Drei Hamburger Experten beantworteten die Fragen der Leser zum Thema Depression. Frauen erkranken doppelt so häufig daran, wie Männer.
Hamburg. Was kann ich selbst bei einer Depression tun und wie kann ich betroffenen Angehörigen helfen? Auf große Resonanz stieß die Telefonaktion des Abendblatts zum Thema Depression, die gestern im Axel-Springer-Haus stattfand. Die Fragen der Leser beantworteten Prof. Michael Sadre Chirazi-Stark, Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Asklepios-Westklinikum in Rissen, Prof. Bernd Löwe, Chefarzt der Abteilung für Psychosomatik an der Schön-Klink Hamburg-Eilbek und am Universitätsklinikum Eppendorf, und Dr. Sascha Hoffmann, Oberarzt in der Klinik für Kinderpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik am Universitätsklinikum Eppendorf. Die wichtigsten Fragen und Antworten haben wir hier zusammengefasst:
Was versteht man unter einer depressiven Erkrankung?
Löwe: Dabei handelt es sich um einen Komplex von unterschiedlichen Beschwerden. Dazu zählen Niedergeschlagenheit, Interessenverlust, ein Rückzug von Familie und Freunden, reduzierter Antrieb, Energielosigkeit, Konzentrations- und Schlafstörungen, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, manchmal innere Unruhe und Gedanken an Tod oder Suizid. Auch körperliche Beschwerden wie Herzklopfen, Schmerzen oder Hautausschläge können Ausdruck einer Depression sein. In diesem Fall müssen körperliche Ursachen abgeklärt und die Depression parallel behandelt werden.
Wie kann ich einen depressiven Angehörigen dazu bewegen, sich professionelle Hilfe zu suchen?
Löwe: Der erste Schritt ist immer das Gespräch mit dem Betroffenen. Dabei kann beispielsweise die Sorge um den Betroffenen ausgedrückt werden und die Bereitschaft, ihn bei den weiteren Schritten zu unterstützen. Ansonsten hilft der Hausarzt, der eine gezielte Überweisung zu einem Psychotherapeuten, Psychosomatiker oder Psychiater ausstellen kann. Wenn der Patient dies ablehnt, kann auch manchmal die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe hilfreich sein. Es gibt in Hamburg mehrere Selbsthilfegruppen, in denen Betroffene miteinander sprechen können. Adressen erfahren Sie über die Kontakt- und Informationsstelle der Selbsthilfegruppen KISS (Tel. 395767).
Ist die Einnahme von Antidepressiva mit einer Gewichtszunahme verbunden?
Stark: Es gibt Medikamente, die zu einer Gewichtszunahme führen. Oft kehrt mit Abnahme der Depression auch das normale Essverhalten zurück und das Essverhalten normalisiert sich wieder. Es besteht auch die Möglichkeit, nach Absprache mit dem Arzt das Medikament zu wechseln. Man kann außerdem selbst versuchen, sein Essverhalten zu ändern, indem man Obst und Gemüse für eine eventuelle Heißhungerattacke bereithält.
Machen Psychopharmaka abhängig?
Löwe: Von Beruhigungsmitteln aus der Gruppe der Benzodiazepine wie zum Beispiel Diazepam und Oxazepam kann man abhängig werden. Aber Antidepressiva, die gegen Depressionen, Angst, Schmerzen oder Schlafstörungen eingesetzt werden können, machen nicht süchtig.
Was kann man tun, wenn man unter enormem Leistungsdruck steht?
Stark: Viele Menschen sind extrem leistungsorientiert und holen sich ihre Selbstbestätigung aus ihrem Berufsleben. Der Körper ist eine Art Seelenenergietank. Dieser ist vergleichbar mit einem Auto. Wenn wir lange Strecken fahren, müssen wir auch mehr wieder auftanken. Unser Körper holt sich aus verschiedenen Bereichen die Energie, die wir für das tägliche Leben benötigen. Es gibt den Arbeits- und Leistungsbereich (Berufsleben), dann den privaten Bereich (Freundschaften, soziale Kontakte und Hobbys). Ich würde Ihnen empfehlen, sich in eine Verhaltenstherapie zu begeben, um nach dem Warum des Leistungsdrucks zu fragen.
Was kann ich gegen extremes Lampenfieber und Angst- und Panikzustände tun? Ich nehme bereits Medikamente, aber die helfen nicht.
Stark: Sie können mit Ihrem Arzt besprechen, das Medikament zu wechseln. Alternativen, die Sie mit Ihrem Arzt besprechen können, wie z. B. die Hypnotherapie, könnten Angstzustände reduzieren. Es ist ein Verfahren, die innere Anspannung zu reduzieren und so besser mit der Angst umzugehen. Ein weiterer Vorschlag wäre eine Verhaltenstherapie, in der der Therapeut mit Ihnen zusammen einen Weg findet, besser mit Ihrer Angst umzugehen.
Was kann ich gegen Schlafstörungen in den Wechseljahren tun?
Stark: Meine Empfehlung wären feste Rituale am Abend wie z. B. bei Kindern. Es ist wichtig einen festen Ablauf am Abend zu haben, damit der Körper zur Ruhe kommen kann. Schlafstörungen können mit der hormonellen Umstellung zu tun haben. Es gibt allerdings auch Menschen, die mit zunehmendem Alter weniger Schlaf brauchen. Da hilft es, ein festes Schlafritual einzuführen. In der Regel dauert es ca. vier Wochen, bis sich der Körper daran gewöhnt hat. Lesen Sie zum Beispiel ein Buch, machen Meditationsübungen oder trinken Sie eine heiße Milch mit Honig.
An welchen Symptomen merke ich, ob mein Kind eine Depression hat?
Hoffmann: Gerade bei kleineren Kindern ist das manchmal schwer zu erkennen, da sie innere Befindlichkeiten noch nicht so gut in Worten ausdrücken können. Als Faustregel kann gelten: Je jünger ein Kind ist, desto eher zeigen sich depressive Symptome auf körperlicher Ebene. Dies sind z. B. häufiges Weinen, Albträume, Bauch- und Kopfschmerzen, ein trauriger Gesichtsausdruck oder auch mangelnde Kreativität beim Spielen. Früher hat man gedacht, dass es Depressionen im Kindesalter nicht gibt, heute weiß man, dass sogar Säuglinge daran erkranken können. Bei älteren Kindern und Jugendlichen können sich Depressionen neben den typischen Symptomen von Freudlosigkeit und fehlender Energie auch anders zeigen: zum Beispiel durch Gereiztheit, aggressives Verhalten oder auch Konzentrationsschwierigkeiten
Mein Kind weint, wenn es zur Schule gehen soll, seine Noten werden schlechter. Was kann ich tun?
Hoffmann: Aufgabe der Eltern wäre in diesem Fall zunächst mal, den Druck aus der Situation zu nehmen und gemeinsam mit dem Kind zu verstehen, was dem Kind Sorgen in der Schule bereitet. Mögliche Gründe könnten sein: Eine schulische Überforderung, Probleme mit Mitschülern oder Lehrern oder aber Schwierigkeiten mit der Trennung von den Eltern. Auf jeden Fall ist ein Austausch mit den Lehrern notwendig. Wenn das Problem auch mit Unterstützung von Eltern und Lehrern nicht zu lösen ist, empfiehlt sich die Vorstellung bei einem Kinder- und Jugendpsychiater. Fest steht: Je länger das Kind nicht in die Schule geht, desto schwerer wird der Gang zurück.
Meine 16-jährige Tochter sagt, sie möchte sich umbringen. Wie ernst muss ich das nehmen?
Hoffmann: Leider ist der Suizid noch immer eine der häufigsten Todesursachen im Jugendalter. Grundsätzlich gilt: Jede Ankündigung einer Selbsttötung ist ernst zu nehmen. Wichtig ist in erster Linie, die Motivation einer solchen Äußerung zu verstehen. Nicht immer vertrauen sich Jugendliche mit ihren suizidalen Gedanken Erwachsenen an. Alarmsignale können sein: sozialer Rückzug, depressive Verstimmung, Suizidversuche im Bekanntenkreis. Meistens versuchen Jugendliche aber vor dem Suizidversuch in irgendeiner Form Gehör und Hilfe zu finden. In den allermeisten Fällen möchten die Betroffenen gar nicht sterben, sondern besser leben. Bei Verdacht auf eine suizidale Krise sollten die Eltern mit dem Kind offen über die Problematik und mögliche Suizidgedanken sprechen. Man sollte nicht zum Alltag übergehen, bevor verstanden ist, was der Hintergrund für die Suizidgedanken ist. Wichtig ist jedoch zu wissen, dass die Beschäftigung mit existenziellen Themen wie Tod und Leben zu dieser Entwicklungsphase dazugehören und Suizidgedanken keine Seltenheit sind. Im Zweifelsfall bedarf es aber professioneller Hilfe. (Zusammenfassung: Cornelia Werner, Yvonne Weiß, Dörthe Langecker)
Das beste Rezept ...
Eine leichte depressive Episode kann von allein abklingen, Ärzte bieten eine aktiv-abwartende Begleitung. Positiv wirkt körperliche Aktivität. Viele Betroffene neigen zur Selbstisolation - dabei sind Depressionen sehr gut behandelbar. Angehörige und Freunde sollten sanft zur Therapie ermutigen.
Morgen lesen Sie: Folge 3, Neurodermitis: Wie entsteht der quälende Juckreiz, und was kann ich bei Allergien tun?