eine sehr subjektive Einschätzung. „Viele Menschen denken, dass es bei uns im Sommer durchweg trocken und warm sein sollte, dabei ist der mitteleuropäische Sommer in der Regel eine Mischung aus trocken-warmen und eher feucht-kühlen Phasen“, sagt Anger. Tatsächlich bescherte uns heiße Luft aus Afrika zwischen dem 17. und 21. Juni eine kurze Hitzewelle mit Spitzenwerten von teilweise über 35 Grad, in Hamburg über 30 Grad. Ende Juni hingegen sanken die Temperaturen in Hamburg zuletzt zeitweise unter 15 Grad.
Was aber ist mit dem Klimawandel? Demnach soll es doch tendenziell immer wärmer werden, auch in Norddeutschland. Tatsächlich besagen dies die Szenarien des Weltklimarats IPCC. Aber: „Das Klima als Wetterstatistik macht keine Aussagen über Einzelereignisse“, sagt Martin Claußen, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie und Professor an der Universität Hamburg „Das Klima ist etwas sehr langfristiges – im Gegensatz zum Wetter, mit dem wir den kurzfristigen Zustand der Atmosphäre bezeichnen.“ Mit Blick auf den Klimawandel bedeutet dies: „Trotz einer langfristigen Erwärmung kann es immer wieder auch zu kühlen Phasen kommen, selbst im Sommer – das steht nicht im Widerspruch zu den Szenarien.“ Es erscheine nur womöglich widersprüchlich, weil viele Menschen zwar ein Gespür für die – kurzfristigen – Veränderungen des Wetters hätten, aber nicht für die Veränderung des Klimas.
Warum dies so ist, wird nachvollziehbar, wenn man sich klarmacht, was „langfristig“ konkret bedeutet. Wiederum hilft hier ein Blick auf Messwerte und Zahlen. Zwischen 1940 und 2012 schwankte die mittlere Jahrestemperatur in Hamburg erheblich: Mal betrug sie nur 6,5 Grad, mal neun Grad, mal 10,5 Grad. Trotzdem lassen sich natürlich für bestimmte Zeiträume Durchschnittswerte ermitteln. Aus sogenannten gleitenden Mittelwerten für mehrere 30-Jahres-Perioden geht hervor, dass die mittlere Jahrestemperatur in Hamburg im Zeitraum von 1961 bis 1990 noch bei 8,6 Grad lag – wohingegen sie im Zeitraum von 1982 bis 2011 auf etwa 9,4 Grad gestiegen war. Diese Erwärmung um gut 0,8 Grad entspricht zufällig der weltweiten Erwärmung im vergangenen Jahrhundert. Die langfristige Erwärmung habe allerdings nichts damit zu tun, dass es auch heute im Juni oder Juli an einigen Tagen immer noch kühl sein könnte, sagt Claußen.
Bereits im IPCC-Bericht von 2007 kamen die beteiligten Forscher zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschheit die Erderwärmung mit verursacht, bei mindestens 90 Prozent liegt. Diesen Anteil der Menschheit an der Erwärmung beziffern die Forscher mit mehr als 50 Prozent. Im nächsten IPCC-Bericht, der im September veröffentlicht werden soll, wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Erderwärmung vom Menschen gemacht ist, dem Vernehmen nach noch höher eingeschätzt. Wie die Forscher zu ihren Folgerungen kommen? „Rechnet man den vom Menschen verursachten Ausstoß von Treibhausgasen aus den Klimamodellen heraus, dann zeigt sich in den vergangenen 100 Jahren bis auf einige Fluktuationen langfristig kaum eine Änderung“, erläutert Claußen. Nicht erklären können die Modelle bisher allerdings, warum die globale Erwärmung in den vergangenen 15 Jahren – für das Klima eine relative kurze Zeitspanne – offenbar eine Pause gemacht hat. Diese „spannende Frage“ müssten Klimaforscher nun klären, sagt Claußen.
Zurück zum Wetter. Im Juli steigen die Temperaturen für gewöhnlich in Hamburg; die langjährige Durchschnittstemperatur liegt bei 17 Grad. Allerdings gibt es im Durchschnitt mehr Niederschlag als im Juni (75 Liter pro Quadratmeter) und weniger Sonnenstunden (202,6). Beides wird zumindest die kommende Woche bestätigen, denn wenn der DWD mit seinen Vorhersagen richtig liegt, bleiben wir weiter unter dem Einfluss von Tiefdruckgebieten – und damit bleibt auch das Wetter „wechselhaft“. Was bleibt uns? Zum Beispiel dieser Rat, der von dem US-amerikanischen Cartoonisten Frank „Kin“ Hubbard überliefert ist: „Geht nicht auf das Wetter los! Wenn es sich nicht hin und wieder ändern würde, könnten neun von zehn Leuten kein Gespräch beginnen.“