Berlin. Nur wenige Menschen nutzen die von den Kassen gezahlte Darmkrebsvorsorge. Experten fordern Reformen. Und blicken dabei auch ins Ausland.
Darmkrebs zählt zu den häufigsten Krebserkrankungen in Deutschland und macht rund 10 Prozent der bösartigen Tumore aus. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts erkrankt hierzulande einer von 15 Männern und eine von 19 Frauen im Laufe des Lebens daran. Um bösartige Tumore zu verhindern oder frühzeitig zu erkennen, haben alle gesetzlich Versicherten ab 50 Jahren einen Anspruch auf Vorsorge. Häufig wird dieser aber nicht genutzt. Krebsforscher und Gastroenterologen fordern deshalb ein Umdenken.
Laut Richtlinie zur Krebsfrüherkennung können Personen im Alter von 50 bis 54 Jahren jährlich einen Test auf verstecktes Blut im Stuhl in Anspruch nehmen. Blut im Stuhl kann ein Hinweis auf Krebs sein. Bei einem unauffälligen Ergebnis können Personen ab 55 den Test alle zwei Jahren wiederholen, wenn sie die Alternative zum Stuhltest ausschlagen.
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Diese Alternative ist die Früherkennungskoloskopie, also eine Darmspiegelung. Sie wird Männern ab einem Alter von 50 Jahren und Frauen ab 55 Jahren angeboten. Bei unauffälligem Befund kann sie aktuell nach zehn Jahren wiederholt werden.
Die Koloskopie hat nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) das größte präventive Potenzial. Mit ihr wird das Risiko, an Darmkrebs zu sterben, effektiver gesenkt als mit dem Stuhltest. Wenn Darmkrebs in einem frühen Stadium erkannt wird, sind die Heilungsaussichten gut. Ein weiterer Vorteil: Bei der Darmspiegelung können Krebsvorstufen entdeckt und gleich entfernt werden.
Darmkrebsvorsorge: Spiegelung hat einen schlechten Ruf
Das Problem dabei: Die Koloskopie wird von vielen als unangenehm, wenn nicht angsteinflößend wahrgenommen. Nur etwa 20 Prozent der Berechtigten lassen sich so untersuchen, obwohl sie darüber von der Krankenkasse sogar explizit zum 50. und 60., beziehungsweise 55. und 65. Geburtstag schriftlich informiert werden.
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Bei der Darmspiegelung selbst untersuchen die Ärztinnen und Ärzte den gesamten Dick- und Enddarm mithilfe eines Endoskops. Das ist ein etwa fingerdicker, biegsamer Schlauch mit einer kleinen Kamera am Ende, der über den After eingeführt wird. Über einen Monitor können die Bilder aus dem Darminneren beurteilt werden. Die Darmspiegelung kann in der Regel ambulant durchgeführt werden. Wer Angst davor hat, kann vor Beginn der Untersuchung ein kurz wirksames Narkosemittel bekommen, um die etwa 20-minütige Untersuchung zu verschlafen.
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Die Vorbereitung einer Darmspiegelung ist recht aufwändig. Sie beginnt bereits viele Stunden vor der eigentlichen Untersuchung. Oft wird sie als unangenehm empfunden, weil eine Darmentleerung notwendig ist. Das bedeutet, dass Patienten über Stunden nichts essen dürfen und sehr häufig zum Klo müssen.
Krebsforscher: Auch „kleine Darmspiegelung“ ist effektiv
Hier setzen nun die Forderungen von Wissenschaftlern des DKFZ an. Sie haben unter der Leitung von Epidemiologe Prof. Hermann Brenner die Studienlage neu bewertet und dabei festgestellt: Auch die sogenannte „kleine Darmspiegelung“ könnte als effektive Vorsorge eingesetzt werden. Durch eine einmalige Untersuchung im Alter zwischen 55 und 64 Jahren lassen sich den Angaben zufolge annähernd zwei von drei Krebserkrankungen im Mastdarm und unteren Bereich des Dickdarms verhindern.
Auch bei der in der Fachsprache Sigmoidoskopie genannten Untersuchung kommt ein Endoskop zum Einsatz, das durch den After eingeführt wird. Die Sigmoidoskopie beschränkt sich aber auf einen kleineren Teil des Darms, was den Eingriff weniger belastend macht. Insbesondere sind die Vorbereitungen einfacher, weil keine komplette Darmentleerung, sondern nur eine teilweise Entleerung erforderlich ist. Diese erfolgt über einen Einlauf in den Darmausgang etwa eine halbe Stunde vor der Untersuchung. Sechs Stunden sollte man zuvor nichts mehr essen.
Die einfache Vorbereitung „ist ein wichtiger Aspekt mit Blick auf die Akzeptanz“, betont Hermann Brenner. „Würde man die Sigmoidoskopie als weitere Option für die Darmkrebsvorsorge anbieten, würden wahrscheinlich deutlich mehr Menschen diese nutzen.“
Auch Prof. Michael Hoffmeister vom DKFZ spricht sich dafür aus, den Stellenwert der Sigmoidoskopie in der Darmkrebsvorsorge zu überdenken. Das würde konkret bedeuten, diese Untersuchung in den Leistungskatalog für Vorsorgeuntersuchungen der gesetzlichen Kassen mit aufzunehmen und offensiv darüber zu informieren. Derzeit sei das in Deutschland nicht der Fall, erklärt Hoffmeister.
Stuhltest: Die Niederlande haben die Schwelle für die Teilnahme gesenkt
„De facto ist die Sigmoidoskopie bereits eine alternative Möglichkeit zur Darmkrebsvorsorge. So haben wir es auch in unserer Leitlinie stehen, als Kombination von Sigmoidoskopie und Stuhltest“, sagt Prof. Frank Kolligs, Chef-Gastroenterologe des Helios Klinikums Berlin-Buch und Sprecher der Taskforce Darmkrebs der Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Der Gesetzgeber habe sich aber dazu entschieden, nur Stuhltest und Koloskopie in den Vorsorgekatalog aufzunehmen und zu bezahlen.
Auch die Sigmoidoskopie zu etablieren, „wäre ein riesiger Akt“, so Kolligs. Wobei Deutschland dafür auch wegen fehlender Facharztkapazitäten nicht gut aufgestellt wäre. „Es ist doch schon heute so, dass Patientinnen und Patienten mitunter Monate auf eine Untersuchung warten müssen. Auch darf man bei der Diskussion nicht vergessen, dass bei einem auffälligen Befund in der Sigmoidoskopie immer noch eine komplette Darmspiegelung folgen muss.“
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Frank Kolligs schlägt deshalb eine andere Reform der Vorsorge vor: „Die Antwort darauf, wie wir die Teilnahmequoten bei der Darmkrebsvorsorge verbessern können, kommt für mich bei einem Blick in die Niederlande“, sagt er. Dort bekämen die Menschen nicht nur eine entsprechende Information zugeschickt, sondern auch zwei Wochen später einen Stuhltest. „Den kann man zu Hause machen und dann in einem bereits frankierten Umschlag wieder zurückschicken, dann bekommt man das Ergebnis.“
In den Niederlanden sei die Zugangsschwelle zur Vorsorge entsprechend niedrig. In Deutschland müssten Patienten erst zum Arzt. Kolligs: „Die Niederlande machen das gut und erreichen damit Teilnahmequoten von 70 Prozent.“