Experten haben den EHEC-Keim nachgewiesen - auf einer Gurke aus einer Mülltonne. Doch ob er die Krankheit auslöste, ist unklar.

Hamburg/Hannover/Berlin. Auf einem Gurkenrest aus einer Mülltonne in Magdeburg haben Experten die mutierte Form des EHEC-Keims nachgewiesen. Die Mülltonne gehört einer Familie, die an EHEC erkrankt ist und das nachgewiesene Bakterium ist vom Typ O104, also dem Auslöser des blutigen Durchfalls, an dem über tausend Menschen in Deutschland erkrankt und 26 gestorben sind.

Es ist der erste Nachweis des Erregers auf einem Nahrungsmittel. Allerdings ist unklar, ob auch die frische Gurke verunreinigt war. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Erreger von der erkrankten Familie auf die Gurke übertragen wurde, sagte der Sprecher des Landesgesundheitsministeriums, Holger Paech: „Es läßt sich nicht fundiert schlussfolgern, dass die Gurke Auslöser für die Ehec-Erkrankungen gewesen ist." Lebensmittelkontrolleure hätten in allen von der Familie frequentierten Lebensmittelgeschäften Proben genommen - ohne den Darmkeim zu finden. Die drei Familienmitglieder seien die einzigen Ehec-Fälle in Magdeburg, so Paech. Sie hätten keine Verbindung nach Norddeutschland gehabt.

Der Vater der Familie war nur leicht erkrankt, die Mutter wurde in einem Krankenhaus behandelt und ist inzwischen wieder entlassen worden. Beide sind 50 Jahre alt. Die erwachsene Tochter leidet noch unter HUS (Hämolytisch-Urämisches Syndrom), ist aber auf dem Weg der Besserung.

Die Zahl der EHEC-Erkrankten in Hamburg ist auf 928 gestiegen. 30 EHEC-Patienten und -Verdachtsfälle sind in den letzten 24 Stunden dazu gekommen. Sechs von ihnen haben sich mit der besonders gefährlichen Krankheitsform HUS infiziert. „Dies bestätigt die Einschätzung, dass aktuell die Fallzahlen langsamer steigen als in der Anfangsphase des Ausbruchsgeschehens. Es bleibt aber auch dabei, dass es zu früh wäre um Entwarnung zu geben“, sagte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). Von Montag auf Dienstag stieg die Zahl der Infizierten noch um 49 Fälle.

Die Hinweise auf den gesperrten Sprossen-Hof in Niedersachsen als mögliche Quelle für die EHEC-Epidemie verdichten sich derweil. Eine dritte Mitarbeiterin des Gärtnerhofs in Bienenbüttel sei im Mai vermutlich an dem Darmkeim erkrankt gewesen, teilte Niedersachsens Agrarminister Gert Lindemann (CDU) mit. Inzwischen sei sie aber wieder gesund. Bisher war nur die EHEC-Erkrankung einer Mitarbeiterin des Hofs bekannt, eine zweite litt ebenfalls unter Durchfall.

Auch zwei EHEC-Patienten in Cuxhaven wiesen Verbindungen zu dem verdächtigen Hof auf, erklärte Lindemann. „Das sind Betroffene, die Produkte aus Bienenbüttel konsumiert haben.“ Der Landkreis Cuxhaven ist mit mehr als 60 EHEC-Erkrankten der Schwerpunkt der Epidemie in Niedersachsen. Der Gärtnerbetrieb hatte meist über Zwischenhändler Sprossen an zahlreiche Restaurants, Hotels und Kantinen geliefert, deren Gäste teils dutzendfach an EHEC erkrankten. Betroffen waren unter anderem ein Golfhotel im Kreis Lüneburg, ein Restaurant in Lübeck sowie Kantinen in Darmstadt und Frankfurt am Main.

Allerdings hatten die EHEC-Fahnder bislang direkten keinen Erfolg auf dem Hof: In den ersten 23 von 40 Proben fand sich keine EHEC-Erreger. Auch eine alte, im Kühlschrank vergessene Sprossenpackung eines EHEC-Patienten war frei von den Bakterien. Unterdessen haben Ärzte der Universitätskliniken Greifswald und Bonn Hinweise auf die Ursache schwerer Verläufe bei EHEC-Patienten mit HU-Syndrom gefunden. Vieles deute darauf hin, dass neben dem Giftstoff Shigatoxin auch die Bildung von Autoantikörpern für schwere Schädigungen verantwortlich sei, sagte der Transfusionsmediziner Andreas Greinacher vom Universitätsklinikum Greifswald.

Die Autoantikörper verursachten einen Anstieg eines Gerinnungsfaktors, wodurch die Durchblutung wichtiger Gehirnregionen und der Nebennieren eingeschränkt sei. Sie werden nur von einigen EHEC-Patienten gebildet. Inzwischen wurden erste schwer erkrankte Patienten mit einer speziellen Blutwäschetherapie behandelt. „Die ersten Entwicklungen bei den Blutwerten stimmen uns optimistisch.“

Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) rief erneut zum Blutspenden auf. In den vergangenen drei Wochen seien allein am UKE mehr als 6000 Plasmakonzentrate für die Versorgung der HUS-Patienten eingesetzt worden, berichtete eine Sprecherin. „Das entspricht etwa der Menge an Plasma, die sonst in drei bis vier Monaten gebraucht wird.“ Die Reserven müssten vor allem mit Blick auf die nahenden Sommerferien möglichst schnell wieder aufgefüllt werden.

Derzeit sind bundesweit rund 3000 EHEC-Fälle und -Verdachtsfälle registriert. Mindestens 21 Menschen sind nach Angaben von Behörden gestorben. Auch in Niedersachsen flachte der Anstieg der Infektionszahlen zuletzt ab. Dagegen war die Zahl der Neuinfizierten in Schleswig-Holstein deutlich gestiegen.

Außerhalb Deutschlands gibt es nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) insgesamt schon über 100 EHEC und HUS-Fälle. Bei HUS kann es unter anderem zu Nierenversagen kommen.

Die EU-Kommission will Gemüsebauern wegen der EHEC-Krise deutlich besser entschädigen als bisher geplant. Für Umsatzeinbußen sollen die europäischen Landwirte 210 Millionen Euro statt der bisher vorgeschlagenen 150 Millionen Euro erhalten. Das sagte EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos am Mittwoch in Brüssel. Die EU-Staaten müssen dem Vorschlag noch zustimmen.

Lesen Sie auch:

Experte: Entwicklung von EHEC-Medikamenten kann Jahre dauern

Experten sind skeptisch, dass die schnelle Entwicklung eines Medikaments gegen den EHEC-Erreger möglich ist. "Ein Medikament zu entwickeln, ist keine einfache Sache", sagte der Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie der Universität Kiel, Stefan Schreiber, am Mittwoch im ARD-"Morgenmagazin". Es dauere zwischen der Identifikation eines Ziels und der Einführung des Medikaments auf dem Markt ungefähr 20 Jahre. Medikamente, die gezielt auf diesen Keim losgeschickt würden, seien nicht die Antwort, fügte Schreiber hinzu.

Unterdessen nimmt das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) angesichts der leichten EHEC-Entspannung in der Hansestadt auch wieder andere Notfälle auf. "Das UKE ist seit Dienstagnachmittag wieder in vollem Umfang an der Notfallversorgung beteiligt“, heißt es in einer Mitteilung. In Absprache mit der Hamburger Gesundheitsbehörde hatte sich die Klinik seit dem 29. Mai aus der allgemeinen Notfallversorgung ausgeklinkt und sich vor allem auf EHEC- und HUS-Patienten konzentriert.

"Wir sind erleichtert, dass sich viele unserer Patienten zunehmend stabilisieren“, erklärte UKE-Chef Prof. Jörg Debatin. "Da wir zusätzliche Intensivbetten aufgebaut haben, können wir die Versorgung aller Notfallpatienten nun wieder voll gewährleisten.“ Zwei abgetrennte Bereiche der Intensivstation würden aber weiterhin für die schwer erkrankten HUS-Patienten benötigt.

Mit Material von dapd/dpa