Der exzessive Alkoholkonsum bei Jugendlichen nimmt stark zu. Mit einem neuen Buch wollen Experten Wege aus der Alkoholfalle aufzeigen.
"Alkohol trinken ist doch ganz normal. Nur weil ich am Wochenende mit meinen Mädels loszieh und ein paar Cocktails trink, bin ich doch nicht gleich eine Alkoholikerin. So 'nen Absturz hat doch jeder mal. Das kommt doch nur alle paar Wochen mal vor." Diese Aussage der 16 Jahre alten Nina ist symptomatisch für die Trinkgewohnheiten, die immer mehr Jugendliche praktizieren. Sie stammt aus dem neuen Buch "Wenn Jugendliche trinken - Auswege aus Flatrate-Trinken und Koma-Saufen", das gestern in Hamburg vorgestellt wurde.
Die Hälfte der 16- bis 17-Jährigen in Deutschland betreibt mindestens einmal im Monat Binge-Drinking. Das bedeutet, sie konsumieren zu einem Anlass mindestens fünf alkoholische Getränke", sagt Prof. Rainer Thomasius, Leiter der Jugendsuchtstation und der Drogenambulanz am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) und einer der Autoren des Buches. Diese Zahlen würden im europäischen Vergleich nur noch von Dänemark übertroffen.
Der problematische Konsum von Alkohol bei Jugendlichen nimmt stark zu. "Diejenigen, die trinken, trinken immer extremer. Und der Einstieg in den Alkoholkonsum findet immer früher statt. Heute macht die Hälfte aller Zwölfjährigen bereits erste Erfahrungen mit Alkohol", sagt der Suchtexperte. Laut einer repräsentativen Studie trinken acht Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen zu viel.
Dabei wird unterschieden zwischen Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit. Der Missbrauch bezeichnet das einmalige oder wiederholtes übermäßiges Trinken. "Weiter liegt ein Missbrauch vor, wenn der wiederholte Konsum dazu führt, dass Ihr Kind wichtige Aufgaben in Schule, Beruf und Familie vernachlässigt, körperlich Schaden nehmen könnte, z. B. alkoholisiert Fahrrad oder Auto fährt, mehrmals unter Alkoholeinfluss mit dem Gesetz in Konflikt gerät und trotz fortgesetzter Probleme mit seinem Umfeld weiter am zu starken Alkoholkonsum festhält", schreiben die Autoren. Von Abhängigkeit spricht man dann, wenn der Wunsch, Alkohol zu trinken, übermächtig wird und es auch zu körperlichen Entzugserscheinungen kommt.
Die Auswirkungen des Trinkens auf die Gesundheit können erheblich sein. "Die Entwicklung des zentralen Nervensystems wird beeinträchtigt, bis hin zu Lernstörungen", sagt Thomasius. Weitere Folgen: "Erhöhtes Brustkrebsrisiko, Hormone im Ungleichgewicht, häufiger Krebs in Rachen und Verdauungstrakt, das Herz-Kreislauf-System leidet, Leberschaden und Durchfälle, Allergien nehmen zu, Schäden an ungeborenen Kindern." Zudem steigt bei Jungen das Risiko für Gewalttätigkeit, Schulversagen und Eigentumsdelikte, bei depressiven Mädchen ist das Suizidrisiko erhöht.
Die Gründe für das exzessive Trinken können sehr unterschiedlich sein. Besonders anfällig seien Kinder, die schon im jungen Alter Verhaltensauffälligkeiten zeigten, sagt Thomasius und nennt als Beispiel depressives Verhalten bei Mädchen.
Prof. Frank Häßler aus Rostock, ein weiterer Autor des Buches, hat in einer Untersuchung mit 188 Jugendlichen, die wegen einer Alkoholvergiftung in eine Klinik eingewiesen wurden, festgestellt: "Diese Patienten kommen aus allen sozialen Schichten. Das höchste Risiko haben Kinder aus Single-Haushalten."
Um wiederholte Trinkexzesse zu verhindern, sei das Wichtigste, mit den Jugendlichen im Gespräch zu bleiben, betont Häßler. Darin müssen zunächst die Umstände geklärt werden, die zum Trinken geführt haben. "Ist es Lust oder Frust? Und wenn es Frust ist, müssen Eltern den Ursachen auf den Grund gehen, zum Beispiel Problemen in der Schule, und Hilfen anbieten."
Generell rät Thomasius den Eltern: "Versuchen Sie, den Alkoholkonsum Ihres Kindes so weit wie möglich nach hinten zu schieben, frühestens ab 14 Jahren." Das bedeute auch, Kindern und Jugendlichen nicht einfach bei Familienfeiern ein Glas Alkohol zu genehmigen.
Mit ihrem Buch wollen die Experten Jugendlichen und ihren Eltern helfen, ihre Situation richtig einzuschätzen, und ihnen Orientierungshilfen anbieten. Sie erklären, wie Eltern, Lehrer und Jugendbetreuer ihre Schützlinge auf das Thema Alkohol ansprechen können - ohne Vorwürfe oder Peinlichkeiten - und zeigen Wege aus der Alkoholfalle.
"Wenn Jugendliche trinken, Auswege aus Flatrate-Trinken und Koma-Saufen: Jugendliche , Experten und Eltern berichten", Prof. Rainer Thomasius, Dr. Thomas Nesseler, Prof. Frank Häßler, Trias Verlag, Stuttgart, 17,95 Euro, ISBN 978.3 8304 3521 1