Ab März 2013 sollten an Tieren getestete Körperpflegeprodukte in der EU verboten sein. Kommission denkt über Ausnahmen nach.

Hamburg. Tierversuche für fertige Kosmetika sind in der EU seit 2004 verboten. Allerdings dürfen weiterhin Produkte eingeführt werden, deren Inhaltsstoffe bei Tests außerhalb der EU erprobt wurden. Das gilt noch bis März 2013: Dann soll auch damit Schluss sein. Eigentlich. Denn John Dalli, EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, will sich offenbar für Ausnahmeregelungen starkmachen. Tierschützer sind empört.

Es begann mit einem "Arbeitsdokument", das die EU-Kommission im Dezember 2011 Tierschützern vorgelegt hatte. Darin sprach sie sich zwar gegen einen Aufschub aus, schlug jedoch erstmals Ausnahmen vor. Das Dokument zeige, dass die Kommission "vor der Kosmetikindustrie kuscht", sagte damals Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. "Das Festhalten am Termin für das Verbot wird zur Farce." Solche Proteste haben John Dalli nicht von seiner Haltung abgebracht. Ausnahmen sollten möglich sein für "Unternehmen, die beweisen können, dass sie bestimmte Tierversuche brauchen für ein innovatives Produkt, das der Gesellschaft und der Umwelt nützen wird", sagte er dem Onlineportal Europolitics zufolge am 27. Juni in Washington bei einer Veranstaltung, die vom Lobbyverband der US-Kosmetikindustrie gesponsert wurde.

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Im Gespräch mit dem Abendblatt bestätigte Dallis Sprecherin Katerina Apostola, dass die Kommission Ausnahmen in Erwägung ziehe. Es gehe aber höchstens um einige Fälle pro Jahr und dabei müssten etwaige Vorteile eines neuen Produkts, etwa ein besserer Schutz vor Sonnenstrahlen oder vor Karies, gegen den Tierschutz abgewogen werden. Zudem müsse ein Hersteller nachweisen, dass keine Daten zur etwaigen Giftigkeit des Stoffes vorliegen und dass es keine alternativen Tests gibt.

Nicht nachvollziehbar findet das Christine Esch, Sprecherin der Tierschutzorganisation Peta. 20 Jahre nach der ersten Ankündigung eines Vermarktungsverbots finde jetzt, kurz vor dem Ziel, eine unnötige Kehrtwende statt, sagt sie. Wenn die Politik Ausnahmeregelungen zulasse, handele sie damit gegen den Willen der Bürger. Fast 25 000 Menschen haben Peta zufolge bereits eine Protestmail von der Website der Organisation an Dalli geschickt.

Die Industrie dringe auf Ausnahmeregelungen, weil sie sich bei der Entwicklung alternativer Tests nicht genug engagiert habe, sagt Esch. Das sieht die Branche anders: "Die Kosmetikindustrie unterstützt seit vielen Jahrzehnten die Entwicklung von Alternativen", sagt die stellvertretende Geschäftsführerin des Industrieverbands Körperpflege- und Waschmittel (IKW), Birgit Huber. Tierversuche seien "immer nur die letzte Option, um die Sicherheit eines Inhaltsstoffes zu belegen".

"Es ist sehr eindrucksvoll, was in den vergangenen Jahren in der Forschung erreicht wurde", bestätigt Prof. Marcel Leist, der an der Universität Konstanz den bisher einzigen Lehrstuhl in Deutschland für Ersatzmethoden zum Tierversuch leitet, finanziert von der privaten Doerenkamp-Zbinden-Stiftung. Er verweist auf das Projekt Seurat-1, in dem Forscher seit Anfang 2011 mit einem Etat von 50 Millionen Euro - je zur Hälfte finanziert von der Kosmetikindustrie und von der EU - Alternativen entwickeln. Leist sagt aber auch: "Sicherlich würde es schneller gehen, wenn die Industrie noch stärker investierte."

Aus Sicht der Industrie sind schon jetzt fast alle Kosmetika weitestgehend tierversuchsfrei; nur zu "einigen wenigen, aber sehr wichtigen Sicherheitsfragen", etwa zu Krebs fördernden Wirkungen, seien "noch keine ausreichend aussagekräftigen Alternativmethoden vorhanden", sagt Birgit Huber vom IKW. Wie aber kann das sein, wo doch schon seit 2004 gilt, dass 2013 genügend Alternativen vorhanden sein müssen? "Der Gesetzgeber wusste schon damals, dass es bei manchen Endpunkten schwierig werden wird, die Frist einzuhalten", sagt Huber. Ein Problem sei in diesem Zusammenhang, dass es oft sehr lange dauere, bis ein alternativer Test vom Gesetzgeber anerkannt werde.

Wissenschaftler bestätigen, dass es bis 2013 wohl wirklich nicht genug Alternativen geben wird. Von der EU-Kommission damit beauftragt, den Stand der Forschung zu beurteilen, schreiben 55 Experten im 2011 veröffentlichten Adler-Report (benannt nach der Erstautorin), dass es noch sieben bis neun Jahre dauern werde, genügend alternative Methoden zu entwickeln, die das Risiko von Hautallergien untersuchen, und mindestens fünf bis sieben Jahre, um genug Alternativen zur Untersuchung der Toxikokinetik (zeitliche Änderung der Konzentration eines Giftstoffs im Organismus). Gar nicht abschätzbar sei, wann genügend Alternativen zur Untersuchung der systemischen Toxikologie vorliegen könnten (das Risiko, dass eine Substanz grundlegende Körperfunktionen negativ beeinflusst, etwa die Durchblutung).

Tierschützer wollen sich damit nicht abfinden. Durch eine geschickte Anwendung der verfügbaren alternativen Methoden könnten Kosmetikhersteller schon jetzt weitestgehend ohne Tierversuche auskommen, sagt Irmela Ruhdel, Fachreferentin für Tierversuche und Alternativmethoden beim Deutschen Tierschutzbund. Zwar gebe es für den Test bestimmter Substanzen tatsächlich noch keine Alternativen. "Aber dann muss die Industrie eben darauf so lange verzichten, bis alternative Methoden vorliegen", sagt Ruhdel. "Es gibt Zehntausende zugelassene Rohstoffe für Kosmetik. Das muss reichen", sagt Christine Esch von Peta. "Wir reden ja nicht von lebenswichtigen Stoffen, sondern etwa von Kosmetik, die Wimpern noch schwärzer macht."

Würde das Verbot ab 2013 ohne Ausnahmen gelten, "würde dies Innovationen verhindern", entgegnet Birgit Huber vom IKW. "Kosmetika müssen weiterentwickelt werden, um die Verträglichkeit für Mensch und Umwelt zu verbessern und veränderte Bedürfnisse der Verbraucher erfüllen zu können." Dafür seien neue Inhaltsstoffe notwendig. Dass man den Begriff "Innovationen" auch dahin gehend verstehen kann, ganz auf Tierversuche zu verzichten, zeigen dem Deutschen Tierschutzbund und Peta zufolge bereits Hunderte Firmen (Liste: www.kosmetik-ohne-tierversuche.de ).

Noch sei nicht klar, ob die EU-Kommission dem Europäischen Parlament einen Vorschlag zu Ausnahmen vorlegen werde, sagte John Dallis Sprecherin. Wenn, werde dies bis Jahresende geschehen.

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