Phoenix/Charlottesville. Was tun bei Übergewicht? Das Sterberisiko lässt sich laut einer Studie eher durch körperliche Aktivität senken als durch Hungerkuren.

Die Menschen werden immer dicker, Übergewicht und Fettleibigkeit nehmen rund um den Globus zu. Gleichzeitig wollen immer mehr Frauen und Männer Gewicht verlieren. Doch wer mit Diäten seine Gesundheit verbessern und sein Sterblichkeitsrisiko senken will, sollte sich allerdings eher darauf konzentrieren, fitter und aktiver zu werden, anstatt abzunehmen.

Das zumindest legen die Ergebnisse einer Meta-Analyse nahe, die im Fachblatt „iScience“ veröffentlicht wurde. Die Autorinnen und Autoren schreiben darin, dass ein solcher „gewichtsneutraler Ansatz“ nicht nur bei der Behandlung von Krankheiten helfe, die mit überflüssigen Pfunden zusammenhängen, sondern auch die Gesundheitsrisiken verringere, die mit sogenannten Jo-Jo-Diäten einhergehen, bei denen das Gewicht stark schwank.

Übergewicht: Fast jeder zweite Mann und jede dritte Frau betroffen

In den vergangenen Jahrzehnten haben Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas) in vielen Ländern der Erde zugenommen. So berichteten etwa Wissenschaftler im Fachmagazin „New England Journal of Medicine“, dass sich der Anteil adipöser Menschen von 1980 bis 2015 in mehr als 70 Ländern verdoppelt habe.

In Deutschland sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) knapp 29 Prozent der Frauen und gut 43 Prozent der Männer übergewichtig. 18 Prozent der Erwachsenen in Deutschland weisen darüber hinaus eine Adipositas auf, sie gelten also als fettleibig. Die Zahlen stammen von 2017 und dürften sich durch die Corona-Pandemie laut einer Studie der Technischen Universität München noch einmal erhöht haben.

Studie empfiehlt „gewichtsneutralen Ansatz“ gegen Übergewicht

Gerade Fettleibigkeit steigert das Risiko für bestimmte chronische Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einzelne Krebsarten und geht zudem mit einem höheren Risiko einher, frühzeitig zu sterben. Um diese gesundheitlichen Gefahren zu minimieren, steht für die meisten Betroffenen im Fokus, Gewicht zu verlieren. Dabei könnte ein „gewichtsneutraler Ansatz“ wesentlich effektiver sein, sind die Autoren der Überblicksstudie in „iScience“ überzeugt.

Die Forscherinnen und Forscher der Arizona State University und der University of Virginia haben Studien gesammelt, die sich mit der Verringerung des Sterblichkeitsrisikos in Verbindung mit einer Gewichtsabnahme im Vergleich zu einer Steigerung der körperlichen Aktivität oder der kardiorespiratorischen Fitness befassen. Ihr Fazit: Das Sterberisiko werde durch eine gesteigerte Fitness und mehr körperliche Aktivität stärker gesenkt als durch eine absichtliche Gewichtsabnahme.

Ob Sportkurse oder Spaziergänge: Körperlich aktiv zu sein, ist laut Studien für die Gesundheit wichtiger als Abnehmen.
Ob Sportkurse oder Spaziergänge: Körperlich aktiv zu sein, ist laut Studien für die Gesundheit wichtiger als Abnehmen. © Shutterstock/Pressmaster | pressmaster

„Fitte und gesunde Körper in allen Formen und Größen“

Es seien zwar noch große randomisierte und kontrollierte klinische Studien nötig, um die Effektivität eines solchen Ansatzes restlos belegen zu können. Die Assoziationen, die sich in ihrer Meta-Analyse gezeigt hätten, wiesen indes in eine eindeutige Richtung.

Die Analyse habe zudem ergeben, dass die meisten kardiometabolischen Risikomarker, die mit Adipositas in Verbindung gebracht werden, durch Bewegungstraining unabhängig von einer Gewichtsabnahme verbessert werden könnten, und zwar in einer ähnlichen Größenordnung wie bei Programmen zur Gewichtsreduktion.

Gewichtsabnahme verändert den Stoffwechsel

„Wir möchten, dass die Menschen wissen, dass fett fit sein kann und dass es fitte und gesunde Körper in allen Formen und Größen gibt“, betont Autor und Mediziner Glenn Gaesser in einer Mitteilung. Eine solche Perspektive habe es in einer gewichtsbesessenen Kultur vermutlich schwer: „Wir sind nicht unbedingt gegen die Gewichtsabnahme, wir sind nur der Meinung, dass sie nicht das Hauptkriterium für die Beurteilung des Erfolgs eines Interventionsprogramms für gesunden Lebensstil sein sollte.“

Mitautor Siddhartha Angadi von der University of Virginia ergänzt, dass dies besonders mit Blick auf die physiologischen Gegebenheiten der Fettleibigkeit wichtig sei: „Das Körpergewicht ist ein stark vererbbares Merkmal und eine Gewichtsabnahme mit erheblichen Stoffwechselveränderungen verbunden, die letztlich die Aufrechterhaltung der Gewichtsabnahme vereiteln.“

WHO rät: 75 bis 150 Minuten pro Woche intensiv bewegen

Die Forscher sprechen damit auch die negativen Folgen des sogenannten Jo-Jo-Effekts an, also der unerwünschten schnellen Zunahme nach erfolgreichen Diäten. Dieser Effekt steht den Autoren zufolge unter anderem mit Muskelschwund, Fettleber und Diabetes in Verbindung. Menschen, die sich auf Fitness statt auf Gewichtsabnahme konzentrierten, würden von den Vorteilen der Bewegung profitieren und gleichzeitig die mit dem Abnehmen verbundenen Risiken vermeiden. Passend dazu: Wie sinnvoll ist eine Extraportion Eiweiß?

Die Wissenschaftler zitieren die aktuellen Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), denen zufolge sich Erwachsene jede Woche 150 bis 300 Minuten mäßig intensiv oder 75 bis 150 Minuten intensiv bewegen sollten.

Zentral sei aber, überhaupt vom Sofa aufzustehen und zumindest eine Aktivität mittlerer Intensität auszuführen, sagt Gaesser und ergänzt: „Es ist auch wichtig, zu betonen, dass körperliche Aktivität über den Tag verteilt werden kann. Zum Beispiel sind mehrere kurze Spaziergänge am Tag, selbst wenn sie nur zwei bis zehn Minuten dauern, genauso gesundheitsfördernd wie ein langer Spaziergang.“

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Body-Mass-Index: Ab wann jemand als fettleibig gilt

Der sogenannte Body-Mass-Index (BMI) dient länderübergreifend als Maß für den Ernährungszustand von Menschen und zur Abschätzung des Körperfettanteils. Für dessen Berechnung wird das Körpergewicht ins Verhältnis zur Körpergröße gesetzt.

Die Formel lautet: Körpergewicht (in Kilogramm) geteilt durch Körpergröße (in Metern) zum Quadrat. Einen bequemen BMI-Rechner bietet etwa die Deutsche Adipositas Gesellschaft auf ihrer Website.

Mit einem BMI zwischen 18,5 und 24,9 gilt man laut WHO als normalgewichtig

  • Es folgen Vor-Fettleibigkeit (25 bis 29,9)
  • Fettleibigkeit Klasse I (30,0–34,9)
  • Fettleibigkeit Klasse II (35–39,9)
  • Fettleibigkeit Klasse III (über 40)

(dpa/kai)