Hamburg/Reykjavik. Olafur Eggertsson hat Angst. Nicht um sein eigenes Leben, sondern um seine Tiere, seinen Lebensunterhalt. Sein Bauernhof im isländischen Thorvaldseyri liegt nur drei Kilometer vom Asche spuckenden Vulkan entfernt, deshalb musste er ihn mitsamt seiner Familie in der Nacht zu Mittwoch verlassen. Jetzt bangt der 57-Jährige um seine Kühe und Schafe, die im Stall eingesperrt sind.
Schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen haben Islands Behörden rund 700 Menschen vor einem Vulkanausbruch in Sicherheit gebracht. Alle Höfe am Rande des Eyjafjallajökull-Gletschers im südlichen Teil der Atlantikinsel mussten evakuiert werden, nachdem Seismologen in der Nacht verstärkte unterirdische Aktivitäten gemessen hatten. Gestern stieß der Vulkan unter dem Gletscher immer noch Asche in die Luft. Die gigantischen Mengen an Schmelzwasser ließen die Pegelstände mehrerer Flüsse um bis zu drei Meter steigen. Brücken über wichtige Straßenverbindungen gelten als gefährdet.
Auch Bauer Eggertsson klagt über beschädigte Wasserleitungen auf seinem Hof. Noch mehr ängstigt er sich aber vor der Asche. "Ich fürchte, dass der Wind in den kommenden Tagen die Wolke zu uns bringt", sagte der vierfache Vater dem Abendblatt. "Deshalb arbeite ich jetzt mit aller Kraft daran, den Stall zu präparieren." Seine Horrorvision ist eine Situation wie im Jahr 1918, als nach einem Vulkanausbruch alle Tiere im näheren Umkreis starben. Todesfälle gibt es zwar noch keine, in einigen Regionen wird aber von einem dicken Ascheregen, von Sichtweiten unter 50 Metern berichtet, Tausende Hektar Land sollen mit einer grauen Schicht bedeckt sein. Die Anwohner dürfen nur mit speziellen Masken ihre Häuser verlassen. Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen wird geraten, zu Hause zu bleiben. "Es ist richtig unheimlich, in der elektrisch aufgeladenen Aschewolke zucken ständig Blitze", sagt Christiane Bahner, die seit elf Jahren auf Island lebt. Mit ihrem Mann, zwei Töchtern und einigen Tieren bewohnt sie einen Hof 15 Kilometer vom Vulkan entfernt. "Keiner weiß, was noch auf uns zukommt."
Das Problem für die Landwirte: Sowohl der Ascheregen als auch schwefelhaltige Schmelzwasser können das Weideland für Jahre unbrauchbar machen. Auch die Heuernte dürfte ruiniert sein, was für die zahlreichen Pferdezüchter bitter ist. Die isländische Wirtschaft leidet ohnehin stark unter den Auswirkungen der Finanzkrise, die die Insel mit 320 000 Einwohnern an den Rand des Staatsbankrotts brachte. Seit der Besiedlung Islands im neunten Jahrhundert ist der Vulkan unter dem Eyjafjallajökull-Gletscher erst fünfmal ausgebrochen. Dieser Ausbruch war nach Angaben von Wissenschaftlern mehr als zehnfach stärker als der letzte Ende März. Wie lange die Eruptionen andauern, ist laut dem Geophysiker Magnus Tumi Gudmundsson schwer vorherzusagen. Es könne zwischen Tagen und "mehr als einem Jahr" beben. Angesichts der Heftigkeit des jüngsten Ausbruchs rechnet er mit einer "langen Zeit".