Das Internet verändert das Fernsehen von Grund auf. Für die Sender wird es schwerer, Zuschauer mit der üblichen Programmstruktur zu erreichen.
Berlin. Filme und Serien satt, wann und wo auch immer: Die schöne TV-Welt ist längst da. Immer mehr Zuschauer befreien sich vom Zeitkorsett zwischen Morgenmagazin, Abendnachrichten und Late Night. Ob als Video on Demand (VoD), als Internet-Stream gegen eine Monatspauschale (SVoD) oder Mediathek – Fernsehen wird immer mehr konsumiert, wenn die Zuschauer – und nicht die Sender – es wollen. Ein Medium wird neu erfunden.
In den USA ist Netflix gerade zum größten Fernsehanbieter aufgestiegen. Das Unternehmen hat mehr als 24 Millionen Kunden. Aus einer DVD-Datenbank von mehr als 100 000 Titeln können sie Filme und Serien per Post oder als SVoD-Streaming-Service nach Hause gegen eine Monatspauschale zwischen acht und 16 US-Dollar (etwa 13 Euro) bestellen. In diesem Jahr will Netflix weitere sieben Millionen Kunden gewinnen.
Auch in Deutschland steht dem Fernsehen die Neuordnung durch das Internet bevor. Nach einer Umfrage im Auftrag des IT-Branchenverbands Bitkom liegt die individuelle Videonutzung bei durchschnittlich etwa 50 Minuten pro Tag. Ende 2010 waren es noch 34 Minuten. An der Spitze steht das werbefinanzierte Videoportal YouTube von Google. Doch auch andere Plattformen bieten mittlerweile Filme auf Abruf – kostenlos und ganz legal.
+++YouTube-App fliegt aus neuer iPhone-Software+++
+++Teilerfolg für die Gema: Youtube muss Titel entfernen+++
Google hat einen eigenen Filmverleih vergangene Woche über die Plattform Play in Deutschland gestartet. Der Suchmaschinenkonzern hat Verträge mit großen US-Studios wie Paramount, NBC-Universal Disney und Sony und deutschen Studios wie Prokino, Senator Film, Tiberius Film und Universum Film. Es fehlen noch wichtige Anbieter wie Warner, Fox oder MGM, die beispielsweise von Apple über iTunes angeboten werden. Auf einem Computer läuft der Verleih über einen herkömmlichen Web-Browser. Komplizierter wird eine Übertragung der Inhalte auf den Fernseher, da in Deutschland die Settopbox Google TV noch nicht verfügbar ist.
Auch Amazon hat auf dem deutschen Markt Fuß gefasst. Über Lovefilm können Kunden DVDs bestellten, sich aber die Filme auch nach Hause bestellen. Mit schnelleren Übertragungswegen wie der neue Internet-Standard LTE für die mobile Nutzung und eigens auf das Netz zugeschnittene Empfangsgeräte wie Hybrid-TV schreitet die Neuordnung des Fernsehens in Riesenschritten voran.
ARD und ZDF sind bereits im Netz unterwegs und haben ihre Mediatheken mit den eigenen Programmen aufgebaut, ProSiebenSat.1 betreibt mit Maxdome eine Programmbibliothek, RTL hat seine „now“-Plattformen. Beide Sendergruppen reagierten ungehalten, als vergangene Woche das Oberlandesgericht Düsseldorf eine Entscheidung des Kartellamts in letzter Instanz bestätigte und den Aufbau eines gemeinsamen Videoportals von RTL und ProSieben untersagte.
Die ProSieben-Gruppe und RTL wollten Sendungen zur Verfügung stellen, die die Zuschauer verpasst hatten. Das Angebot sollte für Nutzer kostenlos sein, werbefinanziert und offen für andere sein, also auch für die öffentlich-rechtliche Konkurrenz.
Zu groß sei die Werbemacht der beiden TV-Konzerne, befürchten die Kartellwächter – sehr zum Unverständnis von RTL-Chefin Anke Schäferkordt. „Wir arbeiten seit Jahren daran, dort zu sein, wo der Zuschauer ist“, sagte Schäferkordt. Jeder deutschsprachige TV-Sender sollte auf der Plattform die Möglichkeit haben, sein Angebot zu zeitversetzten Abruf anzubieten und sich selbst zu vermarkten. RTL will nun die eigenen Online-Angebote stärken, die Kölner verzeichnen bereits mehr als 100 Millionen Abrufe im Monat über die eigenen Portale.
Die Privaten sind dringend auf gemeinsame Netzauftritte angewiesen. Fernsehen, was ich will, wann ich will und wo ich will untergräbt die Programmplanung und die gezielte Ansprache der werberelevanten Zuschauergruppen.
Auch die Öffentlich-Rechtlichen arbeiten an der gemeinsamen Videoplattform „Germany’s Gold“, über die Filme und TV-Sendungen aus 60 Jahren abrufbar sein sollen. Dazu gehören Fernsehproduktionen wie Dokumentationen, Ratgebersendungen, TV-Movies, Serien, Kinder- und Jugendprogramme, Unterhaltungsshows sowie Spielfilme. Die Plattform soll sich durch Abrufentgelte und Werbung finanzieren. Das Portal wartet allerdings auf grünes Licht vom Kartellamts. Hinter „Germany’s Gold“ stehen neben ARD und ZDF etwa ein gut ein Dutzend Produktionsfirmen und Rechteinhabern.
Auch aus dem europäischen Ausland drängen Anbieter auf den Markt. Vor einigen Monaten hat der französische Medienkonzern Vivendi angekündigt, noch in diesem Jahr ein Streaming-Service zu starten. Europas größter Medienkonzern hat mit ZaoZa in Frankreich und Deutschland erste Erfahrungen gemacht. Mit Canal+ betreibt Vivendi bereits Abonnenten-TV und besitzt in Deutschland die mit Abstand größte deutsche Filmrechtebibliothek: das Erbe des verstorbenen Medienunternehmers Leo Kirch mit rund 7 000 Titeln. (dpa)