Schauspielerin Sandra Keck hat 1992 mit dem Ohnsorg-Star auf der Bühne gestanden. Ein ganz persönlicher Abschied
Die große Heidi Kabel war meine Urgroßmutter. Natürlich nur auf der Bühne, 1992 standen wir gemeinsam auf den Brettern des Ohnsorg-Theaters, und sie hat für meine Liebe gekämpft. In dem zauberhaften Stück "Manda Voss ward 106" nach Jean Sarment. Sechs Wochen Proben, sechs Wochen Spielzeit, drei unvergessliche Monate.
Ich war damals gerade 25 Jahre alt und noch ziemlich neu im Ensemble des Ohnsorg-Theaters. Und dann gleich eine wunderschöne Rolle neben Heidi Kabel! Gemeinsam mit dieser unglaublich talentierten Komödiantin, die ein bekannter Star war, eine "Volksschauspielerin mit Leib und Seele", wie es heute vielleicht gar keine mehr gibt.
Schon als kleines Mädchen habe ich, wie so viele, in den 70er-Jahren die Ohnsorg-Stars vom Wohnzimmer aus angehimmelt, in den Stücken, die seit 1954 bundesweit im Fernsehen ausgestrahlt wurden. Damals wusste ich natürlich noch nicht, dass ich auch Schauspielerin werden würde. Und ich ahnte nicht, dass ich mit Heidi Kabel arbeiten dürfte.
Aufgeregt war ich vor der ersten Probe. Heidi Kabel, damals 77 Jahre alt, muss das sofort gespürt haben. Sie kam auf mich zu, nahm meine Hand und sagte ganz herzlich: "Bruukst nich bang ween, mien Deern! Dat klappt al!"
Dieser Zuspruch hat mir viel Selbstvertrauen und Mut gegeben, ich habe einfach drauflosgespielt. In den nächsten anderthalb Stunden war ich einfach nur Marie-Luise, Urenkelin von Manda Voss. Angenehm war es, neben Heidi Kabel auf der Bühne zu stehen. Weil sie sehr kollegial war. Weil sie auch anderen Schauspielern Raum ließ, sich zu entfalten. Kein Star mit großem Ego und großem Namen, nicht zu eitel, um die Entfaltung jüngerer Kollegen zuzulassen. Heidi Kabel ist dagegen immer "hanseatisch" gewesen, bescheiden und bodenständig.
Fasziniert hat mich häufig der Schalk in ihren Augen, dieses unbeschreibliche Glitzern. Auf dem Fernsehbildschirm war mir das schon aufgefallen, auf der Bühne war es unübersehbar. Ein paarmal hat Heidi Kabel mich damit regelrecht rausgebracht, weil ich mein Lachen nicht mehr unterdrücken konnte. Ich erinnere mich an eine Szene, in der ich ihr den Nachtrock zuknöpfen sollte. Die Zuschauer konnten mein Gesicht sehen, aber nicht das Gesicht von Frau Kabel. Also hat sie Grimassen geschnitten. Ich musste richtig losprusten, so komisch war sie. Wer hätte ihr diese kleinen Ausbrüche zugetraut, dieser legendären Grande Dame des Theaters! Aber dann dachte ich mir: Sie ist eben jung geblieben und manchmal so übermütig wie wir jungen Schauspieler.
Was ich von Heidi Kabel gelernt habe: Ein großer Name ist noch lange kein Grund, die Bodenhaftung zu verlieren. Sie ist immer authentisch geblieben. Volksnah eben. Und natürlich wollten die Zuschauer "ihre" Heidi Kabel sehen, mit ihr sprechen, sie berühren, nachdem ihr Spiel die Menschen so bezaubert hatte. Ich habe bewundert, mit welcher Grandezza sie das hingenommen hat. Denn sie war zwar ein Star zum Anfassen, mochte dieses Angefasstwerden aber nicht so, glaube ich.
Privat war sie eher zurückhaltend. Aber wenn sie jemanden mochte, dann war Heidi Kabel sofort warmherzig und alles andere als unnahbar. Sie war pünktlich, gut vorbereitet, stets ein Vorbild an eiserner Disziplin. Vielleicht hatte sie manchmal Knieschmerzen oder es ging ihr nicht so gut. Nie hat sie ein Wort darüber verloren, alles hinter der Bühne gelassen. Ihr Publikum sollte ihr den Schmerz nicht anmerken. Ganz ehrlich, bis zu zehnmal in der Woche haben wir mit "Manda Voss ward 106" auf der Bühne gestanden - das ist ein Kraftakt, auch wenn man jung ist.
Heidi Kabel hat der plattdeutschen Sprache ein Gesicht gegeben und dem Ohnsorg-Theater eine unglaubliche Popularität! Und damit hat sie auch mir den beruflichen Weg geebnet. Gerade habe ich mit ihrer Tochter Heidi Mahler auf der Bühne gestanden, und ich glaube sagen zu dürfen, dass sie so viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter hat: die Gestik und auch diesen unverwechselbaren Schalk in den Augen.
Heidi Kabel war dem Ohnsorg-Theater immer verbunden. Auch als sie selbst nicht mehr auf der Bühne stand, kam sie zu jeder Premiere - so auch zu unserer Kultrevue "Rock op Platt", die ich 2002 geschrieben und inszeniert habe. Rasante Rockmusik op Platt, na, wenn das mal was für die Ohren einer 87-Jährigen ist?! Doch Heidi Kabel sagte: "Toll gemacht. Das ist ein ganz neuer Weg für das Ohnsorg-Theater! Ich freu mich so, wenn das Haus sich modern und frisch präsentiert!"
Heidi Kabel war nicht nur schauspielerisch ein Vorbild. Als Mutter eines sechsjährigen Sohnes finde ich es beeindruckend, wie sie als dreifache Mutter Familie und Schauspielerei vereinbart hat - in einer Zeit, in der das nicht selbstverständlich war.
An unsere gemeinsame Zeit auf der Bühne habe ich gestern intensiv gedacht. Auch an ihre Sterbeszene am Ende von "Manda Voss", die sie jeden Abend mit so einer darstellerischen Kraft gespielt hat, dass vielen Menschen vor und hinter der Bühne die Tränen kamen.
Es war so anrührend, wie meine Urgroßmutter beruhigt von dieser Welt gehen konnte, weil sie für mich, ihre Urenkelin, alles erreicht hatte.
Ick warr di nich vergeeten, Heidi Kabel!