Meteorologen und Klimaforscher diskutieren, was 2010 zu den Wetterextremen in Pakistan und Russland geführt hat.
Offenbach. Aufatmen in Moskau, leichte Entwarnung in Pakistan. So stellte sich am Freitag die meteorologische Lage in den beiden Krisengebieten dar, wo Wetterextreme einerseits verheerende Waldbrände, andererseits eine Hochwasserkatastrophe verursachten. "In Moskau hat eine Kaltfront die wochenlange Hitze beendet", sagt Gerhard Müller-Westermeier, Leiter des Bereichs Klimaanalyse beim Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach. Am Freitag fiel starker Regen und half beim Feuerlöschen, die Temperaturen stürzten auf neun Grad ab. "Dort geht der Sommer zu Ende, es wird sich jetzt relativ schnell nachhaltig abkühlen."
Dagegen ist zu befürchten, dass der sommerliche Südwestmonsun über dem indischen Subkontinent, der in diesem Jahr besonders stark ausfiel und dadurch Regenmassen bis ins nordwestliche Pakistan brachte, noch spürbar bleibt. Müller-Westermeier: "Ende August bricht der Monsun allmählich zusammen. Aber das heißt noch nicht, dass sich die Hochwasserlage sofort entspannt. Denn das Niederschlagswasser braucht eine Weile, bis es den mehrere Tausend Kilometer langen Indus hinuntergeflossen ist." Der 3180 Kilometer lange Fluss ist normalerweise die Lebensader Pakistans. Denn das Land hat ein trockenes Klima, ist eigentlich kaum vom Monsun betroffen. Zumindest regentechnisch scheint Normalität zurückzukehren: Für die kommenden Tage ist trockenes, sonniges Wetter prognostiziert.
Die unheilvollen Wetterlagen werden zum einen (Russland) dem sogenannten Jetstream zugeschrieben, der rund um den Pol der Nordhalbkugel schwingt. Zum anderen (Pakistan) kommt das Klimaphänomen "La Niña" ins Spiel. Es verstärkte womöglich den sommerlichen Südwestmonsun. Er wird angetrieben durch relativ hohe Temperaturen im tibetischen Hochland und zieht alljährlich vom Indischen Ozean Richtung Himalaja.
Der Jetstream ist ein um die nördliche Hemisphäre laufendes Wellenband mit besonders starker Windströmung. Es liegt in Höhen zwischen fünf und acht Kilometern. Die Geschwindigkeit, mit der das Windsystem mäandriert, hängt mit der Wellenlänge zusammen.
"In diesem Jahr herrscht eine Konstellation vor, die die Wellen weniger stark wandern lässt", sagt Gerhard Müller-Westermeier. Das führt zu besonders stabilen Wetterlagen. "Deutschland hatte im Juni/Juli ein stabiles Hoch, das uns einen heißen Sommer bescherte. Etwas später nistete es sich östlich von Moskau ein und führte durch die südliche Strömung an seiner westlichen Flanke zu der ungewöhnlichen Hitzewelle." Sie entfachte enorme Waldbrände, die den Moskauern den Atem nahmen und mehrere Atomanlagen bedrohten.
Dies könnte auch die Großwetterlage in Pakistan beeinflusst haben, meint etwa Moetasim Ashfaq vom Oak Ridge-Klimainstitut im US-Bundesstaat Tennessee. Er kann sich vorstellen, dass der blockierte Jetstream nicht nur die ungewöhnlich lang anhaltende Hitze und Dürre in Russland verursachte, sondern auch den sommerlichen Monsunregen verlängerte. Der DWD hat einen anderen Schuldigen im Visier, der dem Namen nach unter das Jugendrecht fällt: "La Niña", spanisch das Mädchen, könnte die Verheerungen ausgelöst haben, tippen die Meteorologen.
Der Begriff bezeichnet eine Klimaanomalie, die die gegenteiligen Wirkungen hat wie der bekanntere Bruder "El Niño" (spanisch der Junge, benannt nach dem Christkind, weil dieses Phänomen meist zur Weihnachtszeit auftaucht). Das Mädchen folgt meist dem Jungen. Dann verstärkt sich der Kaltwasserauftrieb im östlichen Pazifik vor Südamerika. Folge: Die Meeresoberfläche wird besonders kühl. Auf der anderen Pazifikseite, in Südostasien, wird es dagegen wärmer. Müller-Westermeier: "Derzeit ist ,La Niña' sehr ausgeprägt. Wenn dies der Fall ist, haben wir in der Vergangenheit oft kräftigere Monsune gehabt. Aber das ist kein Automatismus, der Monsun variiert sehr stark."
Während der Mechanismus, der den Monsun antreibt, recht gut verstanden ist, herrscht bei der Frage, wie sich die Wellenbewegung des Jetstreams ausbildet, noch viel Forschungsbedarf. Die These des Kollegen Prof. Mike Lockwood von der Universität von Reading (England), eine geringere Sonnenaktivität könnte das Windband abgebremst haben, hält Müller-Westermeier für "sehr spekulativ. Wenn überhaupt, dann dürfte der Einfluss der Sonnenflecken-Aktivität sehr gering sein. Außerdem gab es gerade vor wenigen Wochen eine kräftige Eruption auf der Sonne."
Welche Rolle bei den jüngsten Wetterextremen der Klimawandel spielt, auch darüber streitet die Fachwelt. "Es gibt prinzipiell keinen kausalen Zusammenhang zwischen Einzelereignissen und dem Klima", betont Prof. Martin Claußen, Sprecher des Hamburger KlimaCampus. "Die Statistik der Extremereignisse könne höchstens zu einem erwarteten Trend passen. Doch zumindest bei der Frage, ob sich der "El Niño"/"La Niña"-Effekt verändert, kommen die Computermodelle zu unterschiedlichen Ergebnissen. Deshalb wäre ich sehr vorsichtig, von Vorboten des Klimawandels zu sprechen."
Zunehmende Wärme erhöhe meistens die Waldbrandgefahr, betont Claußen. Das treffe in Deutschland bereits für das Land Brandenburg zu. Auch für Westrussland prognostiziert das Klimamodell des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg leicht zunehmende Temperaturen. "Aber Klimaänderungen sind nur ein Faktor", so Claußen, "die Bewirtschaftung der Wälder spielt bei der Waldbrandgefahr eine noch größere Rolle." In Russland wurde die Forstverwaltung zusammengestrichen: "Vor zwei Jahren hat Präsident Wladimir Putin die gesamte Waldwirtschaft privatisiert und Tausende staatliche Inspektoren entlassen. Sie haben jetzt bei der Brandbekämpfung gefehlt", sagt Gerhard Wallmeyer, Sprecher des Vorstands von Greenpeace Russland.