In Rissen gibt es jetzt eine Tagesklinik für Patienten mit der Essstörung. Eine Hamburgerin, die daran seit Jahren leidet, schildert ihre Erfahrungen.

Keine Pizza, keine Lasagne und schon gar keine Süßigkeiten - Lebensmittel mit vielen Kalorien waren für Claudia S. tabu. Doch wenn sie unter Stress oder Ärger litt, kamen die Essanfälle. "Dann war ein großer Teller mit Keksen erst der Anfang, dazu kamen vielleicht noch 500 Gramm Nudeln mit Sauce. Und nach diesen Essattacken kamen die Schuldgefühle und das Erbrechen", berichtet die 31 Jahre alte Informatikerin. Seit 13 Jahren leidet sie an Bulimie. Und als sie im Sommer ihren Job verlor, kam ihr Leben völlig aus dem Gleichgewicht. "Ich geriet so in diesen Strudel von Essen und Erbrechen hinein, dass ich da allein gar nicht herausgekommen bin", erzählt Claudia S. Schließlich sah sie keinen Ausweg mehr und wandte sich an die Abteilung für Psychosomatik am Asklepios-Westklinikum in Rissen.

Dort gibt es seit einigen Monaten neben der stationären Behandlung auch ein umfangreiches tagesklinisches Therapieprogramm, speziell für Patienten mit Essstörungen. "Je nachdem, wie ausgeprägt die Erkrankung ist, können die Patienten auf der Station oder in der Tagesklinik behandelt werden", sagt Dr. Helge Fehrs, Oberarzt in der Abteilung. Und wer nach einem stationären Aufenthalt zu Hause noch nicht alleine zurechtkommt, kann noch im Rahmen einer Nachbetreuung für weitere drei Monate für zwei Tage in der Woche in die Tagesklinik gehen. Hier werden neben stark Übergewichtigen auch Patienten behandelt, die an einer Magersucht oder einer Bulimie leiden.

Bulimie ist die Ess-Brechsucht, das heißt die ständige Beschäftigung mit der Nahrungsaufnahme und dem Gewicht (siehe Kasten rechts).

Auch bei der Magersucht hat das Gewicht eine überragende Bedeutung. Dazu kommt noch eine sogenannte Körperschemastörung. Das bedeutet, die Mädchen haben bereits Untergewicht, fühlen sich aber immer noch zu dick. Von Magersucht, die meist im Alter zwischen zwölf und 14 beginnt, sprechen Experten bei einem BMI (Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch das Quadrat der Körpergröße in Metern) unter 17,5. Das entspricht bei einer Körpergröße von 1,70 Metern einem Gewicht von 50,5 Kilogramm.

Diese Erkrankung ist noch wesentlich bedrohlicher als die Bulimie. "Je nach Statistik liegt die Sterblichkeit bei einer Magersucht zwischen zehn und 15 Prozent. Es ist die häufigste krankheitsbedingte Todesursache bei Frauen im jungen Erwachsenenalter." Meist sterben diese Frauen an Infekten, weil die weißen Blutkörperchen abnehmen.

n der Therapie dieser beiden Erkrankungen müssen sich die Patienten nicht nur mit ihrem Verhältnis zum Essen, sondern vor allem auch mit ihrer Seele auseinandersetzen. Die Therapie in der Tagesklinik in Rissen setzt sich aus mehreren Bausteinen zusammen: "Wir verwenden sowohl verhaltenstherapeutische als auch tiefenpsychologische Elemente mit Gruppensitzungen, Einzelgesprächen, Kunsttherapie und körperorientierten Verfahren, Ernährungsberatung und angeleitetem Kochen", sagt die Psychologin Julia Spreitz. "In den Gruppen geht es beispielsweise um Psychoedukation, bei der die Patienten Informationen über ihre Krankheit erhalten, und um soziales Kompetenztraining, weil Essstörungen häufig mit Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen einhergehen", erklärt die Psychologin. Hinzu kommen Kunst- und Körpertherapie.

Der Tag in der Tagesklinik beginnt um 8.30 Uhr, morgens gibt es zwei Gruppen, nachmittags eine. Um 16 Uhr ist das Programm beendet. Abends und am Wochenende sind die Patienten zu Hause. Das erste Ziel der Therapie ist die Stabilisierung der Patientinnen. "Das erreichen wir durch die Tagesstruktur, die wir hier vorgeben. Dann geht es darum, Symptome zu reduzieren, Essanfälle und Erbrechen zu reduzieren oder mit dem Hungern aufzuhören. Ziel ist, sich einem geregelten Essrhythmus mit fünf Mahlzeiten täglich wieder anzunähern", sagt Spreitz. Was die Patientinnen auch erst wieder lernen müssen, ist das Gefühl dafür, wie groß eine normale Mahlzeit ist. "In der Ernährungsberatung und in der Lehrküche wird ihnen vermittelt, wie groß eine angemessene Portion ist. Da erschrecken sich viele, dass sie so viel essen sollen."

Claudia S. war zunächst in der Tagesklinik, dann auf Station und ist jetzt wieder zur Nachbetreuung in der Tagesklinik. "Der gesamte Aufenthalt hat mir sehr viel gebracht. Die Einzeltherapie und die Gruppengespräche haben mir geholfen, die Ursachen meiner Krankheit zu verstehen. In der Körpertherapie habe ich gelernt, mich wieder mehr zu spüren, und auch mein Verhältnis zum Essen hat sich gewandelt. Die zwei Monate auf der Station habe ich rückfallfrei überstanden, was nach so langer Zeit schon mal ein großer Erfolg war", sagt Claudia S. Jetzt muss sie das Erlernte auch in ihrem Alltag umsetzen und hat noch ein bisschen Angst vor der Zeit, in der sie wieder ohne die Unterstützung der Klinik zurechtkommen muss. "Wenn ich zu Hause mal einen schlechten Tag hatte, werde ich hier aufgefangen und weiß, wofür ich weiterkämpfen muss", sagt Claudia S. und meint ein Leben ohne Rückfälle, ohne Ess- und Brechattacken. "Langfristiges Ziel der Therapie ist, die Patienten für möglichst lange Zeit symptomfrei zu bekommen und die Rückfallgefahr zu senken", sagt Fehrs und verweist auf die Statistik: Die Hälfte der Bulimie- und Anorexiepatienten kann geheilt werden, mit einer durchschnittlichen Therapiedauer von sieben Jahren.

Weitere Infos in der Psychosomatischen Abteilung des Asklepios-Westklinikums unter den Telefonnummern 8191-2201(Tagesklinik) oder 8191-2501(Stationäre Therapie), im Internet: www.psychosomatik-hamburg.de