Politik und Wirtschaft erwägen Einlagerung von CO2 in Norddeutschland. Fachleute sagen, warum die Region dafür besonders geeignet ist.
Hannover/Hamburg. Gelangt Kohlendioxid in die Atmosphäre, erwärmt es das Klima. Dagegen ist es im Boden unschädlich, wenn das zuvor aus Kraftwerksabgasen abgetrennte CO2 entsprechend sicher eingelagert ist. Spätestens seit einer Greenpeace-Veröffentlichung über mögliche Speicherstätten wächst vor allem unter den Norddeutschen die Sorge, das unliebsame Treibhausgas könnte zukünftig vor der eigenen Haustür deponiert werden. Die Verfechter der CO2-Einlagerung wollen mit umfangreichen Sicherheitsstandards für mögliche Speicherprojekte Vertrauen schaffen.
Etwa die Hälfte des deutschen Stroms wird aus Kohle erzeugt. Die Kraftwerke verursachen rund 40 Prozent des deutschen CO2-Ausstoßes. Dieser muss in den kommenden Jahrzehnten drastisch sinken, wenn internationale Klimaschutzziele erreicht werden sollen. Wichtige Lösungsansätze sind der effizientere Einsatz von Energie und die Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien. Manche Experten, etwa vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, halten einen dritten Ansatz für erforderlich, zumindest im weltweiten Maßstab: Das CO2 müsse aus Industrie- und Kraftwerksabgasen abgetrennt und anschließend sicher im Boden endgelagert werden, fordern sie. Die Technologie ist unter dem Begriff CCS (englisch: Carbon Dioxide Capture and Storage) bekannt.
Bereits erprobt wird die Einlagerung seit 2007 im brandenburgischen Ketzin, ein Projekt mit Pilotcharakter: 30 Kilometer westlich von Berlin entstand unterhalb eines ehemaligen Erdgasspeichers das erste CO2-Lager in Deutschland, das zweite weltweit. Unter der Regie des Deutschen Geoforschungszentrums Potsdam soll dort die Speichertechnik entwickelt werden.
Doch wo könnte Kohlendioxid im großen Maßstab eingelagert werden? Dieser Frage gehen die Experten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) nach. Generell gibt es in Deutschland zwei geologische Optionen: erschöpfte Erdgasfelder und sogenannte salinare Aquifere: poröses Gestein (etwa Sandstein), das mit salzhaltigem Wasser gefüllt ist.
"Bei den ehemaligen Erdgaslagerstätten haben wir den Vorteil, dass sie durch jahrelange Förderung gut untersucht sind", sagt Dr. Johannes Peter Gerling, Fachbereichsleiter für Geologische CO2-Speicherung bei der BGR. "Die Unternehmen kennen die Gesteinseigenschaften und die Volumina im Detail." Nach Berechnungen der BGR könnten ausgeschöpfte deutsche Erdgasfelder etwa 2,75 Milliarden Tonnen CO2 aufnehmen.
Sehr viel schwieriger ist die Abschätzung der Speicherkapazität in salinaren Aquiferen. Hier suchen die Experten in Tiefen ab 800 bis 1000 Metern nach Stellen, an denen sich die porösen Gesteinsschichten oberhalb von Salzvorkommen (Salzkissen) aufgewölbt haben und die mit undurchlässigem Gestein (Ton, Salzgestein) abgedeckt sind. Würde hier CO2 injiziert, so würde es sich in den Porenräumen an der obersten Stelle sammeln und nicht entweichen können.
Das Norddeutsche Becken, das sich vom Festlandssockel der Nordsee bis zur polnischen Grenze erstreckt, enthält solche Strukturen. Kleinere Regionen sind der Oberrheingraben, das sogenannte Alpenvorlandbecken und das Saar-Nahe-Becken. Die drei erstgenannten Regionen hat die BGR bevorzugt untersucht - und errechnete potenzielle Speichervolumen von gut neun Milliarden Tonnen CO2.
Zusammen mit den ausgebeuteten Erdgaslagerstätten könnten demnach in den untersuchten Regionen also zwölf Milliarden Tonnen CO2 untergebracht werden. Zum Vergleich: Große Industrieanlagen und Kraftwerke stoßen derzeit jährlich etwa 375 Millionen Tonnen CO2 aus. Die BGR-Studie ergab 408 mögliche CO2-Speicher. Sie dienten als Grundlage der Greenpeace-Auswertung, nach der fast alle potenziellen Lagerstätten in Norddeutschland liegen.
Doch nicht nur Verfechter der CCS-Technologie wollen den deutschen Untergrund nutzen. In ihm sollen auch Erdgas und zukünftig womöglich per Windstrom erzeugter Wasserstoff gespeichert werden. Ein weiterer Konkurrent ist die tiefe Geothermie, die Gewinnung von Erdwärme aus großen Tiefen, um daraus Strom und nutzbare Wärme zu erzeugen.
"Die Konkurrenz zu Erdgas- oder Wasserstoffspeichern ist eher gering. Denn diese Gase sollten vorzugsweise in Salzkavernen eingelagert werden. Diese Strukturen sind als CO2-Speicher zu klein", sagt Gerling. Eine Konkurrenz zur Geothermie sei eher denkbar: "Hier gibt es gemeinsame Interessengebiete. Wir wollen jetzt zusammen mit dem Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik mögliche Konfliktregionen ermitteln."
Im Oberrheingraben wird bereits heute Geothermie genutzt. Die Region zwischen Basel und Frankfurt eigne sich ohnehin nicht für große CO2-Speicherprojekte, weil die Erdbebengefahr zu hoch und die geologischen Strukturen zu klein seien, so Gerling. Auch im sogenannten süddeutschen Molassebecken, vor allem im Großraum München, sieht Gerling die Geothermie vorn. Hier seien bereits viele Geothermie-Konzessionen vergeben; sie genießen Bestandsschutz. "In Süddeutschland werden wir eher die Geothermieprojekte haben, in Norddeutschland eher die CO2-Speicherung oder andere Nutzungen des unterirdischen Wirtschaftsraums", prognostiziert Gerling.
Egal wo das Klimagas beerdigt wird: Für alle Lagerstätten wird es Sicherheitsregeln geben. Entsprechende Vorschläge der BGR sehen unter anderem vor, dass das Gas mindestens für 10 000 Jahre isoliert eingelagert sein muss. Über dem Speicher sollten mehrere undurchlässige Deckschichten liegen. Leckagen seien so gering zu halten, "dass sie keine schädlichen Auswirkungen auf Mensch und Natur, auf Grundwasser und Klima haben".
Wer global ambitionierten Klimaschutz wolle, komme an der Technologie nicht vorbei, sagt Prof. Hermann Held, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltige Umweltentwicklung an der Universität Hamburg. "Das heißt aber nicht, dass an jedem geologisch sinnvollen Ort dann auch CO2 eingelagert werden muss. Die Meinung der Bevölkerung und ökologische Empfindlichkeit müssen ebenfalls in die Standortwahl einfließen. Wir Europäer sollten jedoch in jedem Fall einige Testspeicher betreiben, um uns mit der CCS-Technologie eine weitere Klimaschutz-Option offenzuhalten."
Im Pilotprojekt Ketzin sind vier Jahre nach dem Start 45 000 der geplanten 60 000 Tonnen CO2 unter die Erde gebracht. Der Rest wird zum Großteil in diesem Jahr injiziert. Danach steht die Langzeit-Überwachung im Vordergrund. Bereits jetzt sei die weltweit größte Messapparatur für diesen Zweck in Ketzin installiert, sagt Franz Ossing, Pressesprecher des Geoforschungszentrums. Hier gehe es vor allem darum, Methoden zur sicheren Überwachung von Standorten zu entwickeln, an denen nicht mehr gearbeitet wird - ein Schlüssel zu verantwortbaren CO2-Endlagern.