Hamburg. Virtuelle Realität, Virtual Reality (VR), wird langfristig unser Sehverhalten verändern. Ein Gespräch mit zwei Hamburger Experten.

Man sieht sie noch nicht oft – aber doch immer häufiger: Menschen mit großen dunklen Brillen vor den Augen, die ihre Köpfe auffällig hin- und herbewegen. Mittlerweile sind mehrere Modelle auf dem Markt. Wer sie aufsetzt, kann mithilfe von Computerprogrammen in Welten eintauchen, die real wirken, obwohl sie es gar nicht sind. Virtual Reality (VR) lautet das Stichwort. Wie wird diese Technologie in Zukunft unseren Alltag beeinflussen? Welche Auswirkungen könnte das auf den Medienstandort Hamburg haben? Ein Gespräch mit Professor Frank Steinicke, Informatiker und Spezialist für Mensch-Computer-Interaktion an der Universität Hamburg, und Michael Lehmann, Produktionschef von Studio Hamburg.

Welche Lebens­bereiche werden in Zukunft von Virtual Reality beeinflusst?

Frank Steinicke, Informatiker und Spezialist für Mensch-Computer-Interaktion
Frank Steinicke, Informatiker und Spezialist für Mensch-Computer-Interaktion © Universität Hamburg | Universität Hamburg

Frank Steinicke: Die Technologie gibt es seit fast 60 Jahren. In den 90ern gab es schon einmal einen Hype, aber erst jetzt, da sich der Smartphone-Bereich so enorm entwickelt hat, profitiert auch die Virtual-Reality-Technologie davon. Wir haben jetzt also endlich die Möglichkeit, diese Technologien kostengünstig zu verwenden. Ich glaube, ­Virtual Reality wird vor allem folgende Bereiche verändern: Games-Entertainment, Tourismus, Architektur und die Kommunikation im Bereich Social ­Media.

Was bedeutet das für ein Studio, das Unterhaltung herstellt?

Michael Lehmann, Geschäftsführer der Studio Hamburg Produktion Gruppe (SHPG)
Michael Lehmann, Geschäftsführer der Studio Hamburg Produktion Gruppe (SHPG) © Pressebild.de/Bertold Fabricius | Pressebild.de/Bertold Fabricius

Michael Lehmann: Es ist für uns die große Herausforderung herauszufinden, wie wir das unseren Zuschauern näherbringen können. Wie kann man in althergebrachte Sehgewohnheiten neue Elemente einflechten, um sie an neue Ideen heranzuführen? Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir das im Bereich Fiktion erst einmal nach ganz hinten stellen. Es werden zwar von Studenten immer wieder spannende Projekte aus diesem Bereich an uns herangetragen, aber sie sind noch zu singulär. Grundsätzlich muss ein Umdenken stattfinden. Um einen Film herum können wir Welten entstehen lassen und dem Zuschauer Teilaspekte des Films über Virtual Reality näherbringen. Eins muss allen klar sein: Das Projekt hört nicht auf bei der Ausstrahlung im TV. Wir fragen uns, ob sich ein neuer Geschäftsbereich ergibt oder ob es Zusatzapplikationen gibt, die wir in bestehende Projekte einbringen können.

Können Sie?

Lehmann: Im Dokumentations- und Entertainment-Bereich werden wir es wohl auf lange Sicht integrieren können, insbesondere beim Naturfilm. Sich in diese Welten hineinbewegen zu können hat etwas Haptisches. Das wird auch das Sehverhalten verändern.

Steinicke: Der Vorteil von Virtual Reality ist das hohe Präsenzgefühl, dass die Technologie erzeugen kann. Ich nehme eine künstliche Umgebung als reale Welt wahr, es ist eine Illusion. Wenn ich ein Spiel spiele, will ich mich nicht nur mit den Protagonisten identifizieren, ich will derjenige sein, der das da gerade erlebt. Man muss sich genau überlegen, wo das Sinn macht.

Lehmann: Für mich als Produzent sind zwei Dinge wichtig: Erstens das Lagerfeuergefühl, das einen die Nähe zu anderen Menschen suchen lässt. Es ist zwar wunderbar, mit einer Maske auf dem Kopf so nah wie möglich bei einem Fußballspiel dabei zu sein. Aber noch wichtiger ist mir der Spruch eines Freundes neben mir, der sich mal wieder über den Schiedsrichter aufregt. Aber auch daran arbeitet die Forschung ja schon, dass wir zusammen im Stadion sitzen können. Zweitens erzählt man heute viel schneller als noch vor Jahrzehnten.

Steinicke: Wenn man sich ein 360-Grad-Kino vorstellt, das man sich via VR-Brille ansieht, hat man als Regisseur nicht mehr unter Kontrolle, wo die Leute eigentlich hinschauen. Man muss natürlich aufpassen, dass die Rezipienten nicht versehentlich die Hälfte der Geschichte gar nicht mitbekommen. Dabei liefert das Theater gute Inspiration.

Neue Technologien setzen immer auch einen Wettbewerb in Gang. Wer setzt da zurzeit die technischen Standards? Wer führt in der Forschung?

Steinicke: In der Forschung haben die Amerikaner die Nase vorn. Im Silicon Valley gibt es so viele Start-ups in diesem Bereich. Aber Europa hinkt gar nicht so weit hinterher. Wir sind auf Augenhöhe mit den Amerikanern und Asiaten. Richtig spannend ist dann aber erst die nächste Generation der Geräte.

Wann wird das sein?

Steinicke: Ich denke, in zwei Jahren.

Lehmann: Wenn Sony das geschafft hat, wird es eine Generation von 14-Jährigen geben, die auf diese Weise ihre Sehgewohnheiten schult. Für die müssen wir dann Inhalte schaffen. Das ist für die Kreativen von heute eine große Herausforderung. Den normalen Markt wird es auch weiterhin geben. Bisher lief die TV-Sozialisierung für Kinder über Sendungen wie „Frag die Maus“ oder „Die Pfefferkörner“. Das wird nicht so bleiben. Darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten.

Steinicke: Es ist erst seit wenigen Generationen so, dass die Welt, in die wir geboren wurden, eine völlig andere ist als die, in die wir unsere Kinder ent­lassen. Das war 200.000 Jahre nicht der Fall.

Laufen dazu schon Experimente im Unterhaltungsbereich?

Lehmann: Wir reden über den Kulturbereich. Wir haben zum Beispiel mit Thomas Hengelbrock zusammen die Arte-Sendung „Musik verstehen“. Wenn ich im Publikum sitze und ihn leibhaftig erlebe, werde ich noch einmal ganz anders mitgenommen, wenn er mir erklärt, wie die Oboe funktioniert.

Steinicke: Das lässt sich auch wissenschaftlich nachweisen. Wenn es darum geht, Informationen aufzunehmen und sie mit dem Langzeitgedächtnis zu verknüpfen, funktioniert es besonders gut, wenn es mit Emotionen verknüpft ist. Da entstehen neue Chancen für die Bildung, die uns noch gar nicht bewusst sind. Wir haben ein Projekt mit dem Archäologischen Museum, bei dem wir die Hammaburg dreidimensional visualisiert haben. Ich kann sie mir nicht nur ansehen, ich kann mich in ein paar ­Jahren auch auf den Domplatz stellen, setze eine Datenbrille auf, und ein Agent kommt zu mir, um mir zu erklären, wie Hamburg entstanden ist.