Berlin. Viele denken erst im Bett über Ängste nach, die sie tagsüber verdrängen. Dann kommen sie nicht in den Schlaf. Was sie dann tun sollten.
Viele kennen das: Man liegt nachts wach, die Gedanken kreisen und der Blick auf den Wecker setzt einen nur noch mehr unter Druck. Die Uhr tickt – und es bleibt immer weniger Zeit zu schlafen. Genau das ist jedoch misslich: „Auf keinen Fall auf die Uhr schauen. Das ist das Schlimmste, was man in dieser Situation machen kann“, sagt Prof. Dieter Riemann, Schlafforscher der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Er nennt dies „einen Wettkampf, den man nur verlieren kann.“
Charakteristisch für nächtliche Grübeleien und einen schlafgestörten Menschen ist Riemann zufolge, dass sich die Gedanken oft um den Schlaf selbst drehten. „Es geht gar nicht immer so sehr um aktuelle Sorgen, sondern vor allem darum, warum man nicht genügend Schlaf abbekommt“, erklärt er.
Nachts zu grübeln und Vergangenes Revue passieren zu lassen, müsse dabei nicht per se schlecht sein, sagt Prof. Ingo Fietze, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Berliner Charité. „Man kann in der Nacht auch sehr kreativ werden. Daher immer Stift und Zettel bereithalten, wenn man mal mit einer Idee wach wird.“
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Schlafstörungen: Nachdenken und Grübeln sind nicht dasselbe
Nachdenken und Grübeln sind Fietze zufolge allerdings nicht dasselbe. Denn während beim Nachdenken die Lösungsfindung im Fokus stehe, damit also produktiv und sinnvoll sein könne, lasse man beim Grübeln eher Zweifel und Ängste zu. Ob man nun nachdenkt oder grübelt, hänge dabei unter anderem von der Tageszeit ab. „Tagsüber sind wir abgelenkt, wir verarbeiten Informationen und spulen Prozesse ab. Da bleibt wenig Zeit für Grübeleien“, sagt Dieter Riemann. Am Tag könnten wir bewusst darüber entscheiden, ob wir negative Gedanken zulassen oder nicht – und gegenlenken.
Ganz anders sei dies aber, wenn wir am Abend ins Bett gingen: „Gerade der Übergang zwischen dem Wachsein und Schlafen ist ein Zustand, in dem wir die bewusste Kontrolle verlieren“, erklärt der Schlafforscher. „Wir haben dann nicht mehr die volle Macht, diese Gedanken zu stoppen.“ In diesem Zeitfenster sei die Wahrscheinlichkeit hoch, der nächtlichen Grübelei zu verfallen und Gedanken nachzuhängen, die man tagsüber erfolgreich verdrängt habe.
Fortsetzung in den leichten Schlafphasen
Doch selbst wenn diese kritische Schwelle irgendwann überwunden ist und man in den Schlaf falle, setzten sich die belastenden Gedanken fort: „Die Grübeleien gehen auch im Schlaf weiter, vor allem in den leichten Schlafphasen. Aber auch im REM-Schlaf, was eigentlich dem Träumen entspricht“, meint Riemann, der unter anderem genau zu diesem Thema forscht.
Sorgen und Ängste mit in den Schlaf zu nehmen, sei der Grund, weshalb dieser nicht wirklich erholsam sei: „Man fühlt sich dann wie gerädert und der Kopf ist nicht frei“, erklärt er. Tendenziell seien Frauen eher dazu geneigt, nachts schlecht zu schlafen. Studien zeigen, dass mehr als ein Viertel der Deutschen Probleme haben einzuschlafen. Frauen leiden dabei deutlich häufiger unter Schlafstörungen als Männer. Dies sei unter anderem damit zu begründen, dass Frauen eher Zugang zu ihren Problemen fänden, belastende Gedanken also eher zuließen, während Männer diese eher verdrängten.
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Ausreichend Schlaf ist wichtig für das emotionale Gleichgewicht
Auf physiologischer Ebene finden im Schlaf viele komplexe Prozesse statt und der Körper bereitet sich schon früh auf das Zubettgehen vor: „Ab 18 oder 19 Uhr sinkt langsam unsere Körpertemperatur, das Stresshormon geht herunter und wir schütten Melatonin aus“, erklärt Riemann. Der Nachtschlaf habe eine vielfältige und sehr wichtige Funktion für den Menschen.
So seien diverse Reparaturmechanismen aktiv. Das Immunsystem werde nachts gefördert und der Körper erhole sich von den Anstrengungen des Tages: „Das ist wie der Reset-Button am Computer“, sagt er. Negative Gedanken und Grübelei störten jedoch die Regeneration und die Qualität des Schlafs. Auch hätten schlafgestörte Menschen eine erhöhte Ausschüttung von Stresshormonen, was sich auf Dauer negativ auf die Gesundheit auswirke. Gut zu schlafen, sei den Experten zufolge elementar für das allgemeine Wohlbefinden und die emotionale Ausgeglichenheit im Alltag.
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Um die nächtlichen Gedanken zu stoppen oder diesen bereits am Tag präventiv vorzubeugen, helfe es, sich schon am Vorabend für wenige Minuten bei vollem Bewusstsein mit dem darauffolgenden Tag zu beschäftigen und sich zu überlegen, was potenzielle Stressoren sein könnten: „Durch das bewusste Auseinandersetzen mit den eigenen Gedanken werden die Dinge etwas harmloser und man nimmt nicht mehr alles so bitterernst“, sagt Riemann.
„Meistens kann man dann ganz oft lachen“
Sich die Sinnlosigkeit des Grübelns zu vergegenwärtigen, könne oft schon wirksam sein, um aus der Negativität auszubrechen. Es sei effektiv, ehrlich mit sich zu sein und die bevorstehende vielleicht belastende Situation realistisch einzuschätzen und sich das Worst-Case-Szenario, also den ungünstigsten Fall vor Augen zu führen: „Meistens kann man dann ganz oft über sich lachen und sehen, dass es Blödsinn ist, sich darüber Gedanken zu machen“, sagt Riemann.
Radio oder Podcasts hören, lesen, stricken, Meditation oder autogenes Training – jeder geht individuell mit Schlaflosigkeit um. Und grundsätzlich helfen viele Dinge, um den negativen Nachtgedanken zu entkommen. Kritisch würden die schlaflosen Nächte allerdings dann, wenn man sich tagsüber aufgrund des fehlenden Schlafs nicht mehr wohl- und erholt fühle.
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„Das Maß ist immer der subjektive Leidensdruck“, meint Riemann. Während nämlich der eine mit nur sehr wenig Schlaf gut zurechtkommt, kann dies für den anderen bereits zum Problem werden. Wenn aber die Grübeleien zu chronischem Schlafentzug führen und die Leistungsfähigkeit am Tag darunter deutlich leide, sei es ein klares Indiz, sich therapeutische Hilfe zu suchen. Fietze: „Wenn nichts anderes hilft, können Psychologen und Psychotherapeuten helfen.“