Berlin. Der Herbst stürzt viele Menschen in ein Stimmungstief, hinzu kommt die zweite Pandemie-Welle. Wozu Expertinnen und Experten nun raten.
Die Tage werden kürzer, und der zunehmende Lichtmangel verändert den Hormonhaushalt vieler Menschen: Denn fehlendes Tageslicht veranlasst den Körper, größere Mengen des Schlafhormons Melatonin zu produzieren.
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Das kann dazu führen, dass sich Menschen müde und antriebslos fühlen. Manche finden sich deshalb in einem Stimmungstief wieder, das durch die zweite -Welle und damit verbundene Ängste noch verschlimmert werden kann. So wirkt sich die aktuelle Situation mitunter doppelt negativ auf das Gefühlsleben einiger Menschen aus, warnen Expertinnen und Experten.
Corona und Herbst: Doppelbelastung für die Psyche
„Wir erleben gerade eine Fortsetzung der Krise. Viele hatten die Hoffnung, dass sie überwunden ist. Und jetzt wird es sogar noch schlimmer“, sagt Psychotherapeutin Mirriam Prieß. Diese Wucht der Bedrohung in Kombination mit dunkler werdenden Tagen verstärke die Angst. Wie also umgehen mit der aktuellen Doppelbelastung für die Psyche?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kritisierte bereits Anfang Oktober, dass die Tatsache, dass die Corona-Krise viele Menschen vor schwere psychische Probleme stelle, im weltweiten Kampf gegen das Virus häufig übersehen würde. Zwar hätten in einer Umfrage 83 Prozent von 130 befragten Ländern angegeben, die psychische Gesundheit in ihre Pandemie-Reaktionspläne aufgenommen zu haben, doch nur 17 Prozent hätten die dafür benötigten Gelder tatsächlich bereitgestellt.
„Die Trauer um gestorbene Corona-Opfer, Vereinsamung, Einkommensverluste und Angst lösen psychische Erkrankungen aus oder verschlimmern bereits bestehende Erkrankungen“, sagte die WHO-Direktorin für psychische Gesundheit, Devora Kestel. Viele Menschen würden auf diese Probleme beispielsweise mit erhöhtem Alkohol- und Drogenkonsum, Schlaflosigkeit und Angstzuständen reagieren.
Corona verschlimmert psychische Erkrankungen
Tatsächlich ist die aktuelle Situation für Personen schwerer, die bereits vor Beginn der Pandemie mit psychischen Problemen zu kämpfen hatten. Das belegt eine repräsentative Umfrage des internationalen Marktforschungsinstituts In Sites Consulting im Auftrag der Axa Versicherungen, die im Juni dieses Jahres durchgeführt wurde.
Demnach hätten psychisch Erkrankte während der Corona-Krise drei Mal häufiger das Gefühl gehabt, die Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben. Unter den Befragten ohne psychische Vorerkrankungen stimmten dieser Aussage lediglich 15 Prozent zu.
Das Gefühl von Kontrollverlust sei dabei ein ganz entscheidendes, sagt Mirriam Prieß. „Je unkontrollierbarer eine Situation ist, desto mehr Stress entwickeln die Menschen.“ Es sei also etwas ganz anderes, ob man sich im Herbst ruhige und gemütliche Tage zu Hause mache, weil man sich danach fühle, oder ob man dazu gezwungen sei, zu Hause zu bleiben, erklärt die Psychotherapeutin. „Deswegen ist es im Moment so wichtig, sich zu fragen: Was kann ich selbst entscheiden?“
Psychologin rät: Literatur, Musik und Natur fördern die Gesundheit
Prieß sagt, so banal es klingt: Man sollte sich ganz bewusst etwas Gutes tun. Mit Literatur, Natur, Musik, Essen, Gesprächen mit wichtigen Menschen. „Ich selbst schreibe derzeit viel und bin in der Natur. Dabei finde ich zu mir.“ Man solle sich auch nicht den ganzen Tag mit Corona beschäftigen. „Es reicht, sich einmal am Tag seriöse Informationen zu besorgen“, so Prieß.
Wie gut oder schlecht sich Menschen in der aktuellen Situation zurechtfinden, wird offenbar auch von Temperament und Charakter beeinflusst. Personen, die extrovertierter und älter sind oder aber seit Ausbruch der Pandemie Beziehungskrisen durchlebt haben, geht es mental schlechter, heißt es im „Mental Health Report“ der Axa. Introvertierte kämen hingegen deutlich besser durch die Virus-Krise.
„Wir führen das darauf zurück, dass infolge der Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus extrovertierte Personen eingeschränkter sind. Sie sind kontaktfreudig, gesellig, aktiv und enthusiastisch – Eigenschaften, die aktuell kaum ausgelebt werden können“, sagt Axa-Sprecherin Daniela Behrens.
Corona: Manche kommen besser durch die Krise als andere
Nach überstandener erster Welle und einem Sommer, in dem nur wenige Beschränkungen galten, schießen die Infektionszahlen nun erneut in die Höhe. Hinzu kommt, dass es draußen kalt, nass und dunkel ist. „Die Kombination beider Umstände wirkt auf manche Menschen extrem entmutigend. Während andere nach dem ersten Schock Wege finden, die Realität zu akzeptieren“, sagt Andrea vorm Walde, Therapeutin, Coach und Heilpraktikerin für Psychotherapie.
Wer die Fähigkeit besitze, Dinge als gegeben hinzunehmen, komme in Krisensituationen besser zurecht. Das bestätigt Mirriam Prieß: „Es ist wichtig zu lernen, mit der Situation zu leben und nicht dagegen zu kämpfen. Das laugt den Körper aus.“ Mehr lesen: Wie Sie zu innerer Zufriedenheit finden
Depressionen können in Herbst und Winter jeden treffen
Nichtsdestotrotz: Leichte Depressionen können jeden Menschen treffen – vor allem in Herbst und Winter. Problematisch wird ein solcher Gemütszustand, wenn er über mehrere Wochen anhält, Betroffene keine Energie mehr verspüren, antriebslos sind und das Interesse an Hobbys und sozialen Kontakten verlieren, erklärt die Therapeutin. Viele würden außerdem unterschätzen, dass eine leichte Depression schnell in eine mittelschwere kippen kann.
Anzeichen dafür, dass die psychische Belastung zu groß wird, könnten dabei auch körperliche Beschwerden sein. Darunter Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen, aber auch Schlafstörungen. Menschen, die solche Symptome bemerken, sollten sich dringend in Behandlung begeben. Die vielleicht wichtigste Strategie, um Herbstblues und Corona-Belastung entgegenzuwirken, sei jedoch, mit anderen in Kontakt zu bleiben. „Denn ohne soziale Interaktion werden viele Menschen krank“, warnt vorm Walde.
Herbstblues und Corona: Bewegung im Freien hebt die Stimmung
Spaziergänge mit Freunden oder Familienmitgliedern beispielsweise sind nicht nur hinsichtlich einer möglichen Infektion mit dem neuartigen Corona-Virus weitestgehend unbedenklich – frische Luft und Tageslicht fördern außerdem die psychische Gesundheit. Durch Bewegung wird das Gehirn besser durchblutet, der Körper schüttet stimmungsaufhellende Stoffe, darunter Opioide, Endocannabinoide und Endorphine aus.
Zu Hause können wiederum Düfte dabei helfen, die Stimmung zu heben. Lavendel beispielsweise wirkt entspannend und angstlösend, lindert Kopfschmerzen und fördert einen gesunden Schlaf, erklärt vorm Walde.
Eine Studie von Forscherinnen und Forschern um Hideki Kashiwadani von der Kagoshima-Universität in Japan belegt, dass diese Wirkung keineswegs auf einen Placeboeffekt zurückzuführen ist. In der Pflanze enthaltene Duftstoffe aktivieren bestimmte Rezeptoren im Gehirn, was dazu führt, dass sich der gesamte Körper entspannt.