Berlin. Eine Initiative lässt Verbraucher Preise und Qualität von Lebensmitteln beeinflussen. Das Ziel: eine umweltschonende Landwirtschaft.
Die Liebe zur Kartoffel ist gewachsen. 59,4 Kilogramm haben Bürgerinnen und Bürger hierzulande von Mitte 2020 bis Mitte 2021 gegessen, etwa zwei Kilo mehr als ein Jahr zuvor. Das rechnet das Bundeswirtschaftsministerium vor. Der Verzehr von Pommes frites, Kartoffelsalat oder Chips ging zwar leicht zurück, weil in Corona-Zeiten weniger Leute in die Gaststube und ins Fußballstadion gehen, Partys ausfallen. Gefragt indes: die Speisekartoffel, für das Kochen zu Hause.
Nun können Verbraucherinnen und Verbraucher mitentscheiden, wie das Kartoffelsortiment in Supermärkten aussehen soll. Sie können wählen, ob die nächste Knolle vom Ökohof kommen, festkochend oder mehlig sein soll. Und: Soll sie gewaschen und supersauber sein? Oder doch eher gebürstet, sodass sie noch ein wenig gräulich und nach Erde aussieht? Das schützt sie vor Licht, sie keimt dann nicht so schnell, bleibt länger haltbar. Und ist vielleicht sogar eine kleine Macke akzeptabel? Wie darf der Preis an der Ladentheke sein, wie werden die Bauern vergütet?
Dafür müssen Verbraucher nur einen Fragebogen – den sogenannten „Kartoffel-Konfigurator“ – im Internet ausfüllen. Man sieht dann auch sofort, wie sich der Preis verändert, je nach dem Anspruch, den man hat: Damit der Bauer fair bezahlt wird, liegt er bei 52 Cent bis knapp zwei Euro pro Kilogramm.
Die Idee der Initiative kommt aus Frankreich
Hinter der Kartoffel nach Kundenwunsch steckt die Initiative Du bist hier der Chef!. Sie hat schon Milch in ihren blauen Verpackungen in die Regale von Supermärkten gebracht, den Liter für 1,45 Euro. 1,2 Millionen Mal hat sie sich bereits verkauft. Seit Dezember gibt es auch Eier, den Sechserpack für 3,76 Euro.
Ursprünglich kommt die Idee aus Frankreich, dort gibt es mittlerweile 30 Produkte dieser Art. Nach Deutschland kam sie mit Nicolas Barthelmé. „Faire Preise für Landwirte, das Wohl der Tiere in den Ställen und die Schonung der Umwelt – das beschäftigt immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher“, sagt er. Nun könnten „Verbraucher die Produkte gestalten, die sie wollen, und für faire Preise sorgen“. Außerdem landeten zu viele Lebensmittel im Müll. Auch das störe viele Konsumenten.
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Ein neuer Umgang mit Lebensmitteln soll gefördert werden
Tatsächlich geht weltweit jedes Jahr etwa ein Drittel der Lebensmittel auf dem Weg vom Feld bis zum Teller verloren. Das rechnet das Umweltbundesamt vor. Gleichzeitig leiden etwa 800 Millionen Menschen unter Hunger. Barthelmé will einen neuen Umgang mit Lebensmitteln fördern, eine größere Wertschätzung für Essen und die Landwirte, die es produzieren.
Kundinnen und Kunden können bei den insgesamt zwölf Fragen zur Kartoffel zum Beispiel entscheiden, ob große und kleine gemischt werden können oder nicht. Den Hintergrund dazu erfährt man gleich mit: Werde nur eine Standardgröße und Form gefragt, fielen üblicherweise 30 Prozent der Erntemenge raus, heißt es im Fragebogen. Diese müsse der Landwirt dann zumeist anders und zu einem deutlich niedrigeren Preis vermarkten. Oft landeten sie in der Industrie oder auch im Tierfutter.
16 Biobetriebe hat Barthelmé mittlerweile gewonnen, die die Milch seiner Marke produzieren, einen für die Eier. Für die Kartoffeln hat er auch schon Mitstreiter gefunden. Einer von ihnen ist Peter Linz. Er hat den Fragenkatalog mit ausgearbeitet und führt den Antoniushof, einen Ökobetrieb auch mit Mitarbeitern mit Behinderung, 375 Hektar groß, davon 35 Hektar Kartoffelacker, nahe Fulda im Bundesland Hessen. Der Preisdruck in der Lebensmittelbranche sei sonst enorm, sagt er: „Viel zu oft geht es nur um billig-billig. Es ist das erste Mal, dass Verbraucher sagen, was ihnen wichtig ist, Bauern dafür einen fairen Preis bekommen und der Handel mitmacht.“
Große Supermarktketten haben sich dem Trend angeschlossen
Für die Kartoffel ist Barthelmé derzeit mit dem Handel in Gesprächen. Milch und Eier stehen in Märkten von Edeka, Rewe und anderen Lebensmittelketten. Bei Edeka, Deutschlands größtem Lebensmittelhändler, entscheide jede Filiale selbst, erklärt die Zentrale in Hamburg. Thomas Bonrath ist Sprecher von Rewe, der Nummer zwei der Branche mit Sitz in Köln. Er sagt: „Als sich Nicolas Barthelmé entschloss, dieses Konzept nach Deutschland zu importieren, haben wir sehr schnell geprüft, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte.“ Der Verkauf der Milch bewege sich heute „konstant annähernd auf dem Niveau einer Bio-Markenmilch“. Fair gehandelte, regionale und Bio-Lebensmittel lägen im Trend.
Ob der Trend sich fortsetzt? Das sei „aktuell Spekulation“, meint Bonrath. „Die entscheidende Frage zur Zukunftsperspektive der Verbrauchermilch ist, wie stark wirtschaftliche oder auch geopolitische Einflüsse die verfügbaren Einkommen der Verbraucher schmälern, sodass sie ihre Kaufentscheidung bei Lebensmitteln wieder stärker am Preis ausrichten.“ Bonrath weiter: „Und natürlich muss es für alle Beteiligten betriebswirtschaftlich Sinn machen, Milch der Marke Du bist hier der Chef! ins Sortiment zu nehmen.“ Letztlich glaubten sie aber „mittelfristig an den Erfolg“.
Neben der Kartoffel gibt es bereits eine neue Abstimmung
Rund 5000 Verbraucherinnen und Verbraucher haben schon über die Kartoffel abgestimmt. Das Voting läuft im Netz unter noch bis April. Gleichzeitig gibt es auch schon eine neue Abstimmung: über Joghurt.