Hamburg. Für die Ghischtalleis ist das älteste afghanische Restaurant der Stadt ihr Wohnzimmer. Jetzt hat ihnen die Vermieterin gekündigt.

Kaneschka Ghischtallei steht im Hinterhof seines Restaurants und zeigt auf einen Baumstumpf. „Damit hat alles angefangen“, sagt der großgewachsene, stämmige Mann im blauen Poloshirt. Ende vergangenen Jahres sei seine Vermieterin mit mehreren Arbeitern gekommen und habe den haushohen Kastanienbaum fällen lassen. Eine der wenigen Male bei denen Ghischtallei persönlichen Kontakt zu ihr hatte. „Einen Grund hat sie mir damals noch nicht genannt“, sagt der 49-Jährige, dem der Baum viel bedeutet hatte. Sein Vater pflanzte ihn 1979 zur Eröffnung seines Restaurants. Das soll nun auch weichen – nach 40 Jahren.

Ghischtallei ist Geschäftsführer eines der ältesten Restaurants Hamburgs, dem Hindukusch im Grindelviertel. Das muss bis spätestens März 2020 schließen. Weil die Vermieterin den Mietvertrag gekündigt hat. „Kurz nachdem der Baum gefällt war, hat sie angerufen und gesagt, dass auch wir gehen müssen“, sagt Ghischtallei. Kurz darauf kam die Kündigung per Einschreiben. Seitdem habe die Vermieterin ihm jeden weiteren Kontakt verwehrt „Wir waren total geschockt, wie sie mit Menschen umgeht, die seit 40 Jahren Mieter sind“, erinnert sich Ghischtallei.

Angestellter Nasir Rasooli (v.l.), Mutter Nazia Ghischtallei, Besitzer Kaneschka Ghischtallei und Vater Asisullah Ghischtallei.
Angestellter Nasir Rasooli (v.l.), Mutter Nazia Ghischtallei, Besitzer Kaneschka Ghischtallei und Vater Asisullah Ghischtallei. © Sebastian Becht

Ein Grund habe sie ihm nicht genannt und eine von ihm schriftlich vorgeschlagene Mieterhöhung nicht einmal kommentiert. „Sie hat jemanden gefunden, der mehr zahlen kann als wir“, spekuliert Ghischtallei. Was ihn traurig mache, da sie zahlreiche Immobilien besitze und sicher keine Geldsorgen habe. Auch sei sein Vater mit dem mittlerweile verstorbenen Vater der Vermieterin viele Jahre gut befreundet gewesen und immer gut mit ihm ausgekommen. Doch seit die Tochter übernommen habe, hätte es kaum noch Kontakt gegeben. Und jetzt das. „Das Hindukusch ist für uns nicht nur ein Geschäft – es ist unser Zuhause, unser Leben“, sagt Ghischtallei.

Chance, in Deutschland Fuß zu fassen

Wer das kleine Lokal am Grindelhof 15 betritt, hat nicht das Gefühl, ein gewöhnliches Restaurant zu betreten. Es ist vielmehr als stünde man im Wohnzimmer der Ghischtalleis. Die tiefhängende Decke sorgt für eine behagliche Enge, an den Wänden hängen handgeknüpfte Teppiche umsäumt von allerlei Kunsthandwerk aus dem Orient und aus der Küche duftet es nach würzigen Spezialitäten aus Afghanistan.

„Mein Sohn ist hier aufgewachsen und verbringt noch immer den Großteil seines Tages im Restaurant – genau wie meine Gattin und ich“, sagt Asisullah Ghischtallei, der mit seiner Frau Nazia in der hinteren Ecke am großen Tisch sitzt und Tee trinkt. Hier verbringt das Ehepaar fast jeden Tag. Sie lesen Zeitung, sprechen mit den Gästen und essen gemeinsam mit der Familie, zu der sie auch die sieben Angestellten zählen. Einer von ihnen kommt aus Benin, der Rest aus Afghanisten – viele von ihnen Flüchtlinge, die im Hindukusch eine Chance gefunden haben in Deutschland Fuß zu fassen. Genau wie Asisullah Ghischtallei vor vielen Jahren.

Er und seine Frau kamen 1965 aus Afghanistan nach Deutschland. „Wir waren damals nur eine winzige Gruppe Afghanen in Hamburg“, erinnert sich der 81-Jährige. In seiner Heimat hatte er an einer Goetheschule Deutsch studiert. In Hamburg versuchte er sich zunächst als Dolmetscher, dann handelte er mit alten Bussen, die er in seine Heimat exportierte. Doch seine Leidenschaft war schon immer die Gastronomie.

Schwer, bezahlbare Gewerbefläche zu finden

„Damals gab es in Hamburg noch kein afghanisches Restaurant – also haben wir uns entschieden, den Hamburgern ein Stück unserer Kultur näher zu bringen“, sagt Asisullah Ghischtallei. Nach alten Familienrezepten kreierte seine Frau eine Speisekarte, von der auch heute noch, 40 Jahre später, die meisten Gerichte unverändert auf der Karte stehen und von zahlreichen Gästen geschätzt werden.

„Jeder der in Hamburg studiert hat war schon mal bei uns essen“, sagt der Sohn. Die Kunden seines Restaurants in unmittelbarer Nähe zur Universität schätzten die günstige, authentisch afghanische Küche die so unverwechselbar sei. Die zahlreichen guten Rezensionen bei den gängigen Online-Bewertungsportalen geben ihm Recht. „Zu uns kommen Menschen aus ganz Deutschland weil sie echte afghanische Gerichte probieren wollen, an einem Ort an dem sie es sich leisten können“, sagt Ghischtallei.

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Die familiäre Atmosphäre mache das Restaurant aus. Mit viel Arbeit habe seine Familie die Räumlichkeiten über Jahrzehnte hinweg mit Liebe zum Detail eingerichtet und unverwechselbar gemacht. Das sei auch einer der Gründe warum ihm ein Standortwechsel so schwer falle. „Selbst wenn ich einen anderen Ort finde, wäre es nicht mehr das Hindukusch wie es die Kunden kennen und lieben“, sagt Ghischtallei. Die wenigen freien Lokale würden nur vermietet, wenn auch die Einrichtung mit übernommen werde. Außerdem seien der Abstand und die Miete wahnsinnig hoch. „Es ist unglaublich schwer in Hamburg bezahlbare Räumlichkeiten zu finden“, sagt Ghischtallei, der sich nichts mehr wünscht, als einfach so weiter zu machen wie bisher.

Das wird laut Siegmund Chychla kaum möglich sein. „Wenn der Vermieter nicht will, ist da nichts zu machen“, sagt der Geschäftsführer des Mieterverein zu Hamburg. Für Wohnraum genießen Mieter einen doppelten Schutz. Vor zu hohen Mieterhöhungen und Kündigung. „Diese Privilegien haben gewerbliche Mieter nicht“, sagt Chychla. Auch dann nicht, wenn das Gewerbe gefühlt das eigene Wohnzimmer ist.