Die Erde wackelt, bebt und bröckelt. Wenn Maulwürfe den Rasen unterwandern, überkommt nicht nur friedfertige Hobbygärtner pure Mordlust.
Hamburg. Ein milder Frühlingstag, halb zehn in Deutschland: Um diese Zeit buddelt die Bestie am liebsten. Die Erde wackelt, bebt und bröckelt. Sie hebt sich.
Schwarze, fette Krumen fallen zur Seite, und nach nicht einmal drei Minuten türmt sich auf dem eben noch gepflegten, glatten Zierrasen ein 30 Zentimeter hoher Erdhügel. Danach faulenzt der Maulwurf vorzugsweise in einem seiner zahlreichen Ein-Raum-Apartments, die er sich gerne mit Gras, Laub und Moos möglichst kuschelig gestaltet. Erst am Nachmittag, vorzugsweise zwischen 14 und 17 Uhr, legt er eine zweite Schicht ein. Entweder er erhöht den ersten Haufen um bis zu weitere 20, 30 Zentimeter oder er macht unter Tage ordentlich Strecke.
Je nach Erdbeschaffenheit schafft er bis zu zehn Stollenmeter pro Tag, und das manchmal sogar über drei Ebenen, von knapp unter der Oberfläche bis hinunter in einen Meter Tiefe, wo das Erdreich sich auch im Winter locker an die Seite wegdrücken lässt. Zwischendurch füllt er seine Depots mit Regenwürmern oder Engerlingen auf, die in dieser Zeit besonders häufig vorkommen, oder rangelt mit Wühlmäusen herum, deren Gänge er ungefragt mitbenutzt. Diese Kämpfe enden stets unblutig.
Der Maulwurf lebt gern als Single, nur im Winter denkt er an Paarung
An Fortpflanzung dagegen denkt der überzeugte Single im Frühling niemals, sondern widmet sich in dieser milden Jahreszeit ausschließlich der logistischen Vorbereitung für den Paarungsakt im Spätwinter. Dann wird der männliche Maulwurf nicht eher ruhen, bis er irgendwo an den Ausläufern seines bis zu 2000 Quadratmeter großen Territoriums auf einen Stollen stößt, der von einem Weibchen vorangetrieben wurde. Ist der Nachbar jedoch ein Mann, würde er dies an den Duftmarken erkennen, die jeder Maulwurf in den Gängen hinterlässt, und er muss seine Suche an anderer Stelle von Neuem beginnen. Wenn sich jedoch zwei männliche Maulwürfe begegnen, kommt es zu einer brutalen Beißerei.
Ökologisch gesinnte Gartenfreunde haben in jedem Fall allen Grund zur Freude. Die Anwesenheit von Maulwürfen bedeutet schließlich, dass der Boden ihrer Scholle intakt ist und vor Larven und Würmern nur so wimmelt. Darüber hinaus lockern und lüften Maulwürfe mit ihrer Wühlerei das Erdreich und sorgen so für die Anreicherung der tieferen Erdschichten mit Humus.
Aber all das reicht offensichtlich nicht aus, um dem Maulwurf ganz gelassen zu begegnen. Vielmehr den Haufen, denn zu Gesicht bekommt man den scheuen Burschen bekanntlich so gut wie nie.
Er frisst einfach alles, was ihm beim Graben vor die Schnauze fällt
Nützlich hin, schützenswert her: Maulwürfe nerven entsetzlich. Einmal wegen der zerstörerischen Gartengestaltung, wegen des erhöhten Zeitaufwands beim Rasenmähen, zweitens wegen der Gefahr, sich auf Rasensportplätzen den Knöchel oder das Knie zu verdrehen, doch vor allem drittens, weil der Maulwurf die Große Wühlmaus bei ihren Beißattacken gegen empfindliche Pflanzentriebe indirekt unterstützt, indem er seine Tunnel in die langen Mäusegänge integriert und so den unterirdischen Fernverkehr erleichtert. Ein symbiotisches Joint Venture unter Tage sozusagen. "Na ja, und so doll ist es ja auch nicht mit seinem Engagement in Sachen Schädlingsbekämpfung", sagt Karl Söngen, 62, der sein Leben seit mehr als 30 Jahren der Vertreibung von Maulwürfen und Wühlmäusen aus Zier- und Schrebergärten widmet. Er arbeitet als "Vergrämungsexperte" der Scotts Celaflor GmbH in Ingelheim, eines der Global Players auf dem weiten Feld der Schädlings- und Nagetierbekämpfung; seit November letzten Jahres allerdings bloß noch in Altersteilzeit. Söngen, den seine Bewunderer und Fans im Internet ausnahmslos "Charly" nennen, kennt den hinterlistigen Buddler aus dem Effeff. Und da gebe es so manche Vorstellungen, die dringend einer Revidierung bedürften: "Zum Beispiel jagt der Maulwurf nicht aktiv, sondern frisst aus Bequemlichkeit einfach das, was ihm beim Ausschachten vor seine Schnauze fällt", weiß Söngen. Leider vertilgt er auch Regenwürmer, die für den Humusboden eines Gartens enorm wichtig seien. "Schnecken dagegen, die neben der Großen Wühlmaus und dem Karnickel zu den gierigsten Pflanzenzerstörern gehören, stehen nur in wirklich mageren Zeiten auf seinem Speiseplan. Eigentlich lässt er sie immer links liegen."
Kein Wunder, dass so gut wie alle Rasenfetischisten, vom Schrebergärtner bis zum Greenkeeper auf dem Golfplatz, den niedlichen Kerl loswerden wollen. Und zwar am besten für immer. Doch ein Feldzug gegen den gefährdeten Herrscher des unterirdischen Humusreiches ist kein Kinderspiel. "Man muss bedenken", doziert der Profi-Vergrämer in fröhlichem rheinischen Singsang, "dass der Maulwurf eine Kombination aus Kraftpaket und Killermaschine ist. Sein Kampfgewicht von durchschnittlich 80 Gramm verteilt sich auf 15 bis 18 Zentimeter Körperlänge, wobei 70 Prozent seiner Kraft in der Schulterpartie und in den Grabschaufeln stecken. Mit denen übt er locker einen Druck vom bis zum 24-Fachen seines eigenen Körpergewichts auf das Erdreich aus. Und fix ist er: So schnell kannste gar nicht gucken, wie der buddelt."
Zum Vergleich: Wenn ein Mensch die Erdarbeiten eines Maulwurfs verrichten würde, hieße das, auf Knien und Ellenbogen eine etwa 1200 Kilogramm schwere Erdkugel vor sich herzuschieben. Mit Gewalt, dies müsste eigentlich klar sein, kann also im Grunde kein Erfolg erzielt werden. Trotzdem: Der ungleiche Kampf des Homo erectus gegen den Talpa europaea , den europäischen Maulwurf, beginnt landauf, landab stets auf die gleiche Weise: Sobald sich der erste Hügel in der grünen Fläche zeigt, wird gnadenlos zurückgegraben oder eingeebnet. Und dann nimmt der Mensch Aufstellung, die Plattschaufel oder den Spaten schlagbereit überm Kopf. Ein nutzloses Unterfangen. Charly Söngen schüttelt den Kopf. "Sehen Sie mal: Die äußerst feinen Sinnesorgane des Maulwurfes nehmen selbst die Fressgeräusche eines Regenwurms aus bis zu 1,50 Meter Entfernung wahr. Daher wirken schon minimale Bewegungen eines Menschen über ihm wie Donnerhall." Dann verzieht der Maulwurf sich blitzschnell in eine ruhigere Ecke seines unterirdischen Reiches. "Es soll schon Leute gegeben haben", warnt Söngen, "die haben so lange bewegungslos auf dem Rasen gestanden, bis sie Thrombose kriegten."
Wenn der Mensch zum finalen Schlag ansetzt, ist der Maulwurf längst weg
Doch wer glücklich, aber heimtückisch, einen alten, halbtauben Veteranen auf diese Weise gemeuchelt hat, bekommt mehrere massive Probleme auf einmal: Erstens mit seinem Gewissen, wenn er zum ersten Mal dem gefallenen Feind ins putzige Gesichtchen blicken muss. Zweitens mit der deutschen Artenschutzverordnung, denn der Maulwurf darf laut Gesetz weder angelockt, gejagt noch getötet werden. Und drittens wird die so schon eh getrübte Freude vermutlich höchstens 15 Stunden anhalten. So lange dauert es für gewöhnlich, bis das verwaiste Tunnelterritorium von einem Nachmieter okkupiert wird. Nicht umsonst unkt der Volksmund: "Wenn ein Maulwurf seine Grabschaufeln abgibt, kommen mindestens zehn Artgenossen zu seiner Beerdigung." Ähnlich erfolglos (und strengstens verboten!) sind Angriffe mit Giftgas, eingeleiteten Abgasen aus Rasenmähern und anderen katalysatorfreien Verbrennungsmotoren: Denn die oberen Gänge sind häufig so porös, dass die giftigen Kohlenmonoxidgase schneller wieder aus dem Boden dampfen, als der Maulwurf sie einatmen kann. Auch künstliche Sturmfluten per Gartenschlauch lassen ihn kalt und stattdessen nur die Wasseruhr des Gartenbesitzers glühen. Schwimmen kann er nämlich prima, sogar wie ein Apnoetaucher die Luft anhalten und die Augen und Ohren mit speziellen Hautfalten verschließen.
Nach infernalischem Lärm, fliegenden Bierflaschen folgt Verzweiflung
Spätestens jetzt wird der verzweifelte Rasenfreund sich ratsuchend an die Großeltern oder Nachbarn oder das nächstgelegene Gartencenter wenden. Diese zweite Phase der Schlacht gegen den ungeliebten Untermieter wird auch "Lärmphase" genannt. Doch nachdem der verzweifelte Maulwurfjäger mehrere Dutzend Bierflaschen geleert und die Pullen mit den Hälsen nach oben windgerecht in die Gänge gesteckt hat; nachdem er die Geräuschoffensive danach mit solarbetriebenen Ultraschallgeräten technisch intensiviert hat, die seismische Schwingungen mit bis zu 15 Meter Umkreis abgeben, was dem Maulwurf nicht behagen soll, wird er merken: Bevor das Schlitzohr verhungert oder abhaut, gewöhnt es sich lieber an alles.
Sogar an infernalischen Lärm. Charly Söngen lächelt verschmitzt: "Die einzige realistische Chance auf Vertreibung bietet der Einsatz von Vergrämungsmitteln, die auf Gerüchen basieren", sagt er und macht den Rasengeschädigten damit wieder ein wenig Mut.
Doch ganz gleich, ob man nun in Urin getränkte Hundehaare in die Gänge stopft oder Petroleumlappen, saure Molke-Buttermilchmischung oder eben spezielle Geruchsperlen aus den Chemieabteilungen der Gartencenter: Es kommt auf die richtige Anwendungstaktik an. "Wer diese Schlacht gewinnen will, muss die Psyche seines Gegners kennen!", sagt Söngen und verweist darauf, dass er schließlich fast sein ganzes Berufsleben mit der Beobachtung der verschiedenen Reaktionen des Maulwurfs auf die Eingriffe des Menschen in die Privatsphäre des Erdwerfers zugebracht habe. Dabei will Charly Söngen festgestellt haben, dass die wirkungsvollste Abwehrwaffe des Guerillero der Schrebergärten sein eiserner Assimilierungswille ist. Und sein geradezu stoisches Verhalten. Geduld und Zähigkeit führten zum ersehnten Ziel, meint Söngen. "Man muss ihn langsam und konsequent aus dem Garten rausdrücken."
Und das funktioniere so: Das Vergrämungsmittel von der Mitte oder einer Seite des befallenen Areals in die Gänge oder in die Maulwurfshügel einarbeiten und dabei die Fluchtrichtung vorgeben. "Das ist ganz wichtig", sagt Charly Söngen, "denn nur wenn der Maulwurf lässig und bequem abhauen kann, dann stinkt es ihm auch so, dass er geht."
Diese Prozedur müsse jedoch am nächsten Tag unbedingt wiederholt werden. In etwa 1,50 Meter Entfernung von der ersten Stelle und dies so lange, bis der Maulwurf das Grundstück verlassen hat. "Das kann schon mal ein paar Wochen dauern!" Danach erst könne man gegen etwaige Migranten eine Geruchsbarriere errichten, eine Art chemische Mauer, etwa 15 Zentimeter tief unter der Oberfläche.
Bleibt jetzt nur noch die Frage, in welche Richtung man den Maulwurf aus dem Garten vertreibt. Für Söngen ist dies keine Frage: "Ich würde es immer davon abhängig machen, mit welchem Nachbarn das bessere Verhältnis besteht." Da muss er selber lachen.