Frauen erkranken doppelt so häufig an einer Depression wie Männer. Die Ursachen des psychischen Leidens sind umstritten.
Melancholie und Niedergeschlagenheit: Im 19. Jahrhundert sprachen Dichter vom "Weltschmerze", der "tiefen Traurigkeit über die Unzulänglichkeit der Welt". Heute ist die Niedergeschlagenheit, die Depression (lat. deprimere, "niederdrücken") vor allem eines: eine therapiebedürftige Krankheit.
Die Depression ist die in Norddeutschland am stärksten verbreitete psychische Erkrankung. Allein in Hamburg sind nach Schätzungen 87 000 Menschen betroffen - die Dunkelziffer ist hoch. Ärzte vermuten, dass fast jeder Mensch im Laufe seines Lebens einmal an einer Depression leidet.
"Vereinfacht gesagt diagnostizieren wir bei einem Menschen eine psychische Störung, wenn ihn sein Verhalten im Alltag einschränkt", sagt Prof. Michael Sadre-Chirazi-Stark, 59, Chefarzt der Psychiatrie und Psychotherapie im Asklepios-Westklinikum. Depressive Menschen verlieren sich häufig in einer Spirale der Hoffnungslosigkeit: "Wer sich sagt: 'Das schaffe ich sowieso nicht', der scheitert, weil er sich einer Aufgabe erst gar nicht stellt", sagt Stark. Ausgelöst wird dieses Verhalten von Gefühlen, die für die Depression symptomatisch sind: Hoffnungslosigkeit, Minderwertigkeit und Hilflosigkeit. Ärzte sprechen von einer "Stimmungseinengung" der Patienten, die ihr Unvermögen zu Freude und Trauer beschreibt - dies kann auch durch das positive Zureden anderer Personen nicht aufgehellt werden. Die Emotionen führen oft zu Selbstisolation, Schuldgefühlen und Gedankenkreisen ("Grübelzwang"), darüber hinaus zu Konzentrationsstörungen und Entscheidungsschwäche.
"Erst wenn die Symptome über mehrere Wochen hinweg auftreten, sprechen wir von einer Krankheit", sagt Stark. Oftmals ist die psychische Niedergeschlagenheit eine gesunde Reaktion. Nach Schicksalsschlägen, wie dem Tod eines nahestehenden Menschen, ist die Trauerreaktion ganz natürlich, um das negative Erlebnis zu verarbeiten. "Erst wenn Schlafstörungen, Gedankenkreisen und andere Symptome chronisch und längerfristig auftreten, ist eine psychische Störung wahrscheinlich", erklärt Stark.
Die depressive Erkrankung unterteilt sich in drei Varianten: die akute Depression (ausgelöst durch ein aktuelles Ereignis, zum Beispiel einen Autounfall), die unipolare Form (symptomatisch sind frühes Aufwachen, Schlafstörungen und Niedergeschlagenheit) und die bipolare affektive Störung, die früher als manisch-depressive Erkrankung bekannt war und nur selten auftritt (Patienten leiden hierbei unter dem Wechsel von Depression und Manie).
Üblicherweise verläuft die Depression in begrenzten Zeitabschnitten, den Episoden, die mindestens zwei Wochen andauern und in denen der Patient unter Interessenverlust, Freudlosigkeit und Antriebsmangel leidet. Rund die Hälfte der Episoden endet nach sechs Monaten, zumeist mit einem vollständigen Nachlassen der Symptome ("Vollremission"). Nur zehn Prozent der Betroffenen erleben Episoden, die länger als ein Jahr andauern. Die Wahrscheinlichkeit jedoch, innerhalb der nächsten fünf Jahre erneut an einer Depression zu erkranken, beträgt ca. 60 Prozent.
Die Ursachen der Erkrankung sind in der Fachwelt umstritten. Zwillingsstudien belegen, dass genetischen Faktoren eine hohe Relevanz zukommt, aber auch Umweltfaktoren spielen eine große Rolle. "Wir gehen von einer komplexen Wechselwirkung aus. Die genetische Disposition eines Menschen kann dazu führen, dass er eine höhere Stressanfälligkeit hat und eher an seine Grenzen kommt", erklärt Stark.
Auch Botenstoffe im Gehirn sind relevant. Im Blut von Depressiven lassen sich in der Regel erhöhte Werte des Stresshormons Cortisol nachweisen. Auch das sogenannte serotonerge System im Gehirn - das ebenfalls Stress reguliert - ist gestört, wodurch sich die Reizbarkeit der Synapsen verändert. Experten vermuten daher einen Zusammenhang zwischen Depressionen und Stress, auf den auch das bekannte "Burn-out-Syndrom" hinweist.
Im Mittelpunkt der Behandlung einer Depression steht in der modernen Psychiatrie der Auslöser der Erkrankung. "Während früher bestimmte Arten von Depressionen ausschließlich mit Medikamenten behandelt wurden und andere ausschließlich mit Mitteln der Psychotherapie, sind wir nun einen Schritt weiter", sagt Michael Stark.
Heute nutzen Ärzte das ganze Instrumentarium der Therapieformen gleichzeitig. Dazu zählen Medikamente und verschiedene Formen der Psychotherapie. Durch wissenschaftliche Untersuchungen fundiert, verbuchen Therapien die besten Ergebnisse, die medikamentöse und verhaltenstherapeutische Ansätze kombinieren. Auf Basis von Medikamenten werden die Nervenbotenstoffe im Gehirn reguliert. Antidepressiva wie zum Beispiel die Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, SSRI, erhöhen die Konzentration des Neurotransmitters Serotonin. Damit soll die Balance der Botenstoffe wiederhergestellt werden.
Bei der Psychotherapie steht hingegen das Gespräch zwischen Arzt und Patient im Mittelpunkt. Durch die sogenannte "kognitive Verhaltenstherapie" etwa, bei der beide gemeinsam nach den depressionsauslösenden Denk- und Verhaltensmustern suchen, soll das Verhalten des Patienten nachhaltig verändert werden. Michael Stark: "Oftmals geht einer solchen Therapie eine psychopharmakologische Behandlung voraus, da viele Patienten gewissermaßen noch durch die Balancestörung der Nervenbotenstoffe blockiert sind."
Bei einer leichten oder mittleren Depression setzen Ärzte auch auf alternative Behandlungsmethoden wie Akupunktur, Lichttherapie und Johanniskraut. Spricht der Patient weder auf ambulante Psychotherapie noch auf Psychopharmaka an, sollte eine Behandlung in einer Klinik erwogen werden. "Die Chancen für eine Heilung stehen fast in allen Fällen sehr gut", sagt Stark.