Straßburg. Unter EHEC-Verdacht stehender Hof aus Bienenbüttel wird weiter untersucht. In Hamburg 898 Infektionen mit EHEC-Bakterium gemeldet.

Die Spuren zu dem gesperrten Sprossen-Hof in Bienenbüttel bei Uelzen als Quelle für die EHEC-Epidemie verdichten sich nach Angaben von Niedersachsens Agrarminister Gert Lindemann (CDU). Demnach ist eine dritte Mitarbeiterin des Gärtnerhofs im Mai vermutlich an EHEC erkrankt und nun wieder gesund. "Das steht in einem Vermerk, den LAVES und Landesgesundheitsamt gemeinsam erarbeitet haben“, sagte Lindemann am Rande einer CDU-Klausurtagung in Goslar. Bisher war die EHEC-Erkrankung einer Mitarbeiterin des Hofs bekannt, eine zweite litt ebenfalls unter Durchfall.

Auch zwei EHEC-Fälle in Cuxhaven wiesen Verbindungen zu dem verdächtigen Biohof auf, erklärte Lindemann. "Das sind Betroffene, die Produkte aus Bienenbüttel konsumiert haben.“ Der Landkreis Cuxhaven ist mit mehr als 60 EHEC-Erkrankten der Schwerpunkt der Epidemie in Niedersachsen.

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Der unter EHEC-Verdacht stehende Gartenbaubetrieb aus Niedersachsen wurde noch einmal gründlich unter die Lupe genommen. Bei einer Kontrolle des Betriebes durch das Landesamt für Verbraucherschutz (LAVES), das Robert-Koch-Institutes (RKI) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) seien bis zu 500 Proben genommen worden, teilte das Verbraucherschutzministerium in Hannover am Dienstag mit. Die Proben würden größtenteils von RKI und BfR in Berlin analysiert.

Das vollständige Ergebnis der bisherigen Untersuchungen von Proben durch die Landesbehörden kündigte das Ministerium am Dienstag mehrmals an, gab es dann aber nicht bekannt. "Gesicherte Ergebnisse zu den ausstehenden Proben aus dem Sprossenbetrieb liegen noch nicht vor“, erklärte das Haus von Landwirtschaftsminister Lindemann lediglich. Die Landesbehörden hatten in dem Betrieb 40 Proben aus Lüftungsanlage, Wasser, von Arbeitstischen und Saatgut genommen. 23 dieser Proben erwiesen sich bislang als EHEC-frei.

Auch die von einem Hamburger EHEC-Patienten bei den Behörden abgegebene Sprossen-Probe des Hofs in Bienenbüttel weist keine EHEC-Keime auf. Das sagte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) am Dienstag. Der 42-jährige Hamburger hatte das Sprossengemüse im Kühlschrank vergessen. Mit der mehrere Wochen alten Packung wollten die Behörden die Infektionsquelle zweifelsfrei nachweisen. Erste Laborproben von Sprossengemüse von dem betroffenen Hof nahe Uelzen waren am Montag ebenfalls negativ ausgefallen.

Die Hamburger Behörden haben ihre Tests mittlerweile auch auf Gewässer ausgebreitet, bislang konnte der EHEC-Erreger aber nirgends gefunden werden.

Zahl der EHEC-Infizierte im Norden steigt

Aktuell sind in Hamburg 898 Infektionen mit dem EHEC-Bakterium gemeldet, das sind 49 Fälle mehr als am Montag. Bei 155 Hamburgern hat sich aus der Infektion ein Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) gebildet. "Aktuell steigen die Fallzahlen langsamer als in der Anfangsphase des Ausbruchgeschehens", so Prüfer-Storcks. "Der erhoffte einschneidende Rückgang der Neuerkrankungen schlägt sich in den Meldezahlen aber leider noch nicht nieder." Es sei zu früh, um Entwarnung zu geben.

Die Zahl der Menschen, die sich in Schleswig-Holstein mit dem aggressiven Darmkeim EHEC angesteckt haben, ist auf 676 gestiegen. Dies teilte das Gesundheitsministerium am Dienstag in Kiel mit. Am Vortag waren es noch 588 bestätigte Fälle. Bei den Patienten, die an der Komplikation HUS leiden, gab es eine Zunahme um 6 auf 173. Insgesamt sind in Schleswig-Holstein bisher sechs Menschen an den Folgen der Durchfallerkrankung gestorben. Auf der Suche nach der Quelle für die EHEC-Erkrankungen hat das Landeslabor bisher mehr als 280 Proben untersucht; laut Landwirtschaftsministerium waren alle frei von dem Erreger. Analysiert wurden nicht nur Salat, Gurken, Tomaten und Sprossen, sondern auch weiteres Gemüse, Fleisch und Milch.

In Mecklenburg-Vorpommern hat sich die Zunahme von EHEC-Infektionen nach Behördenangaben verlangsamt. Die Zahl der Patienten stieg von 130 am Montag auf 137 am Dienstag, wie das Landesamt für Gesundheit und Soziales in Rostock mitteilte. Nach wie vor stamme die Hälfte der Patienten aus den Landkreisen Ludwigslust und Parchim. Bisher mussten 109 Menschen mit dem aggressiven Darmkeim ins Krankenhaus eingewiesen werden. Die Zahl der HUS-Fälle ist auf 37 gestiegen. In Mecklenburg-Vorpommern sind bislang zwei Menschen an der Krankheit gestorben.

Kritik an deutschem Krisenmanagement

Ist das deutsche Krisenmanagement beim Thema EHEC schlecht? Im EU-Parlament ist es scharf kritisiert worden. Aber auch die EU hat nach Ansicht zahlreicher Volksvertreter zu langsam reagiert und sollte die Lehren aus dieser Krise ziehen - "schnell und effizient“. Die EU-Agrarminister wollten am Dienstag bei einem Sondertreffen über Hilfen für betroffene Landwirte entscheiden. Die SPD-Abgeordnete Dagmar Roth-Behrendt prangerte in Straßburg ein "Kommunikationschaos“ in Deutschland an. Ihr Fraktionskollege Jo Leinen fand es "inakzeptabel, dass man drei Wochen nach Ausbruch der Krise immer noch nicht weiß, woher der Erreger kommt“.

EU-Gesundheitskommissar John Dalli warnte vor vorschnellen Informationen durch Behörden. Infektionsquellen sollten nicht angegeben werden, solange diese nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt seien, sagte er. Auch Dalli plädierte für effizientere Warnsysteme. "Im Binnenmarkt müssen wir schnell und entschieden reagieren, die Kommunikationswege müssen schnell und flexibel gestaltet werden“, sagte der EU-Kommissar.

EU will Bauern entschädigen

Die EU-Kommission will wegen der EHEC-Krise die Gemüsebauern mit 150 Millionen Euro Entschädigungen unterstützen. Diesen Vorschlag machte EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos am Dienstag den EU-Agrarministern bei einem Sondertreffen in Luxemburg.

Damit will die EU die Einnahmeausfälle der Bauern ersetzen. "Ich werde dem Rat eine Summe von 150 Millionen Euro vorschlagen“, sagte Ciolos vor Beginn des Treffens. "Wir werden die gesamte Periode der Krise im Juni abdecken – für die Produkte, die am meisten betroffen sind.“ Für die Berechnung der Summe habe die Kommission Referenzpreise für den Monat Juni der Jahre 2007 bis 2010 angesetzt.

Wegen der Seuche war der Absatz von frischem Gemüse wie Tomaten, Gurken und Salat in den vergangenen Wochen europaweit eingebrochen. Die Entschädigung sei vor allem für Bauern gedacht, die nicht in Produktionsgemeinschaften organisiert seien.

Spanien hatte zuvor mehrfach Entschädigungen für die Einbußen betroffener Bauern gefordert. Spanische Bauernverbände hatten die Verluste auf 200 Millionen Euro pro Woche beziffert, nachdem deutsche Behörden vor dem Verzehr spanischer Gurken gewarnt hatten.

Deutschland machte sich beim EHEC-Sondertreffen für europäische Hilfen stark: "Es geht heute um die europäischen Lösungen“, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) in Luxemburg. Dass Deutschland anderen Staaten Beihilfen finanziere, sei nach EU-Recht völlig undenkbar, sagte ein EU-Diplomat am Rande des Treffens. Hilfen sollten aus EU-Töpfen finanziert werden, in die alle Mitgliedsstaaten einzahlen. Der deutsche Anteil läge damit bei 20 Prozent.

Lindemann setzt sich für Landwirte ein

Niedersachsens Agrarminister Lindemann setzt sich für Entschädigungszahlungen des Bundes an deutsche Landwirte ein. "Der Bund ist ganz entscheidend, der Bund ist die Hauptanlaufstelle neben der EU“, sagte Lindemann. Von den EU-Entschädigungen in Höhe von mindestens 150 Millionen Euro werde voraussichtlich wenig nach Deutschland fließen. "Frau Aigner hat mir soeben in einer Telefonschalte gesagt, dass der Löwenanteil der EU-Entschädigung nach Spanien geht, weil es sich nach der Größe der Anbaufläche für Gemüse richtet. Die EU hat inzwischen auch Paprika und Zucchini auf die Entschädigungsliste gesetzt, was ja auch mehr wieder Richtung Spanien weist“, erklärte der Minister.