Hamburg . Wie der legendäre Gastronom ein heruntergewirtschaftetes Restaurant am üblen Teil an der Elbstraße übernahm.
Alles begann mit einem Glas Weißwein. Das trank Rüdiger Kowalke 1980 mit seinem Freund Heinz Schlünkes in einem gemeinsamen Urlaub in Portugal. Sie kamen dabei ins Reden. Kowalke erinnert sich in seiner Autobiografie „Fisch Kult“ (Edel Books) noch genau an diesen Moment: „,Das Sellmer wird frei. Das wäre doch was für dich?‘, sagte Schlünkes und schenkte uns nach. Sellmer? Den Namen kannte ich, dort gewesen war ich noch nie. Das Restaurant hatte einen guten Ruf. Wobei die Betonung auf ,hatte‘ lag.“
Der Laden direkt an der Elbe war in den 50er-Jahren von Hermann Sellmer gepachtet worden und schnell zum bekanntesten Fischrestaurant der Stadt aufgestiegen. Doch nach der Pensionierung des Namensgebers war es durch verschiedene Hände gegangen, der Erfolg verblasst. Kowalke schreibt: „Der letzte Betreiber war passionierter Jäger. Auf seiner Speisekarte standen vorwiegend Wildgerichte. Vor den Fenstern zum Strom hingen Tüllgardinen, auf den Fensterbänken standen Blumentöpfe. Es fehlten nur die Hirschgeweihe an den Wänden – und fertig wäre die Försterklause an der Elbe.“
Der 33-jährige Kowalke lebte und arbeitete damals als Geschäftsführer von zwei Restaurants und einem Hotel in Kaltenkirchen. Das alles aufgeben für ein heruntergekommenes Restaurant an der Elbe? Verrückter Gedanke. Fand zumindest seine Frau Christa. Kowalke selbst sah das ganz anders: „Ich hatte einen Traum, von dem ich keinem etwas erzählte: ein kleines Restaurant in der Hamburger oder Lübecker Innenstadt, höchstens 30 bis 40 Plätze, mit exzellenter Küche, die dem Haus bald ein bis zwei Michelin-Sterne einbringen würde. In Gedanken hatte ich es schon eingerichtet. Ich wusste genau, welche Tische, Stühle, Gläser, welches Besteck und Geschirr ich kaufen würde, und auch die technischen Details der Küche hatte ich im Kopf. Die Rezepte der kleinen, feinen Karte sowieso.“
Kowalkes Traum: ein kleines Restaurant auf Sterne-Niveau
In diesen Traum passte das alte Sellmer zwar nicht direkt rein. Zum Wunsch nach einem eigenen Restaurant im großen Hamburg allerdings schon. „Auf eigenen Beinen stehen, das wollte ich, mein eigener Chef sein.“ Doch was würde seine Frau zu dieser verrückten Idee nur sagen? „Als ich ihr damals erzählte, dass ich mich für das Objekt bewerben möchte, hielt sie das für eine Schnapsidee: In Hamburg bis spät in die Nacht arbeiten und in Kaltenkirchen wohnen? Das geht auf die Dauer nicht. Und dann das finanzielle Risiko! Ich gab ihr recht. Aber wenigstens mal ansehen! Dazu ließ sie sich überreden.“
Die erste Begegnung mit dem späteren Fischereihafen Restaurant war alles andere als überzeugend, erinnerte sich Kowalke. „Große Elbstraße, der Name machte was her. Aber damals war es eine Schmuddelecke: baufällige Lagerhallen, Schuppen, unbeleuchtete Speicher, schwimmende Asylantenheime. Durchs Autofenster drang der Geruch von brackigem Wasser und Fisch, der hier angelandet, verkauft und verarbeitet wurde. Dazu kam der säuerliche Mief des Braugetreides. Dort, wo heute das schicke Stilwerk steht, wurde gemälzt. Am Straßenrand standen Mädchen und winkten uns auffordernd zu – nicht unbedingt die erste Garde des Gewerbes. Ich parkte vor der Hausnummer 143 – ein düsteres Backsteingebäude. Durch einen schummerigen Gang stiegen wir 29 Stufen hoch – meine Frau zählte sie laut mit. „Welcher Gast“, fragte sie, „will vor dem Essen bergsteigen?“ Im Lokal waren nur drei Tische belegt. Die Kellner standen gähnend im Hintergrund – eine Atmosphäre wie in einer HO-Gaststätte der DDR.“
Und trotzdem: Als Kowalke den Laden nach der Besichtigung wieder verließ, war ihm klar: Ich mache es. Auch, wenn seine Frau weiter dagegen sein sollte. „Es war eine Pattsituation: Sie wollte Sicherheit, ich wollte Veränderung. Beide wollten wir das um jeden Preis, auch um den Preis unserer Ehe. Was sie beim Anblick des Fischmarktes als ärmlich und ordinär empfand, kurbelte meine Fantasie an. Alles, was ich dort sah, war mir neu, alles fand ich spannend und machte mich neugierig auf ein neues Leben an diesem lebendigen Ort. Einem Ort, das ahnte ich, der sich in Kürze völlig verändern würde.“
Kowalke war nicht der einzige Interessent
Also bewarb er sich für den Laden. Doch Kowalke war nicht der einzige Interessent. Es gab mehr als 100 Bewerber. „Und mein erster Kontakt mit der Hamburger Fischmarkt GmbH deutete nicht auf einen erfolgreichen Abschluss. Ich bin ein höflicher Mensch, und dazu gehört für mich Pünktlichkeit. Um zehn Uhr sollte das Bewerbungsgespräch stattfinden. Elf Minuten nach zehn stand ich atemlos vor der Tür der Gesellschaft. Auf der Autobahn Kaltenkirchen-Hamburg war ich in einen Stau geraten. ,Tut uns leid‘, hieß es kühl, ,Sie sind zu spät. Sie können Ihr Konzept ja schriftlich einreichen.‘ Eine Woche, nachdem ich meine Bewerbungsunterlagen eingereicht hatte, erschien eine dreiköpfige Abordnung der Hamburger Fischmarkt GmbH in Kaltenkirchen. Sie guckte sich alles an, befragte Angestellte und Geschäftspartner, ließ sich von meinen Aktionen berichten – von den Matjestagen und Hawaii-Nächten –, diskutierte mit mir meinen Geschäftsplan, wollte eine Analyse, warum das jetzige Sellmer wie ein leckgeschlagenes Schiff dem Untergang entgegensegelte. Zwei Wochen später hatte ich den Zuschlag.“
Kowalke krempelte das Haus um. Die Zeit der Wildliebhaber sollte vorbei sein. Stattdessen würde es Fisch geben. Zwei Ausweichgerichte für Fleischesser, mehr nicht. „Zwischen traditionellen und trendigen Gerichten sollte die Küche balancieren, zwischen internationalen und regionalen. Was mit Fleisch schmeckt, überlegten wir, müsste auch mit Fisch Anklang finden. Warum nicht Kabeljau auf Sauerkraut? Geräucherter Lachs auf Grünkohl wurde ein Renner. Gefüllte Wachteln mit Jacobsmuscheln haben wir kreiert oder Kalbsbries mit Garnelen. Köstlichkeiten wie nordische Bouillabaisse, Austern in Champagnersauce, Wildlachs auf geschmortem Kürbisweinkraut, Skrei-Filet im Kräutersud, Zander auf Bohnenpüree und, und, und schwebten uns vor. Einfache Gerichte natürlich auch. Brathering zum Beispiel. Und, ganz wichtig, Labskaus, das traditionelle Seemannsgericht zu Zeiten der Frachtsegler.“
Es gab also Rezeptideen ohne Ende, nur leider kein Team, das all diese Ideen umsetzen konnte. Seine guten Kontakte in der Branche halfen Kowalke jedoch. „Armin Scherrer vom sternegekrönten Haus an der Elbchaussee half mir schließlich aus der Patsche. Er hatte eine Liste von jungen Bewerbern, die auf seiner Warteliste standen. Ich suchte mir die besten raus.“
Im März 1981 feiert Kowalke eine große Eröffnungsfeier
Ganz so einfach, wie es sich gedacht hatte, gestaltete sich die Übernahme dann aber doch nicht: „Der Umbau zog sich hin. Noch war nichts so, wie ich es mir vorstellte. Küche und Service liefen nicht rund – nur die Miete lief ... Vielleicht hätte ich den Neuanfang nicht gewagt, wenn mir bewusst gewesen wäre, was da alles zusätzlich auf mich zukam. Es begann mit einer Abfindung von 75.000 DM für Ware und Inventar, die ich nicht hatte. Mein Haus in Kaltenkirchen stand erst seit ein paar Monaten. Das Bankkonto war leer. Schließlich sprangen meine Lieferanten ein, und auch die Hausbank ließ sich nach einigen Bedenktagen erweichen.“
Die offizielle Eröffnung unter dem Namen „Fischereihafen Restaurant Hamburg“ wurde am 2. und 3. März 1981 gefeiert. Kowalke, ein genialer Netzwerker, wie sich in all den Jahren zeigen sollte, hatte auch diesen Tag genau vorbereitet: „6000 Briefe hatte ich an Hafen- und Schifffahrt bezogene Firmen verschickt, dazu Freunde und Prominente eingeladen. Es wurde ein rauschendes Fest. Und das Hamburger Abendblatt titelte am nächsten Tag: ,Ein neuer Stern am Hamburger Fischmarkt‘.“