Forscher haben einen Mechanismus entdeckt, der als neuer Ansatzpunkt für Medikamente gegen Alzheimer und andere Leiden dienen könnte.
Bielefeld. Zurzeit leiden etwa 1,2 Millionen Menschen in Deutschland an einer Demenz. Viele von ihnen ziehen sich zurück und verheimlichen die Krankheit so lange wie möglich. Nur wenige wagen den mutigen Schritt, ihre Demenzerkrankung öffentlich zu machen, so wie vor wenigen Tagen der ehemalige Fußballmanager Rudi Assauer .
Bislang kann die Medizin den Verlauf der Erkrankung durch Medikamente nur hinauszögern. Aber es gibt noch keine Medikamente, die den schleichenden Zerfall der Gehirnzellen stoppen und damit die Krankheit heilen können, auch wenn weltweit intensiv daran geforscht wird. Jetzt haben Bielefelder Wissenschaftler einen Mechanismus im Gehirn entdeckt, der als Ansatzpunkt dienen könnte, um wirksame Medikamente gegen die Demenz und auch andere Krankheiten im Gehirn, wie zum Beispiel Depressionen und Parkinson, zu entwickeln.
Einem Team von Biologen unter Leitung der Professoren Barbara und Christian Kaltschmidt von der Universität Bielefeld ist es gelungen, in Gehirnen von erwachsenen Mäusen neue Nervenzellen wachsen zu lassen. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universitäten Bochum und Münster und vom Institut Pasteur Paris haben sie einen Mechanismus entdeckt, der die Bildung neuer Nervenzellen steuert. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung sind gestern in dem Online- Fachmagazin "PLoS ONE" veröffentlicht worden.
+++Wenn Forscher Gedanken lesen können+++
+++Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz+++
Bis vor zehn Jahren ging die Wissenschaft noch davon aus, dass im Gehirn von Erwachsenen keine neuen Nervenzellen wachsen können. Heute aber weiß man, dass das Wachstum von neuen Nervenzellen eine notwendige Voraussetzung für die Entwicklung und die Funktion des menschlichen Gehirns ist. Außerdem gingen die Wissenschaftler bisher davon aus, dass die Fähigkeit, neue Nervenzellen zu bilden, im Alter fast völlig zum Erliegen kommt. Die Bielefelder Forscher zeigten nun, wie unter anderem ein biochemischer Mechanismus die Bildung neuer Nervenzellen steuert. Dieser Mechanismus wird über den sogenannten Transkriptionsfaktor "NF-kB" geregelt. Dieser Gen-Schalter bindet sich an die DNA, den Träger der Geninformation, und sorgt so dafür, dass die Informationen für die Bildung der Nervenzellen lesbar wird.
Zu ihren Ergebnissen kamen die Forscher durch Versuche mit einjährigen Mäusen. Für ihre Untersuchung entwickelten die Biologen einen Lerntest. Dabei wurden alle Mäuse darauf trainiert, in einem Labyrinth verstecktes Futter zu finden. Gesunde Mäuse bestanden diesen Test erfolgreich. Bei einigen Mäusen stoppten die Forscher nach dem Training die Produktion von "NF-kB" zeitweise mit einem Hemmstoff. Das Ergebnis war, dass diese Tiere fortan bei ihrer Aufgabe nahezu völlig versagten. Obwohl die Futtersuche bereits über mehrere Tage erfolgreich geübt worden war, scheiterten diese Mäuse nun ohne das Wachstum neuer Nervenzellen an dieser Aufgabe.
Bis zu einem Medikament wird es noch mindestens zehn Jahre dauern
Die Zellbiologen folgern aus ihrem Versuch, dass durch das mangelnde "NF-kB" eine bestimmte Hirnregion, der sogenannte Hippocampus, verfällt. Dieser Bereich ist zuständig für die Übermittlung von Gedächtnisinhalten aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis und wichtig für die Neubildung von Nervenzellen. "Im Hippocampus gibt es Stammzellen, die zu Nervenzellen heranreifen. Diese bilden dann neue Fortsätze aus, die sich mit anderen Nervenzellen verknüpfen", sagt Prof. Christian Kaltschmidt, einer der beiden Studienleiter. Der Faktor "NF-kB" aktiviere heruntergeschaltete Gene und steuere so das Überleben von herangereiften Stammzellen und die Verknüpfungen mit anderen Nervenzellen. Dabei wachsen aus den Nervenzellen neue Fortsätze und verbinden sich mit anderen Zellen.
Dies zeigte sich auch bei den Versuchsmäusen. Wenn bei ihnen "NF-kB" wieder aktiviert wurde, lernten sie wieder genauso gut wie ihre gesunden Artgenossen.
Die Forscher gehen davon aus, dass die Ergebnisse ihrer Versuche auch für Menschen gelten. "Da viele Aspekte wie das Problem der fehlenden Stammzellreifung auch bei der Alzheimer-Erkrankung auftreten und auch bei Alzheimer-Patienten die "NF-kB"-Aktivierung gehemmt ist, gehen wir davon aus, dass sich die Erkenntnisse auch auf den Menschen übertragen lassen", sagte Prof. Kaltschmidt.
Neue Medikamente könnten Patienten helfen, die an Alzheimer, Parkinson und Depressionen leiden. "Diese Medikamente müssten den 'NF-kB'-Faktor in Nervenzellen aktivieren", sagt der Biologe. Bislang gebe es aber noch keine geeignete Substanz. "Und bis ein Medikament zur Verfügung steht, ist es noch ein weiter Weg. Das wird mindestens noch zehn Jahre dauern."