Stuttgart. Erythrit, Ahornsirup, Süßstoff oder weißer Zucker: Die meisten Menschen lieben gesüßtes Essen. Zu viel davon kann das Gehirn verändern.

Im vergangenen Jahr hatten Kinder und Jugendliche bereits am 11. August so viel Zucker gegessen, wie ihnen für das ganze Jahr empfohlen wird. Das stellt die Verbraucherorganisation Foodwatch fest, die mit dem „Kinder-Überzuckerungstag“ auf die daraus resultierenden Gesundheitsprobleme aufmerksam machen will.

Auch bei Erwachsenen sieht es nicht besser aus: Circa 93 Gramm des süßen Lebensmittels verzehren die Deutschen durchschnittlich pro Tag. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfehlen höchstens 50 Gramm täglich.

Experten sind sich einig, dass zu viel Zucker für die meisten der sogenannten Zivilisationskrankheiten mitverantwortlich ist. Die Ernährungswissenschaftlerinnen Brigitte Bäuerlein und Irmingard Dexheimer haben für ihr Buch „Der Zuckerkompass“ aktuelle Erkenntnisse zusammengetragen.

Das Verlangen nach Zucker und die Evolution

Viele kennen das Phänomen: Eigentlich ist man schon satt, aber der süße Pudding passt noch rein. Dass Zucker so unwiderstehlich für uns ist, hänge mit unserer Evolution zusammen, erklärt Irmingard Dexheimer. Denn das Süße werde als sichere Nahrung erkannt, die schnell Energie liefere.

Überall im Körper gebe es Rezeptoren, um den Zucker zu erkennen: „Uns hat überrascht, dass wir Süßrezeptoren nicht nur auf unserer Zunge haben, sondern auch in Darm, Herz, Blase, Nieren und Gehirn,“ sagt die Ernährungswissenschaftlerin.

Dexheimer zufolge zeigen Studien, dass Zucker in Kombination mit Fett das Belohnungssystem im Gehirn besonders effektiv stimuliert. Das Glückshormon Dopamin wird dabei ausgeschüttet. Diesen Effekt wollen Menschen durch mehr Zucker wiederholen. Die Sättigungssignale des Gehirns würden dann überschrieben, so Dexheimer. „Der Spruch – Süßes geht immer – stimmt wirklich.“

Macht Zucker süchtig?

Ob Zucker so süchtig macht wie die Droge Kokain, haben französische Wissenschaftler an Ratten untersucht. Die Ergebnisse haben sie 2020 in der Fachzeitschrift „Neuropsychopharmacology“ veröffentlicht. Die Tiere konnten zwischen den beiden Substanzen wählen. In vorherigen Studien hatten sie sich meist für Zuckerwasser entschieden.

Die Forscher konnten zeigen, dass der Zucker das Belohnungszentrum der Ratten schneller anspricht als die Droge. Kokain setzte dafür deutlich mehr Dopamin frei. Es werde von den Tieren auch bevorzugt, wenn dieser Effekt berücksichtigt wird, und macht daher süchtiger.

Besonders gefährlich seien Dexheimer zufolge gelöster Zucker aus Softdrinks und Fruchtsäften. Denn diese würden nicht richtig sättigen. Stattdessen müsste zusätzlich zu den Kalorien aus dem flüssigen Zucker weitere Energie durch feste Nahrung eingenommen werden.

Folgen hohen Zuckerkonsums für die Gesundheit

Die sichtbarste Folge hohen Zuckerkonsums ist starkes Übergewicht. Ein hoher Cholesterinspiegel und Bluthochdruck begleitet die Fettleibigkeit in der Regel, stellt Dexheimer fest. Denn das süße Lebensmittel senkt aktiv den Spiegel des „guten“ HDL-Cholesterins . Dieser Stoff ist dafür zuständig, das „schlechte“ LDL-Cholesterin abzutransportieren. Wird der Prozess gestört, steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Schlaganfälle oder Herzinfarkte werden auch durch Typ-2-Diabetes begünstigt. Die Zuckerkrankheit ist laut der Ernährungswissenschaftlerin auch eine Folge des Überkonsums. Hier ist der Zuckerspiegel des Blutes dauerhaft hoch. Das Hormon Insulin, das den Zucker abbaut, wird von den Körperzellen immer schlechter aufgenommen und verwertet.

Eine weitere Begleitkrankheit ist laut Dexheimer die nicht-alkoholische Fettleber. Besonders Fruchtzucker führt dazu, dass der Fettanteil in den Leberzellen ansteigt. Das Gewebe verfettet und entzündet sich, eine Leberzirrhose kann als letzte Konsequenz entstehen.

Kinder haben das größte Verlangen nach Süßem. Im Laufe des Lebens nimmt die Präferenz ab, sofern viel Zucker keine Essgewohnheit wird.
Kinder haben das größte Verlangen nach Süßem. Im Laufe des Lebens nimmt die Präferenz ab, sofern viel Zucker keine Essgewohnheit wird. © iStock | istock

Der Einfluss von Zucker auf das Gehirn

Zucker beeinflusst aber auch das Gehirn. Das zeigt beispielsweise eine Studie aus dem letzten Jahr, veröffentlicht im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“. Forscher konnten bei übergewichtigen Kindern Veränderungen in der Gehirnregion Nucleus accumbens nachweisen. Sie ist wichtiger Teil des Belohnungssystems und beeinflusst das Essverhalten. Umso höher der Bauchumfang der Kinder, umso mehr Veränderungen wurden im Gehirn festgestellt.

Sogar eine Gewichtszunahme konnte vorausgesagt werden. Die Wissenschaftler vermuten, dass schlechte Ernährung zu Entzündungen im Gehirn führt und das Belohnungssystem stört. Die Kinder haben ein immer größeres Verlangen nach süßen und fetthaltigen Speisen – ein Teufelskreis entsteht.

Depression und Demenz durch Zucker?

Auch Depressionen und Demenz könnten indirekt mit Zuckerkonsum zusammenhängen. Menschen mit starker Insulinresistenz hätten ein höheres Risiko für Alzheimer, erklärt Dexheimer. Gleichzeitig hätten sie weniger entzündungshemmende Darmbakterien. Denn ungesundes Essen beeinträchtige die Darmflora.

Auch bei Menschen mit Depressionen könne man Veränderungen im Darm feststellen. Die Expertin ist aber vorsichtig: „Man kann nicht stark verkürzt sagen, Zucker macht Depressionen.“ Der genaue Zusammenhang sei noch unklar. Es zeige sich aber, dass eine gesunde mediterrane Kost depressive Symptome lindern könne.

Generell bedingen sich die gesundheitlichen Folgen durch Zucker gegenseitig. Die sogenannten Zivilisationskrankheiten haben immer auch andere Ursachen. Laut der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten führen zusätzlich wenig Bewegung, fettiges Essen und Stress zu Herz- und Gefäßkrankheiten und psychischen Problemen.

Erythrit, Ahornsirup, Süßstoff - eine Zuckeralternative?

Der viel genutzte Haushaltszucker ist ein Zucker natürlichen Ursprungs. Dazu zählen auch Sirupe aus Agaven, Ahorn und Datteln sowie Honig. „Sie süßen meist etwas geringer und bringen einen leichten karamelligen Geschmack mit, wodurch wir bewusster damit umgehen,“ sagt die Ernährungsberaterin Brigitte Bäuerlein.

Einige dieser Produkte wie Kokosblütenzucker würden auch aufgrund des Preises deutlich seltener eingesetzt. Letztlich beständen sie aber auch aus Frucht- und Traubenzucker, die in hohen Mengen schädlich seien, erklärt Bäuerlein.

Weniger Kalorien, trotzdem süß

Darüber hinaus gibt es die Zuckeralkohole wie Birkenzucker, Erythrit, Isomalt und Sorbit. Die Vorteile seien laut der Ernährungsberaterin, dass sie die Zähne schonten und weniger Kalorien besitzen. Manche Menschen hätten durch sie aber Verdauungsprobleme.

Süßstoffe haben keine Kalorien und verursachen auch kein Karies. Allerdings sei problematisch, dass sie die Süßschwelle hochsetzen würden, warnt Bäuerlein. Die natürliche Süße von beispielsweise Obst würde dann schwächer wahrgenommen werden. Für Kinder seien sie definitiv kein Ersatz, da sie besonders stark auf diese Süße reagieren.

Leben mit weniger Zucker

Der Ernährungsberaterin Brigitte Bäuerlein zufolge ist die Eigenbeobachtung das wichtigste Mittel, um den persönlichen Zuckerkonsum zu reduzieren. Deshalb sollten über einen Zeitraum von etwa zwei Wochen alle Lebensmittel dokumentiert werden, die gegessen werden, rät die Oecotrophologin. Danach kann der Zucker gezielt reduziert werden.

Bäuerlein rät bei den Getränken anzufangen und dort die Süße zu verringern. Damit das Essen weiter schmeckt, biete es sich an, mehr mit Gewürzen zu kochen. Zudem sollte schon beim Einkauf Süßes reduziert werden. Innerhalb von drei Monaten könnten so gute Fortschritte erzielt werden.