Berlin. In der Pandemie ist Abstand die wichtigste Regel. Doch der Mensch wird ohne Körperkontakt krank. Tipps für ein paar Streicheleinheiten.

Die Gesellschaft ist auf Berührungsentzug. Nicht anfassen gehört zu den Geboten der Stunde, um die Ausbreitung des Coronavirus in den Griff zu bekommen. Für den menschlichen Organismus bedeutet das Stress. Denn egal ob Baby, Kleinkind, heranwachsend oder erwachsen – in vielen Situationen wie bei Anspannung, Trauer oder Freude suchen Menschen intuitiv körperliche Nähe.

„Der Berührungssinn spielt in unserem Leben eine ganz zentrale Rolle“, erklärt Karl-Heinz Ladwig, Professor für psychosomatische Medizin am Klinikum rechts der Isar der TU München. „Mit Blick auf unsere Gesundheit wird das Thema Berührung jedoch völlig unterschätzt.“

Regelmäßiges Kuscheln, Umarmungen, Streicheleinheiten oder ein Händedruck – Berührungen wirken sich positiv auf die Gesundheit aus. Haptikforscher Martin Grunwald von der Universität Leipzig betont: „Wenn unser Organismus nicht hinreichend von anderen Säugetieren berührt wird, dann geht es uns nicht gut.“ Der sogenannte Fremdberührungsreiz sei für Säugetiere elementar und lebensnotwendig – also auch für den Menschen.

In der Pandemie ist Abstand die wichtigste Regel. Dabei wird der Mensch ohne Körperkontakt krank. Wer eine liebevolle Familie hat, kann sich in diesen Zeiten besonders glücklich schätzen.
In der Pandemie ist Abstand die wichtigste Regel. Dabei wird der Mensch ohne Körperkontakt krank. Wer eine liebevolle Familie hat, kann sich in diesen Zeiten besonders glücklich schätzen. © iStockphoto | fizkes/iStockphoto

Gesundheit: Bei Berührungen werden Botenstoffe ausgeschüttet

Allgemein gilt: Berührungen reduzieren das Stress-Level. Sie werden meist als etwas Positives wahrgenommen, sagt Christa Roth-Sackenheim, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Dies hänge aber immer von mehreren Faktoren ab: Etwa wie gut sich die Menschen kennen, wie entspannt die Rahmenbedingungen seien oder ob die Berührung von Herzen komme.

Im Idealfall führt positiv empfundener, ehrlicher Körperkontakt zur Ausschüttung der Botenstoffe Dopamin und Oxytocin, die das Wohlbefinden steigern. Karl-Heinz Ladwig zitiert Studien aus den USA, aber auch aus Deutschland und England. Demnach schlage das Herz von Menschen, die sich regelmäßig umarmen, ruhiger. Zudem seien bei diesen Personen die Werte des Stresshormons Cortisol und der Blutdruck niedriger als bei Menschen ohne regelmäßigen Körperkontakt.

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Das bestätigt auch Grunwald: „Es braucht nur eine Umarmung von ein bis zwei Minuten Dauer und wir finden in unserer Spezies eine völlig andere physiologische und neurobiologischen Situation vor.“ Auch deshalb gehörten Berührungen zum normalen menschlichen Bedürfnisspektrum.

Corona: Hunde und Katzen gegen die Einsamkeit

Diese für den Menschen völlig normale soziale Interaktion würde wegen der Corona-Pandemie nun aber von vielen Kontroll-Kognitionen überlagert, so der Autor des Buches „Homo Hapticus“. „Wir müssen uns aktiv regulieren, uns nicht nahe zu kommen und nicht zu berühren“, erklärt Grunwald. „Zudem gibt es die ständige Sorge, dass irgendwelche Viren übertragen werden.“

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Viele Möglichkeiten im Rahmen der gebotenen Hygienemaßnahmen aktive gegenzusteuern gibt es aus Grunwalds Sicht nicht. Er empfiehlt den Kontakt zu anderen Säugetieren: „Man weiß aus der Hunde- und Katzenhalter-Forschung, dass das die Körperinteraktion mit einem anderen Säugetier beiden Seiten gut tut“, so Grunwald. „Mensch und Haustier profitieren von den gegenseitigen Berührungen.“ Auch eine feste Kuschel- und Kontaktperson, die sich sonst so gut es geht isoliere, sei eine Option.

Pandemie: Soziale Kontake nicht vernachlässigen

Außerdem spreche nichts dagegen, sich von der Hausärztin Physiotherapie verschreiben zu lassen, meint der Haptikforscher. „Die stressbedingten muskuläre Verspannungen sollten bearbeitet werden.“ Auf diese Weise bekäme der menschliche Organismus eine Einheit Körperkontakt – und es bleibe im Rahmen des Erlaubten.

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Wer auf Grund der Pandemie keine Chance oder schlicht keine Lust auf körperliche Nähe hat, der hat laut Inga Neumann, Neurobiologin an der Universität Regensburg, ebenfalls Alternativen. „Die physische Berührung ist zwar ein besonderer Stimulus“, erklärt die Professorin, „denn die Haut ist eines der Sinnesorgane – so wie beispielsweise das Gehör, die Augen und die Nase.“ Genau wie wohlwollende Berührungen, sei aber jede andere Form von sozialem Kontakt positiv, so Neumann. „Das kann ein interessantes Gespräch sein oder auch nur Augenkontakt.“ Beides ist auch mit Abstand möglich.

Corona: Isolation macht Kinder und Erwachsene krank

Sich komplett abzuschotten, ist aus Sicht der Expertinnen und Experten gefährlich. Psychische und körperliche Krankheiten seien die Folge. Das sehe man etwa an Kindern, die nach der Geburt viel isoliert waren, so Grunwald. „Aber auch noch später im Erwachsenenalter macht uns Isolation nicht ohne Grund krank“, ergänzt Roth-Sackenheim. „Die Zusammenhänge zwischen sozialem Kontakt und der Gesundheit sind wirklich sehr gut untersucht“, betont auch Mediziner Ladwig. „Kuscheln und Umarmungen halten und machen gesund. Wir sind soziale Wesen, das können wir einfach nicht verleugnen.“

„Der Durchschnitt braucht den Händedruck. Der Durchschnitt braucht die ganz klassische Umarmung und das Gehaltenwerden – ganz losgelöst von der Sexualität“, so Grunwald. „Gerade weil der Tastsinn keine Alltagsrelevanz hat, fällt es Leuten aber ungemein schwer, überhaupt auf die Idee zu kommen, dass sie die beiläufigen, alltäglichen Berührungen vermissen.“ Fehlten diese, seien psychische Probleme jedoch nicht selten.

Jeder müsse schauen, dass er sich Regularien suche, um in dieser Zeit auch psychisch gesund zu bleiben, so der Psychologieprofessor. Langfristig macht sich Grunwald jedoch keine Sorgen: „Egal was passiert, wenn das hier überstanden ist, dann werden sich gerade die jungen Leute wieder in den Armen liegen“, prognostiziert er. „Der Mensch bleibt Mensch. Unsere Spezies hat bestimmte Kernpunkte, an denen kommt sie einfach nicht vorbei – so wie an Berührungen.“