Berlin. Depressionskranke warten Monate auf einen Therapieplatz. Für die Überbrückung soll Online-Psychotherapie helfen - mit Arztbegleitung.
Lockdowns, Social Distancing, Homeoffice – die Corona-Pandemie fordert ihren Tribut nicht nur auf den Intensivstationen, sondern ist auch für die psychische Gesundheit eine enorme Belastung.
Bereits nach dem ersten Lockdown im Mai 2020 zeigte eine Befragung von 100.000 Deutschen im Rahmen der NAKO Gesundheitsstudie, dass Depressionen, Angst und Stress zugenommen hatten. Im Oktober 2021 berichteten Forscher dann, dass weltweit 52 Millionen mehr Menschen an einer Depression erkrankt waren, als es ohne Pandemie der Fall gewesen wäre.
Bei psychischen Problemen therapeutische Hilfe zu finden, war allerdings schon vor der Pandemie nicht leicht: „In Deutschland fehlen mehr als 1600 Psychotherapeuten. Viele Patienten müssen bis zu sechs Monate auf einen Therapieplatz warten“, berichtet der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Dr. Ernst Dietrich Munz. „In der Pandemie hat die Nachfrage nach Psychotherapie noch einmal stark zugenommen und die Mangelsituation verschärft.“
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Online-Psychotherapie: Meta-Studie zeigt Wirksamkeit bei Depressionen
Eine gewisse Entschärfung der Situation versprechen Online-Therapieangebote. Darauf deutet eine Forschungsarbeit der Universität Freiburg hin. Eine Gruppe von Psychologen überprüfte für die Metastudie 83 Einzelstudien mit insgesamt mehr als 15.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, um herauszufinden, welche Rolle Online-Therapien bei Depressionen spielen können.
Ihr Ergebnis: Bei leichten bis mittelschweren Depressionen können Online-Therapieangebote wie Computerprogramme oder Smartphone-Apps Wirkung zeigen. Die Forscher gehen sogar so weit, zu sagen, dass spezialisierte Computerprogramme bei der Behandlung von Depressionen vergleichbar wirksam sein könnten wie eine klassische Psychotherapie – solange die Patienten dabei nicht alleingelassen werden. Menschliche Unterstützung sei nach wie vor erforderlich, um sicherzustellen, dass die Erkrankten die Behandlung einhalten.
Die Motivation von Patientinnen und Patienten für eine Online-Therapie aufrechtzuerhalten, ist demnach eine Herausforderung: Im Durchschnitt schloss in den 83 Studien nur die Hälfte der Teilnehmer die internetgestützte Therapie vollständig ab.
Anbindung an Psychotherapeuten entscheidend
Egal ob ein Programm für den Desktop-PC oder eine App fürs Handy: Als Ersatz für eine klassische Psychotherapie sieht Munz die Online-Therapieangebote nicht. Aber auch der Chef der Bundespsychotherapeutenkammer bestätigt: „Gesundheitsapps können eine relevante Ergänzung sein, wenn sie in einer psychotherapeutischen Behandlung unter Anleitung eingesetzt werden.
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Die Anbindung an eine Psychotherapeutin oder einen Psychotherapeuten ist entscheidend. Denn Gesundheitsapps sind nicht vergleichbar mit Apps von Lieferdiensten oder Reiseveranstaltern, die man schnell herunterladen und benutzen kann. „Besteht der Verdacht auf eine psychische Erkrankung, besteht der erste Schritt immer in der Diagnosestellung“, betont Munz. Und eine Diagnose könne nur in einem direkten Gespräch zwischen Therapeut und Patient gestellt werden. „Die App hilft hier nicht weiter.“
Warten auf Therapieplatz: Gesundheits-Apps zur Überbrückung
Psychotherapeuten bieten regelmäßige Sprechstunden an, die Patienten nach vorheriger Terminvereinbarung aufsuchen können. „Dort lässt sich dann abklären, ob tatsächlich eine behandlungsbedürftige Erkrankung vorliegt“, so Munz.
Stellt sich in der Sprechstunde heraus, dass tatsächlich eine Depression besteht, muss als Nächstes die Frage nach der geeigneten Behandlung geklärt werden. Leichte bis mittelschwere Depressionen können durch eine Psychotherapie oder die Einnahme von Medikamenten behandelt werden, manchmal werden auch beide Therapiestrategien gleichzeitig genutzt.
Lässt sich kurzfristig kein freier Therapieplatz finden, kommen laut Munz Gesundheitsapps zur Überbrückung infrage. Im App Store von Apple und im Google Play Store für Android-Geräte tummeln sich zahlreiche Apps für die psychische Gesundheit. Empfehlenswert und in Deutschland für den Bereich Depression zugelassen sind aber nur vier Gesundheitsapps.
Zugelassene Apps nur auf Rezept erhältlich
„Sie werden vom Arzt oder Psychotherapeuten verordnet und von der Krankenkasse bezahlt“, erklärt der Experte Munz. Wichtig bei der Auswahl einer Gesundheitsapp sei, dass der Anbieter einen Wirksamkeitsnachweis in Studienform erbracht habe. Dies sei momentan bei den Apps HelloBetter und deprexis der Fall. Die beiden anderen Apps zur Behandlung von Depressionen wurden vorübergehend in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen, müssen ihre Wirksamkeit aber noch beweisen.
Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer warnt allerdings vor einem allzu leichtfertigen Umgang mit den Online-Therapieangeboten: „Gesundheitsapps sind wie Medikamente, sie können auch Nebenwirkungen haben.“ In Studien sei die Gefahr von Nebenwirkungen bisher leider kaum untersucht worden, bemängelt er. Aber vorstellbar sei beispielsweise, dass Apps die Patienten auch von einer wirksamen Therapie abhalten könnten.
Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen
„Wenn eine depressive Patientin die Gesundheitsapp nutzt, sie bei ihr aber nicht zu einer Verbesserung führt, kann sie anschließend demotiviert sein und sich nicht erneut therapeutische Hilfe suchen“, erklärt Munz. „Nutzt eine depressive Patientin eine App, die bei ihr nicht wirkt, kann es ihr also nachher schlechter gehen als vorher.“
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Deshalb sei die Begleitung durch eine Therapeutin oder einen Therapeuten so wichtig. „Der Patient muss wissen“, so Munz, „dass er sich an jemanden wenden kann, wenn er mit der App alleine nicht weiterkommt.“
Online-Psychotherapie: Kurse auf Kassenkosten
Online-Therapieangebote für die Behandlung von Depressionen gibt es in Deutschland bereits auf Kassenkosten. Sie orientieren sich an Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie. Dieses Therapieverfahren hat sich in Form einer klassischen Therapie bei Psychotherapeuten bereits bei Depressionen bewährt.
Das Online-Therapieprogramm umfasst verschiedene Kurseinheiten, die die Teilnehmenden nach und nach durcharbeiten. Sie bekommen zum einen Wissen über die Erkrankung vermittelt, zum anderen geht es darum, neue Verhaltensweisen zu erlernen – etwa für die Lösung von Problemen, zum Umgang mit negativen Gedanken oder für die Interaktion mit anderen Menschen.
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Manche Online-Therapien umfassen auch Übungen zur Entspannung und zum Stressabbau. Außerdem gibt es für die Patienten immer eine Rückmeldung, etwa Feedback über SMS oder E-Mail.