Versandapotheken boomen, der Handel mit rezeptfreien Arzneimitteln legte 2009 um 31,6 Prozent zu. 40 Hamburger haben die Lizenz zum Versand.

Hamburg. Nichts, was es hier nicht gibt. In den meterhohen Metallregalen des Versandlagers von Jörg Dumke (43) stapelt sich alles, was ein Mensch für seine Gesundheit und gegen Krankheiten so gebrauchen kann. Grippemittel, Antibiotika, Spritzen, Verbandsmull, Rollstühle, Salben, Pflegecremes, Kontaktlinsen bis hin zu homöopathischen Kügelchen. In der lichtdurchfluteten, denkmalgeschützten Halle auf dem Gelände des Alten Gaswerks in Bahrenfeld lagern rund 75 000 Medikamente und Pflegeprodukte. Übersichtlich angeordnet nach Alphabet, ständig abrufbereit für die nächste Bestellung aus dem Internet.

Der Hamburger Jörg Dumke hat mit seiner Frau Birgit frühzeitig auf einen Trend gesetzt - der sich als Boomgeschäft entpuppt: die Versandapotheke. Als vor sechs Jahren der Versand von Medikamenten erstmals in Deutschland erlaubt wurde, bauten die Dumkes sofort auf Basis ihrer Apotheke am Rothenbaum einen Internethandel auf.

Seither explodiert ihr Geschäft förmlich: "Wir haben mit zwei Mitarbeitern im Versand angefangen, heute beschäftigen wir 450", berichtet Dumke. Bundesweit beliefert die Versandapotheke unter der Marke Apo-rot ( www.apo-rot.de ) rund 500.000 Kunden und ist damit nach eigenen Angaben der zweitgrößte deutsche Anbieter nach Sanicare.

Täglich verpacken die Beschäftigten, die von 8 bis 19 Uhr im Zweischichtsystem arbeiten, gut 6000 Pakete mit Medikamenten und Pflegeprodukten und verschicken sie an Besteller in ganz Deutschland. Oft sind die Produkte schon einen Tag nach der Order beim Kunden. "Über den Internethandel erzielen wir mittlerweile rund 90 Prozent unseres Gesamtumsatzes."

Konkrete Geschäftszahlen nennt der Geschäftsführer nicht. Doch Dumke versichert: "Wir schreiben seit Beginn an schwarze Zahlen." Und dies, obwohl er viele der rezeptfreien Produkte 25 bis 30 Prozent unter den bisher üblichen Ladenpreisen verkauft. In der Spitze sind Medikamente sogar gut 50 Prozent günstiger - wie Grippostad, das eigentlich 9,45 Euro kostet, aber bei ihm für 4,77 Euro zu haben ist. Hinzu kommt jedoch unter einem Bestellwert von 40 Euro eine Versandgebühr von 4,50 Euro. "Wir verzichten auf große Gewinnspannen und holen die Rabatte durch größere Verkaufsmengen herein." Das Besondere: Die Internetpreise von Apo-rot gelten auch in allen drei stationären Apotheken der Dumkes in Hamburg - in Rotherbaum, in Blankenese und Barmbek.

Mit seinem Erfolg steht Dumke nicht alleine da. Der Arzneimittelversand steigt überproportional. "Der Umsatz mit rezeptfreien Medikamenten ist im Versandhandel 2009 um 31,6 Prozent auf 608 Millionen Euro gewachsen, während er im stationären Handel um 0,9 Prozent gesunken ist", sagt der Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA), Christian Buse. Insgesamt werden damit bereits neun bis zehn Prozent aller rezeptfreien Arzneimittel bundesweit im Versandhandel eingekauft, Tendenz steigend. Rezeptpflichtige Arzneimittel werden dagegen bisher nur zu zwei Prozent im Internet bestellt, da hier in Deutschland bisher keine Preisnachlässe erlaubt sind.

Insgesamt haben von den bundesweit 22 000 Apotheken bereits 2455 eine Versanderlaubnis - und damit fast jede zehnte stationäre Apotheke. "Allerdings gibt es nur etwa zwei Dutzend Apotheken, die das Geschäft intensiv betreiben", sagt ein Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände. Zu den Großen zählt Sanicare aus Niedersachsen. Die Versandapotheke erzielte 2008 einen Umsatz von 176 Millionen Euro. DocMorris, mit Sitz in den Niederlanden, steigerte seinen Umsatz auf zuletzt 220 Millionen Euro. "DocMorris wächst seit zehn Jahren ungebrochen", so der Vorstand Olaf Heinrich.

Zudem drängen auch immer mehr Ableger von Drogerien in den bundesweiten Apothekenmarkt. So konnte die Deutsche Internet Apotheke als Partner der Drogerie Rossmann ihren Umsatz 2009 um zehn Prozent auf 32 Millionen Euro steigern. Die Europa Apotheek Venlo, die zum US-Branchenriesen Medco gehört, vertreibt Medikamente über dm-Märkte. Auch Budnikowsky will nach der Eröffnung einer ersten Filiale in Hamburg seine Präsenz im Apothekenmarkt deutlich ausbauen.

Das Engagement verwundert nicht: Insgesamt gilt der Apothekenmarkt als eine der rentabelsten Branchen in Deutschland, die selbst in der Wirtschaftskrise nicht leiden musste. Im Gegenteil: Der Umsatz im Gesundheitsmarkt legte 2009 um 1,7 Prozent auf rund 40 Milliarden Euro zu, so der BVDVA. Der Großteil mit 81 Prozent wird mit rezeptpflichtigen Medikamenten erzielt, die bisher wegen der Preisbindung zu 98 Prozent über stationäre Apotheken vertrieben werden. Der Umsatzanteil des Versandhandels am Gesamtmarkt liegt damit bisher noch bei mageren ein Prozent.

In Hamburg haben derzeit rund 40 der 460 niedergelassenen Apotheken eine Versandlizenz. Die meisten nutzen ihren Internetauftritt bisher jedoch nur zur Information ihrer Kunden, haben aber keinen aktiven Versand, sagt der Geschäftsführer der Apothekenkammer Hamburg, Reinhard Hanpft. "Ich betreibe den Versand eher hobbymäßig", sagte ein Hamburger Apotheker, der namentlich nicht genannt werden will. "Für uns Kleine ist es schwer, mit den niedrigen Preisen der Großen mitzuhalten." Heike Huhn (43) von der Fleethaus Apotheke hat zwar eine Versanderlaubnis plus Internetauftritt, will aber nicht in den Versandhandel größer einsteigen. "Wir möchten uns auf unser Apothekengeschäft konzentrieren, mit persönlicher Beratung und Versorgung vor Ort."

Andere Apotheker sehen dagegen den Versand als Chance und nutzen ihn als weiteres Standbein. "Wir versenden vor allem rezeptfreie Artikel an Kunden in ganz Deutschland", sagt Edvard Gregorian von der Habicht-Apotheke , der seit vier Jahren auch im Versand aktiv ist. Zudem habe er viele Kunden aus Hamburg und dem Umland, die ihre Medikamente online bestellen, aber persönlich in seiner Apotheke abholen, berichtet Gregorian. Der Apotheker erzielt etwa 20 Prozent seines Umsatzes mit rezeptfreien Medikamenten online.

Der Bundesverband der Versandapotheken sieht vor allem in ländlichen Gebieten eine steigende Nachfrage, da dort nicht nur immer mehr Ärzte ihre Praxen schließen, sondern auch Apotheken, so die Geschäftsführerin Kerstin Kilian. "Dadurch können Versandapotheken Versorgungslücken auf dem Land schließen."

Der Hamburger Jörg Dumke setzt jedenfalls weiter auf Expansion, wobei auch neue Jobs entstehen: "Wir suchen ständig neue Mitarbeiter, insbesondere pharmazeutisch-technische Angestellte und pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte." Schließlich werde jedes Paket, das Apo-rot verlässt, vorher von einer Fachkraft kontrolliert. Möglicherweise werden bald auch schon die schönen loftartigen Lager- und Büroräume in der Größe eines Fußballfeldes aus allen Nähten platzen, so Dumke: "Unsere Wachstumsgrenze ist noch längst nicht erreicht."