Hamburg. Wer einen Oldtimer besitzt, will ihn auch zeigen. Oliver Schirg hat bei seiner Recherchetour viele Traumautos gesehen – und glückliche Gesichter.
Da sind die sanft geschwungenen Formen am Heck. Dann der verchromte Kühlergrill, der an ein großes Walfischmaul erinnert. Und drinnen erst: die dreisitzige Sitzbank, in der man versinkt und auf eine Zeitreise in die 50er-Jahre mitgenommen wird. Ja, so muss sie sich angefühlt haben, die Freiheit, die das Automobil nicht nur den gut Betuchten, sondern der Masse der Menschen brachte.
Mirko Benold hat sich den 1953 gebauten Straßenkreuzer Buick Modell Super aus den USA kommen lassen. Vier Jahre ist das jetzt her. In seiner Garage am Haus entspannt der 46-jährige Einzelhändler sich, wenn er an seinem Auto „schrauben“ kann. „Die Restaurierung eines Autos fasziniert und beruhigt mich“, erzählt er auf einem Oldtimertreffen am ehemaligen Landgestüt Traventhal im Kreis Segeberg. Deshalb wäre er bereit, den Buick auch zu verkaufen. „Für ein anderes, noch nicht restauriertes Fahrzeug.“
Mirko Benold teilt seine Leidenschaft mit immer mehr Menschen. Noch nie in der deutschen Automobilgeschichte hat es so viele Oldtimer gegeben wie derzeit. Rund 311.000 Zulassungen vermeldeten die Behörden im vergangenen Jahr. Das sind rund 31.500 mehr als ein Jahr zuvor und mehr als doppelt so viele wie zur Jahrtausendwende.
Das mag zum einen daran liegen, dass als Oldtimer angemeldete Fahrzeuge bei Steuer und Versicherung günstiger sind als normale Autos. Zum anderen haben inzwischen Fahrzeuge das Oldtimeralter erreicht wie ein Golf II oder der sogenannte Baby-Benz, die sehr langlebig sind und noch immer zum Straßenbild gehören.
Seit Einführung des Windkanals fehlt Autos ein eigenständiges Gesicht
In keiner deutschen Metropole sind so viele Autos mit dem H-Kennzeichen zugelassen wie in Hamburg. Statistisch kommen hier auf 1000 Einwohner 5,13 Oldtimer, in einem Vergleich der Bundesländer gibt es lediglich in Baden-Württemberg geringfügig mehr. Es sind die Liebe zum Detail und zur alten Technik sowie Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend, die Fans von Oldtimern umtreibt. „Heute entstehen Autos im Windkanal und werden aus umweltschonenden Materialien gefertigt“, erzählt Norbert Gerlach, Servicechef bei Auto Wichert in der Wendenstraße. Das war in den 50er- und 60er-Jahren nicht das Thema. „Früher hatte ein Auto ein eigenständiges Gesicht“, sagt Gerlach. „Denken Sie nur an die Vorderfont des Buick.“
Mirko Benold spricht davon, dass Oldtimer „Eyecatcher“ seien, Hingucker sozusagen. Immer wieder bleiben Besucher beim Oldtimertreffen vor seinem grünen Buick mit dem weißen Dach stehen und lassen sich mit dem Straßenkreuzer fotografieren. Ein älterer Mann fragt nach dem Benzinverbrauch und rollt mit den Augen, als Mirko Benold von 17 Litern pro 100 Kilometer spricht. „Wenn ich gemächlich fahre“, fügt Benold lächelnd hinzu.
Claus Mirbach ist einer der renommiertesten Oldtimer-Händler Deutschlands. Wer sein Geschäft in einer ruhigen Seitenstraße in Eimsbüttel betritt, den empfangen fein ausgerichtet Autos aus unterschiedlichen Jahrzehnten. Zum Beispiel steht da ein Austin Healey Roadster aus dem Jahr 1953. Schwarz. Mit Chromverzierungen. Der Besucher meint schon beim Anblick des sportlich geschwungenen Autos den Fahrtwind zu spüren. Oder ein Mercedes 190 SL aus dem Jahr 1962. In Hellblau, was für einen Daimler ungewöhnlich ist. Riesige Scheinwerfer, der mächtige Stern und die lederbezogenen Sitze: „Das Fahrzeug ist in einem wirklich guten Zustand“, sagt Claus Mirbach. „Und die Farbe ist original.“
Wo gibt’s noch Karosseriebauer, die aus einem Blech einen Kotflügel machen?
Den Geschäftsmann fasziniert „die einfache, überschaubare Mechanik“ dieser alten Autos. „Wenn man in den Motorraum reinschaut, findet man noch einen Motor.“ Heute sei der Motorraum mit viel Elektronik vollgestopft. Und dann erzählt er von einem inzwischen 83-jährigen Kunden, der, kaum dass er Rentner geworden war, damit anfing, Autos zu restaurieren. „Er hatte vorher in einer Behörde gearbeitet und brachte sich alle für einen Schrauber notwendigen Fähigkeiten selbst bei.“
Auch Norbert Gerlach schwärmt von der Überschaubarkeit der technischen Innereien. „An Oldtimern kann man noch schrauben“, sagt er und lehnt sich in seinen Bürostuhl zurück. Durch ein großes Fenster hat er einen guten Überblick über die Werkstatt. Der Klinkerbau erinnert an Zeiten, in denen Kfz-Mechaniker ausgebildet wurden und nicht – wie heute – Mechatroniker. Gerade lässt ein Mitarbeiter einen VW Passat auf einer Bühne hochfahren.
Das Problem: In Deutschland gibt es inzwischen zu wenige auf Oldtimer spezialisierte Fachwerkstätten. Das betreffe den Motor, die Karosserie und das Interieur von Fahrzeugen, sagt Gerlach. „Es ist schwer, einen Karosseriebauer zu finden, der aus einem Stück Blech einen Kotflügel anfertigen kann.“ Gerlach versucht daher, in seiner Werkstatt junge Mitarbeiter für Oldtimer zu faszinieren. „Vor drei Jahren schufen wir die Stelle für einen Schulungsmeister, der Lehrlinge und Gesellen weiterbildet. Da geht es um das Einstellen eines Vergasers oder das Arbeiten mit einer Zündlichtpistole, um den richtigen Zündzeitpunkt einzustellen.“
Auto Wichert reagiert damit auf wachsenden Bedarf. Inzwischen sind vermehrt Fahrzeuge unterwegs, die mehr als drei Jahrzehnte auf dem Buckel haben. „Nehmen sie den Golf II, der 30 Jahre alt ist“, sagt Norbert Gerlach. „Für dessen Reparatur wollen wir ein Angebot schaffen.“ Die amtliche Statistik untermauert seine Sicht der Dinge. Der Golf hat es im vergangenen Jahr erstmals in die Top Ten der zugelassenen Oldtimer geschafft.
Claus Mirbach sieht das etwas entspannter. „Es gibt guten Nachwuchs unter den Schraubern“, sagt er, räumt aber ein: „Die besten Techniker gab es vor einigen Jahren im Osten Deutschlands.“ Seinen „Haus“-Mechaniker lernte Claus Mirbach kurz nach der Wende in der DDR kennen. „Das ist ein Tüftler, der so lange rumfummelt, bis er das Problem gelöst hat.“
Axel Görs nennt gleich mehrere Mercedes-Oldtimer sein Eigen. Und er schwärmt von Werkstätten in Polen, Tschechien und Ungarn. „Die sind keineswegs billig und auf bestimmte Arbeiten spezialisiert.“ Die Holzverzierungen am Armaturenbrett für eines seiner Modelle hat er zum Beispiel in Ungarn machen lassen; der Dachhimmel wurde in Tschechien wieder instand gesetzt. Der Service ist gut. „Sie holen das Fahrzeug ab und bringen es anschließend in restauriertem Zustand wieder zurück.“
Viele Oldtimer-Besitzer verbindet mit dem Auto die eigene Geschichte. Norbert Gerlach spricht von einem „Brückenschlag“ zu früheren Zeiten. „Manche Leute sind als Kind selbst in solch einem Auto mitgefahren. Andere haben als Student davon geträumt.“ Der Serviceleiter erinnert sich gern an seine Jugend und den Ur-Quattro von Audi, mit dem Rallye-Weltmeister Walter Röhrl Mitte der 80er- Jahre die Massen begeisterte. Seine Werkstatt restauriere gerade ein Käfer-Cabriolet, erzählt Gerlach. „Dessen Besitzer haben in diesem Auto ihre Hochzeitsreise unternommen und wollen diese jetzt mit dem Fahrzeug wiederholen.“
Claus Mirbach besitzt sogar sieben Oldtimer, „von denen fünf angemeldet sind“. Zum Beweis kramt er fünf Fahrzeugzulassungen aus seiner Brieftasche und legt sie auf den Tisch. Da ist sein Lieblingswagen, der Sunbeam Talbot Alpine aus dem Jahr 1954. „Mit so einem Fahrzeug fuhr Grace Kelly in dem Film ,Über den Dächern von Nizza‘.“ Je nachdem, in welcher Stimmung er gerade ist, fährt er dieses Auto oder das Hillman-Mins Cabriolet aus dem Jahr 1954 oder den Triumph Mayflower von 1952.
„Ich habe noch nicht erlebt, dass jemand sich einen Oldtimer gekauft hat, ohne eine Beziehung zu dem Fahrzeug zu haben“, sagt Mirbach. Er selbst erinnert sich an die Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. „Damals wohnten wir im Stadtteil Hochkamp, und ich konnte als Achtjähriger beobachten, wie die Engländer die sogenannten Beutefahrzeuge abtransportierten: Mercedes, BMW oder sogar Maybach.“ Jahre später führte ihn eine Reise mit dem Austin Healey nach Spanien, über die er in seinem jüngst erschienenen Buch „Vorfahrt für Oldtimer“ berichtet.
Fernsehmoderator Jörg Boecker, der mit seinem Mercedes 380 SL aus dem Jahr 1983 die 1. Wichert Classic Oldtimer Rallye fuhr, war gerade mal zehn Jahre alt, als „sein“ Auto vom Band rollte. „Der Wagentyp war immer da“, erinnert sich Boecker und spricht von „einer Liebeserklärung an die Zeit, in der das Fahrzeug gebaut wurde“. Der Benzinverbrauch spiele keine große Rolle. „So ein Auto kauft man sich nicht, um Sprit zu sparen.“
Für das Horch 853 Sport Cabriolet zahlen Sammler bis zu einer Million Euro
Mit einem Putzlappen wischt Manfred Kruse sanft über die schwarz in der Sonne glänzende Motorhaube seines Mercedes 220 S aus dem Jahr 1958. Die Wichert Classic Oldtimer Rallye hat gerade eine Mittagspause auf dem Gut Basthorst eingelegt. Vier Jahre schraubte er mit eigenen Händen an dem Fahrzeug, immer in seiner Freizeit. „Wenn ich unter dem Auto liege, bekomme ich den Kopf frei.“
Axel Görs glaubt, dass die Zahl jener, die durch das Basteln an den Fahrzeugen ihre Befriedigung finden, in den vergangenen Jahren geringer geworden sei. „Diesen Besitzern geht es nicht so ums Geschäft. Sie nehmen die Wertsteigerung zwar mit, wollen aber vordergründig kein Geld mit ihrem alten Auto verdienen.“
Das klingt gut, ist aber wohl nur die halbe Wahrheit. In den vergangenen Jahren sind Oldtimer vermehrt zu einem Anlageobjekt geworden. Die Preise seien deutlich gestiegen, sagt Claus Mirbach. „Ein Mercedes vom Typ Pagode SL kostet inzwischen doppelt so viel wie vor fünf Jahren.“ Da würden auch schon mal 100.000 Euro bezahlt.
Doch es geht noch teurer. Vom Horch 853 Sport Cabriolet wurden zwischen 1935 und 1937 im sächsischen Zwickau lediglich 266 Stück gefertigt. „Sammler zahlen inzwischen für einen gut erhaltenen Wagen dieser Marke bis zu einer Million Euro“, sagt Claus Mirbach. In dieser Preiskategorie bewegt sich auch ein Mercedes 300 SL Flügeltürer.
Auch Axel Görs hat die Entwicklung des Marktes in den vergangenen Jahren beobachtet und ein „gigantisches Wachstum“ erkannt. Er schätzt, dass im vergangenen Jahr allein in Deutschland mit Oldtimern, Zubehör und Werkstattarbeit rund sechs Milliarden Euro umgesetzt wurden. Er habe Auktionen erlebt, bei denen kein Auto unter 100.000 Euro weggegangen sei.
Claus Mirbach ist überzeugt: „Wer gegenwärtig sein Geld in einen Oldtimer steckt, kann nicht viel falsch machen. Wertverlust gibt es kaum.“ Allerdings muss man beim Kauf eines Oldtimers achtsam sein. „Entscheidend ist eine gute Historie. Die Besitzverhältnisse müssen klar sein.“ Auch wäre es gut, Werkstätten, Reparaturen und andere Arbeiten lückenlos dokumentieren zu können. „Bei restaurierten Fahrzeugen helfen Fotos, die die Restaurierung begleiten.“
Allerdings dürfen Interessenten nicht vergessen, dass beim Kauf eines Oldtimers als Renditeobjekt andere Regeln als beim Neuwagenkauf gelten. „Man darf nicht vergessen: Es geht in diesem Fall um Spekulation“, sagt Norbert Gerlach. Selbst wer alles richtig mache, habe noch keine Garantie für einen guten Gewinn nach einigen Jahren, ergänzt Claus Mirbach.
Bei einem Oldtimer komme hinzu, dass es nicht reiche, diesen lediglich in die Garage zu stellen. „Gummis werden porös, Korkdichtungen verhärten mit der Zeit, und es treten Flüssigkeiten aus, wenn das Auto nicht bewegt wird.“ Deshalb sei es ideal, das Fahrzeug regelmäßig zu nutzen, sagt Claus Mirbach. „Und sei es nur für Ausfahrten am Wochenende.“
Zudem gelten die Regeln des normalen Autokaufs beim Erwerb eines Oldtimers nicht. „Gewährleistung existiert dort nicht, und das Risiko trägt in der Regel der Käufer“, ergänzt Norbert Gerlach. Anders als beim Kauf eines Neuwagens rate er deshalb dazu, stets durch einen Experten einen Blick darauf werfen zu lassen. „Ich sollte mir vorher darüber im Klaren sein, ob ich kleinere Reparaturen selbst machen oder alles einer auf Oldtimer spezialisierten Werkstatt überlassen will.“
Dass gegenwärtig die Preise von Oldtimern so in die Höhe geschossen seien, habe auch mit der Lage auf dem Finanzmarkt zu tun, sagte Claus Mirbach. „Jemand, der Geld hat, findet derzeit kaum eine Möglichkeit, dieses mit guter Aussicht auf Gewinn anzulegen.“
Doch vielen Besitzern historischer Automobile geht es nicht in erster Linie um das Streben nach Gewinn. Vielmehr ist das „Gesehenwerden“ durchaus ein Anreiz, sich ein in die Jahre gekommenes Auto zuzulegen. „Es schmeichelt dem Besitzer“, sagt Axel Görs. Zudem wirkt ein Oldtimer ein wenig wie eine Kontaktbörse. „Das ist wie bei einem Kleinkind oder einem Hund – man kommt rasch in Kontakt zu anderen Menschen.“ Dabei ist diese „Beziehung“ fast immer positiver Natur: „Ich habe noch nie von einem Menschen die Frage gehört: Was ist das denn für eine Stinkerkiste?“
Ein Vorkriegsauto wie den Opel P4 zu fahren ist schwere Arbeit
Vielleicht boomen auch deshalb Oldtimer-Rallyes. „Dabei geht es – bei den meisten jedenfalls – nicht darum, Erster sein zu wollen“, erzählt Axel Görs. „Vielmehr frönen die Leute ihrem Hobby, cruisen mit dem Auto durch die Landschaft.“ Der Stolz auf die (eigenen) vier Räder ist fast immer dabei.
Dabei ist die Zahl der Fahrzeuge, die in den ersten drei Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts gebaut wurden, inzwischen deutlich zurückgegangen. Die meisten Autos mit dem H-Kennzeichen stammen aus der Nachkriegszeit. „Lediglich fünf bis zehn Prozent der Oldtimer, die heute an einer Rallye teilnehmen, sind Vorkriegsfahrzeuge“, sagt Görs. Das liege auch daran, dass immer weniger Leute derartige Autos fahren könnten.
Günter Deppisch ist so einer. Wenn er bei seinem Opel P4 aus dem Jahr 1937 den Gang wechseln will, muss er Zwischengas geben. Auch Servolenkung und Bremskraftverstärker kennt sein Oldtimer nicht. „Das ist kein Vergleich mit den heutigen Fahrzeugen“, erzählt der 73-Jährige beim Traventhaler Oldtimertreffen. „Wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, muss ich richtig arbeiten und das Lenkrad gut festhalten.“
Drei Jahre habe er an seinem Vorkriegswagen, dessen 1100 Kubikzentimeter großer Motor 23 Pferdestärken auf die Straße bringt, gebastelt, ehe er die erste Ausfahrt habe machen können. Liebevoll streicht er über das in beige gehaltene Fahrzeug, dessen Hupe so klingt, wie man sie aus ersten Tonfilmen kennt. Wie zuverlässig sein fast 80 Jahre alter Wagen läuft, habe er erst vor einigen Monate wieder erlebt. „Bis nach Dresden, immer an der Elbe entlang, sind wir gefahren und wieder zurück.“
Und dann sind noch die Oldtimer-Besitzer, die ihre Schätze nicht öffentlich zeigen. Da wird die Garage schon mal zum Rückzugsort, wo allein der Besitzer sich am Anblick der Fahrzeuge erfreut. Immobilienmakler haben sich auf diese Kundschaft bereits eingestellt. Ein Garagenkomplex für die Oldtimer-Sammlung wertet die Immobilie deutlich auf. Vermehrt werden im Hamburger Umland die alten Fahrzeuge in eigens hergerichteten Gebäuden untergestellt, dort gewartet, vollgetankt und gesichert.
Besondere Zurückhaltung, im eigenen Oldtimer zu fahren, zeigten aber auch wohlhabende Hamburger – zumindest die des alten Schlages –, weil sie ihren Reichtum ungern öffentlich demonstrieren wollen. „Mancher fährt seinen Rolls-Royce bei Nacht, damit es keiner sieht“, sagt Claus Mirbach.