Berlin. Eben erst über ein Thema oder einen Hersteller gesprochen – schon passgenaue Werbung auf dem Handy? Experten sehen drei Erklärungen.

Gerade noch am Handy mit der Freundin über den geplanten Urlaub gesprochen – schon taucht wenig später bei Facebook, Insta­gram und Co. Werbung von Reiseanbietern auf – teils sogar von genau dem besprochenen Urlaubsort. Oder man hat mit dem Partner am Küchentisch über den tollen Mixer der Firma X geplaudert – beim Griff zum Handy auf dem Tisch ploppt eine Anzeige zu genau diesem Mixer von Hersteller X auf. Zufall?

Passgenaue Handy-Werbung: Alles bloß Zufall?

Ähnlich verblüffende Erlebnisse aus dem Alltag kann beinahe jeder erzählen, der ein Smartphone besitzt. So ähnlich erging es auch Hannes Federrath. Er plauderte auf der Treppe mit seinem Sohn über seinen Bürostuhl, den er dem Filius überlassen wollte. „Er hatte sein Handy in der Hand, aber die Insta­gram-App war geschlossen“, berichtet Federrath im Gespräch mit unserer Redaktion.

Er habe dem Sohn vom Bürostuhl einer bekannten Marke erzählt, die er als Neuanschaffung in Erwägung zog. Fünf Minuten später habe der Sohn Werbung dieser Marke in seinem Insta­gram-Profil erhalten. Erklären können sich das beide nicht wirklich.

IT-Professor: Abhörversuche wissenschaftlich nicht erwiesen

Nur ist Hannes Federrath kein Technik-Laie, sondern erfahrener IT-Professor an der Universität Hamburg und derzeit Präsident der Gesellschaft für Informatik. Er hat sich mit der Frage, ob Smartphone-Betriebssysteme oder Apps uns zu Werbezwecken abhören oder dies zumindest könnten, schon im Rahmen wissenschaftlicher Versuche beschäftigt.

Klares Ergebnis: „Wir haben keine Nachweise gefunden“, sagt Federrath. „Das heißt aber nicht, dass das tatsächlich nicht doch heimlich passiert.“ Nach dem Erlebnis mit seinem Sohn und dem Bürostuhl ist auch Federrath wieder skeptischer. „Ich fange langsam an zu zweifeln, ob wir da wirklich alles richtig untersuchen können oder ob die Software-Hersteller uns nicht alle ganz schön reinlegen.“

Neu ist das Phänomen nicht: Erste Berichte über auffällig passende Werbeanzeigen nach Gesprächen gehen bis zu sechs Jahre zurück. Doch jeder Fall im Bekanntenkreis sorgt für Gesprächsstoff. Was aber könnte dahinterstecken? IT-Experten und Psychologen halten vor allem drei Erklärungen für plausibel:

Erklärung 1: Lauscht das Mikro im Smartphone heimlich mit?

Technisch ist es durchaus möglich, dass Smartphones Gesprächsfetzen oder Umgebungsgeräusche aufnehmen, erklärt IT-Professor Federrath. Sogar dann, wenn das Smartphone im Ruhemodus und nicht entsperrt auf dem Tisch liegt. Und zwar über das eingebaute Mikrofon.

Auf dieses greifen installierte Apps und das Betriebssystem – Googles Android oder Apples iOS – bei Bedarf zu. Und das völlig legal: Denn die Berechtigung dafür lassen sich entsprechende Apps bei der Installation vom Nutzer erteilen. Das ist in vielen Fällen gut und sinnvoll – etwa wenn wir Sprachnachrichten per Whatsapp verschicken oder über den Facebook-Messenger telefonieren wollen.

Die Frage ist nur: Greifen manche Apps im Hintergrund heimlich auf das Mikrofon zu, um zu erfassen, worüber der Besitzer spricht oder wo er sich befindet, um dann passende Werbung auszuspielen?

Dagegen spricht: Der Facebook-Konzern, zu dem auch Instagram und Whatsapp gehören, hat solchen Vorwürfen schon mehrfach klar widersprochen. iPhones zeigen zudem seit iOS-Version 14 am oberen Displayrand mit einem Punkt in Orange oder Grün an, wenn eine App das Mikrofon nutzt. Google wird das diesen Herbst mit Android 12 nachliefern.

Das Mikrofon im Smartphone macht zeitweises Lauschen zumindest theoretisch möglich. Wer das unterbinden will, kann auf dem Handy die Vergabe von Berechtigungen prüfen.
Das Mikrofon im Smartphone macht zeitweises Lauschen zumindest theoretisch möglich. Wer das unterbinden will, kann auf dem Handy die Vergabe von Berechtigungen prüfen. © iStock | istock

Darum wären Abhörversuche zwar technisch möglich – aber wenig sinnvoll

Wer möchte, kann diese Warnanzeige schon jetzt mit Gratis-Apps wie Access Dots oder Camic Viewer nachrüsten. „Die Software-Hersteller könnten so eine Funktion aber theoretisch gut tarnen“, erklärt der Hamburger IT-Experte.

Ausschließen lasse es sich nur, wenn App-Hersteller wie Facebook den Quellcode ihrer sozialen Netzwerke offenlegen würden – was so gut wie ausgeschlossen ist. Dennoch hält Federrath heimliche Abhörversuche für unwahrscheinlich: „Das macht keinen Sinn.“ Denn würde ein solches Vorgehen publik werden, wäre das aus Sicht des IT-Experten „ein großer Skandal und dürfte auch mit empfindlichsten Strafen der Datenschutzbehörden verbunden sein“.

Und zweitens wüssten die Software-Konzerne um Facebook, Google, Apple und Co. ohnehin schon enorm viel über unsere Interessen und Produktvorlieben. Denn jeder von uns hinterlässt schon durch seine gewohnte Handynutzung eine breite Datenspur im Internet – was uns zu Erklärung 2 führt.

Erklärung 2: Hat mein Umfeld online danach gesucht?

Wahrscheinlicher als Auslöser für die Werbung: Vor oder nach dem Gespräch über ein bestimmtes Produkt oder Reiseziel hat jemand online danach gesucht. War man es nicht unbewusst selbst, dann war es vielleicht die Partnerin, ein Familienmitglied oder jemand, mit dem man bei Facebook, Instagram und Co. in Verbindung steht.

Die Netzwerk-Algorithmen gehen davon aus: Ein Produkt, das Person X interessiert, könnte auch dessen Umfeld interessieren. Hat also der Gesprächspartner danach gesucht, oder folgt man bestimmten Gruppen oder Marken, könnte passende Werbung durchaus plötzlich bei einem selbst aufploppen.

Apps erfassen übrigens nicht nur, wonach am Handy oder PC gesucht wird, sondern auch, wonach wir Sprachassistenten wie Amazon Alexa, Apples Siri oder Google Assistant fragen.

Kommen einem Werbeanzeigen bei Instagram, Facebook und Co. seltsam bekannt vor, kann das mehrere Ursachen haben.
Kommen einem Werbeanzeigen bei Instagram, Facebook und Co. seltsam bekannt vor, kann das mehrere Ursachen haben. © Shutterstock/ESB Professional | ESB Professional

Erklärung 3: Fallen wir auf selektive Wahrnehmung rein?

Ebenfalls denkbar: Unser Hirn könnte uns getäuscht haben. „Wir Menschen achten immer nur auf bestimmte Dinge“, sagt Ulrich Ansorge, Psychologieprofessor an der Uni Wien. Das Gehirn betont etwa Sachen, die schon im Gedächtnis sind und die wir als bedeutsam eingestuft haben.

„Das kann dazu führen, dass uns in der Werbung Dinge stärker auffallen, über die wir gerade erst mit jemandem gesprochen haben.“ Fachleute reden von selektiver Wahrnehmung oder Gedächtnisbahnung. Umso kürzer das Gespräch her ist, desto stärker sei dieser Effekt.

Verstärkend hinzu kommt laut Ansorge, dass wir ohnehin eher über Themen sprechen, für die wir uns interessieren – und mit denen wir uns auch online in sozialen Netzwerken und Chat-Gruppen umgeben. Hier käme dann wieder Erklärung 2 zum Tragen.

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