443 Uni-Professoren haben sich bereits einem Appell im Internet für eine bewusstere Ernährung angeschlossen
Hamburg. "Wir müssen in unserem Alltag die Ethik und das Essen wieder zusammenbringen." Das sagt Prof. Harald Lemke, der an der Leuphana-Universität Lüneburg Gastrosophie lehrt. Der Philosoph mit Schwerpunkt Essenskultur ist einer von 443 Professoren, die einen Appell für den Ausstieg aus der Massentierhaltung unterzeichnet haben. Auch 14 Kollegen aus Hamburg unterstützen die Forderung.
"Eine ähnliche Initiative in den Niederlanden, an der sich mehr als 100 Professoren beteiligten, hat uns inspiriert, auch in Deutschland Unterstützer für dieses Thema zu suchen", sagt Friederike Schmitz von der Universität Heidelberg, Mitinitiatorin des Appells. "Zudem hat uns der große Verkaufserfolg des Buchs ,Tiere essen' gezeigt, dass die Kritik gegen die industrielle Tierhaltung wächst." Am 11. Januar gingen die Organisatoren an die Öffentlichkeit. Damals hatten sich bereits gut 300 Professoren dem Appell angeschlossen. Zudem haben bis jetzt fast 23 000 Bürger die Forderung online unterschrieben.
Die Begründungen für den Ausstieg aus der Industriemast sind vielfältig: Aus ethischer Sicht zählen vor allem die Schmerzen und Leiden, die den Tieren zugefügt werden. So nehmen Hähnchen, Puten und Schweine so schnell zu, dass der Knochenaufbau kaum folgen kann. Das führe zu chronischen Schmerzen, so die Initiatoren. Damit die Tiere sich nicht gegenseitig verstümmeln, werden neugeborenen Ferkeln die Eckzähne, Hühnern und Puten die empfindlichen Schnäbel ohne Betäubung gestutzt.
Der intensive Fleischverzehr schadet zudem der Umwelt. Er bedingt große Flächen. Nach Angaben des Umweltbundesamts wurden im Jahr 2009 rund 52 Prozent des deutschen Bodens landwirtschaftlich genutzt - auf 60 Prozent dieser Fläche wuchsen Futtermittel fürs Vieh. Dessen massenhafte Exkremente führen dazu, dass die deutschen Äcker mit Stickstoff überdüngt werden. Derzeit liegt der Überschuss bei 105 Kilogramm pro Hektar und damit deutlich über dem von der Bundesregierung angestrebten Ziel von 80 kg/ha. Ein Teil des überschüssigen Stickstoffs wird aus dem Boden ausgewaschen. Damit gefährdet die Überdüngung sowohl das Grundwasser also auch Bäche und Flüsse sowie deren Endstationen, die Nord- und Ostsee.
Die deutsche Fleischeslust hinterlässt sogar im globalen Maßstab Spuren. "Die industriellen Betriebe sind von ihrer Umwelt entkoppelt. Wir importieren riesige Mengen Futtermittel und tragen damit in großem Umfang zur Zerstörung tropischer Naturräume bei, etwa bei der immer weiter fortschreitenden Regenwaldrodung für den Sojaanbau", sagt Prof. Norbert Jürgens vom Biozentrum Klein Flottbek, der den Appell unterstützt.
Der Raubbau am Wald hat Folgen für das Klima, ebenso der Ausstoß der Treibhausgase Methan (hauptsächlich aus Rindermägen und Reisfeldern) sowie Lachgas (durch die Stickstoff-Düngung). "Das heutige Weideland und die Anbauflächen für Viehfutter, etwa Maismonokulturen, sollten im größten Ausmaß zukünftig für den Acker- und Gartenbau zur Produktion von Lebensmitteln genutzt werden. Nur wenige Tiere, die aber artgerecht zu halten, diente auch dem Klimaschutz", betont Mitunterzeichnerin Prof. Ulrike Greb vom Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität Hamburg. Für sie sich stellt sich zudem "die grundsätzliche Frage nach dem Recht der Tötung jener Lebewesen, mit denen wir die Erde als Lebensraum teilen, um uns von ihren Kadavern zu ernähren".
Jenseits dieses ethischen Aspekts täte es den Menschen gut, wenn sie ihren Fleischkonsum reduzierten und die zahlreichen Empfehlungen für eine gesündere Ernährung beherzigten. So begünstigt die fleischlastige Fehlernährung vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Da mit allen industriellen Produktionsprozessen die Prinzipien der Renditesteigerung verbunden seien, komme es bei der Massentierhaltung immer wieder zu Missbrauch und kriminellem Verhalten, betont zudem Norbert Jürgens. "So etwas begegnet uns am Beispiel des Einsatzes von Antibiotika und anderen Medikamenten, aber auch in Form des aktuellen Dioxin-Skandals in trauriger Regelmäßigkeit. Diese sind keine Ausnahmen, sondern logische Konsequenzen des Geschäftsmodells."
Gastro-Philosoph Harald Lemke sieht die "geistesorientierte Interpretation des Menschen" als ein Grundübel: "Essen und Genuss werden seit Jahrhunderten als etwas Animalisches gesehen. Das führte zu einer systematischen Abwertung des Essens. Dies ist die philosophische Grundlage der Fast-Food-Kultur."
Der Appell gegen Massentierhaltung will dem entgegentreten. Wann und in welchem Rahmen er an Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) übergeben wird, kann Initiatorin Friederike Schmitz noch nicht genau sagen. Sie freut sich zunächst darüber, dass die Zahl der Unterzeichner kontinuierlich wächst, ohne dass das Organisatorenteam derzeit dafür aktiv ist: "500 Professoren schaffen wir noch."