Ärzte aus Greifswald und Bonn: Auch die Bildung von Autoantikörpern für schwere Schädigungen verantwortlich. Hof aus Bienenbüttel weiter unter Verdacht.

Berlin /Hamburg. Die Zahl der EHEC-Todesfälle in Deutschland ist weiter gestiegen. Bislang seien 25 Menschen im Zusammenhang mit dem gefährlichen Darmkeim gestorben, teilte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) am Mittwoch in Berlin nach einem Spitzentreffen mit. "Es ist leider auch nicht auszuschließen, dass noch weitere Todesfälle zu verzeichnen sind“, fügte er hinzu. Auch sei nicht auszuschließen, dass in den kommenden Tagen weitere Infektionen festgestellt würden.

Dennoch gibt es Bahr zufolge auch eine positive Entwicklung. Die Anzahl der Neuinfektionen sei in den vergangenen Tagen fortwährend rückläufig gewesen. "Das heißt nicht, dass in einzelnen Regionen nicht ein Anstieg zu verzeichnen ist“, fügte er hinzu. Die Verzehrs- und Hygieneempfehlungen des Robert Koch-Instituts würden weiterhin aufrecht gehalten. Der Verbraucherschutz und die Gesundheit der Bürger hätten oberste Priorität, betonte der Minister.

Mehr als 1.900 Menschen seien mittlerweile mit dem EHEC-Erreger infiziert, sagte die Bremer Gesundheitssenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD). Etwa 670 Patienten litten am Hämolytisch-Urämischen Syndrom (HUS), das bei EHEC-Infektionen auftreten und zum Tod führen kann. In den stark betroffenen Ländern Hamburg und Niedersachsen flachte der Anstieg der Infektionszahlen zuletzt ab. Dagegen war die Zahl der Neuinfizierten in Schleswig-Holstein deutlich gestiegen.


In Hamburg ebbt die Welle der EHEC-Neuerkrankungen ab. "In den letzten 24 Stunden sind in Hamburg 30 neue EHEC-Fälle gemeldet worden, davon sechs mit HUS“, erklärte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) am Mittwoch. "Dies bestätigt die Einschätzung, dass aktuell die Fallzahlen langsamer steigen als in der Anfangsphase des Ausbruchsgeschehens.“ Es sei aber nach wie vor zu früh, um Entwarnung zu geben. In Hamburg wurden bis Mittwochvormittag 928 EHEC-Fälle oder -Verdachtsfälle gemeldet. 161 Menschen waren wegen der schweren Verlaufsform hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) im Krankenhaus. Drei Menschen sind bisher in Hamburg an den Folgen einer Infektion mit dem aggressiven Darmkeim gestorben. Von Montag auf Dienstag war die Zahl der EHEC-Fälle noch um 49 gestiegen.

Verdachstmomente gegen Biohof verdichten sich

Unterdessen verdichten sich die Hinweise auf den gesperrten Sprossen-Hof im niedersächsischen Bienenbüttel als mögliche Quelle für die EHEC-Epidemie. Eine dritte Mitarbeiterin des Gärtnerhofs sei im Mai vermutlich an dem Darmkeim erkrankt gewesen, teilte Niedersachsens Agrarminister Gert Lindemann (CDU) mit. Inzwischen sei sie aber wieder gesund. Bisher war nur die EHEC-Erkrankung einer Mitarbeiterin des Hofs bekannt, eine zweite litt ebenfalls unter Durchfall.

Auch zwei EHEC-Patienten in Cuxhaven wiesen Verbindungen zu dem verdächtigen Hof auf, erklärte Lindemann. "Das sind Betroffene, die Produkte aus Bienenbüttel konsumiert haben.“ Der Landkreis Cuxhaven ist mit mehr als 60 EHEC-Erkrankten der Schwerpunkt der Epidemie in Niedersachsen. Der Gärtnerbetrieb hatte meist über Zwischenhändler Sprossen an zahlreiche Restaurants, Hotels und Kantinen geliefert, deren Gäste teils dutzendfach an EHEC erkrankten. Betroffen waren unter anderem ein Golfhotel im Kreis Lüneburg, ein Restaurant in Lübeck sowie Kantinen in Darmstadt und Frankfurt am Main.

Allerdings hatten die EHEC-Fahnder bislang direkten keinen Erfolg auf dem Hof: In den ersten 23 von 40 Proben fand sich keine EHEC-Erreger. Auch eine alte, im Kühlschrank vergessene Sprossenpackung eines EHEC-Patienten war frei von den Bakterien.

Derweil haben Ärzte der Universitätskliniken Greifswald und Bonn Hinweise auf die Ursache schwerer Verläufe bei EHEC-Patienten mit HU-Syndrom gefunden. Vieles deute darauf hin, dass neben dem Giftstoff Shigatoxin auch die Bildung von Autoantikörpern für schwere Schädigungen verantwortlich sei, sagte der Transfusionsmediziner Andreas Greinacher vom Universitätsklinikum Greifswald.

Die Autoantikörper verursachten einen Anstieg eines Gerinnungsfaktors, wodurch die Durchblutung wichtiger Gehirnregionen und der Nebennieren eingeschränkt sei. Sie werden nur von einigen EHEC-Patienten gebildet. Inzwischen wurden erste schwer erkrankte Patienten mit einer speziellen Blutwäschetherapie behandelt. "Die ersten Entwicklungen bei den Blutwerten stimmen uns optimistisch.“

Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) rief erneut zum Blutspenden auf. In den vergangenen drei Wochen seien allein am UKE mehr als 6000 Plasmakonzentrate für die Versorgung der HUS-Patienten eingesetzt worden, berichtete eine Sprecherin. "Das entspricht etwa der Menge an Plasma, die sonst in drei bis vier Monaten gebraucht wird.“ Die Reserven müssten vor allem mit Blick auf die nahenden Sommerferien möglichst schnell wieder aufgefüllt werden.

Außerhalb Deutschlands gibt es nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) insgesamt schon über 100 EHEC und HUS-Fälle. Bei HUS kann es unter anderem zu Nierenversagen kommen.

EU-Kommissar lobt deutsche EHEC-Krisenbekämpfung

EU-Verbraucherkommissar John Dalli hat die Bekämpfung der EHEC-Infektionswelle in Deutschland gelobt. EU- Experten hätten sich in den vergangenen Tagen ein Bild gemacht und seien von den Anstrengungen beeindruckt gewesen, sagte Dalli nach einem Sondertreffen der Gesundheits- und Verbraucherminister von Bund und Ländern am Mittwoch in Berlin. Nun sei nicht der Moment für Kritik. Nach dem Ende der Krise solle aber über mögliche Lehren gesprochen werden. Nötig sei eine enge Koordination und Kooperation. Die europäischen Verbraucher hätten ein Recht auf gute Qualität der Lebensmittel. (dapd/dpa)