Berlin. Können Halluzinogene wie LSD oder Psilocybin psychisch kranken Menschen helfen? Warum einige Wissenschaftler davon überzeugt sind.

Sie sind zwischen 18 und 50 Jahre alt? Verfügen über gute Deutschkenntnisse und konsumieren regelmäßig Cannabis oder Psychedelika wie LSD und psilocybinhaltige Pilze? Womöglich sogar beides? Wenn Sie diese Fragen mit Ja beantworten können, erfüllen Sie die Teilnahmebedingungen für eine wissenschaftliche Studie, die aktuell an der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité in Berlin läuft.

Geleitet wird sie von Tomislav Majić, Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen befragt der Wissenschaftler Menschen, die Erfahrungen mit Psychedelika gesammelt haben. Sie wollen herausfinden, welche mittel- und langfristigen Wirkungen auftreten können und wie Konsumenten diese empfinden.

80 Frauen und Männer hätten bislang teilgenommen. Sie sollen den Forschern helfen, das therapeutische Potenzial der Substanzen zu untersuchen – aber auch Risiken und Nebenwirkungen.

LSD zur Behandlung von Depressionen, Ängsten und Süchten

Haben Halluzinogene neben einer berauschenden auch eine heilsame Wirkung? Solche, die über die unmittelbaren Effekte nach ihrer Einnahme hinausgehen? Diesen Fragen widmeten sich Forschende weltweit einst sehr intensiv.

Bis in die 1960er-Jahre setzten Ärztinnen und Ärzte LSD – das mit rund 10.000 publizierten Studien am besten erforschte Pharmakon der Welt – zur Behandlung von Depressionen, Ängsten und Süchten bei rund 40.000 Menschen ein. Nachdem die Hippies die Substanz für halluzinogene Trips entdeckten, wurde sie ab 1966 jedoch beinahe weltweit verboten. Für rund 40 Jahre stand deshalb auch die Forschung weitestgehend still.

Mit LSD gegen akute Angstzustände

2007 erhielt der Schweizer Arzt Peter Gasser schließlich die Erlaubnis, die erste LSD-gestützte Psychotherapie seit 1973 durchzuführen. Zwölf Patienten nahmen daran teil. Sie litten an Krebs oder anderen tödlichen Krankheiten und erlebten starke Angstzustände. LSD sollte ihnen helfen, mit ihrer Furcht umzugehen.

Die Ergebnisse zeigten, dass die Angst der Patienten abnahm, wobei die Wirkung nach zwei ganztägigen LSD-Sitzungen im Abstand von vier bis sechs Wochen für mindestens ein Jahr anhielt. „Die Patienten haben gelernt, ihr Schicksal zu akzeptieren und gelassener damit umzugehen“, sagt Gasser. Seit einigen Jahren wächst das Interesse an der Erforschung von Psychedelika erneut.

Darunter auch an Halluzinogenen wie LSD und Psilocybin, dem Wirkstoff sogenannter Magic Mushrooms, auch Zauberpilze genannt. Beide Substanzen verändern das Bewusstsein, die Wahrnehmung und das Denken. Denn sie setzen den Botenstoff Serotonin frei, der Informationen von einer Gehirnzelle zur anderen transportiert. Dadurch nimmt die Hirnaktivität zu, Verbindungen zwischen verschiedenen Arealen werden verstärkt.

Psilocybin: Berliner Mediziner wollen Depressionen mit Halluzinogenen behandeln

„Bereiche, die für Sehen, Hören und Sprechen zuständig sind, kommunizieren stärker miteinander. Das könnte erklären, warum Konsumenten von mystischen Erfahrungen und einer stärkeren Verbundenheit mit ihrer Umwelt berichten“, sagt Gasser.

Psychiater des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim und der Berliner Charité planen bereits, Patienten mit behandlungsresistenter Depression in einer psilocybinunterstützten Psychotherapie zu behandeln. Die Studie befindet sich aktuell noch im Genehmigungsverfahren.

Der tschechische Psychiater Stanislav Grof wiederum experimentierte viele Jahre mit LSD in der Psychotherapie. Dabei fand er heraus, dass das Halluzinogen den Zugang zu verdrängten Erlebnissen erleichtert. Diese Einsichten, so glaubte er, könnten im Rahmen konventioneller Psychotherapien hilfreich sein. Bis zu seinem Tod warb Grof für die heilsame Wirkung bewusstseinserweiternder Geisteszustände.

Psychedelika können mitunter großen Schaden anrichten

Oberarzt Majić hingegen ist jede Form der Ideologie suspekt. „Psychedelika, die in einem therapeutischen Rahmen verabreicht werden, können einigen Patientinnen und Patienten helfen. In einem unkontrollierten Setting könnten sie bei anderen aber auch großen Schaden anrichten.“

Bei der von ihm geleiteten LZESH-Studie werden keine Sub­stanzen verabreicht. Ziel sei vielmehr, deren Risikoprofil besser einschätzen zu können. „Unsere Ergebnisse werden nur sehr begrenzt auf Studien übertragbar sein, in denen tatsächlich Psychedelika verabreicht werden.“

Schon deshalb, weil die Teilnehmenden Substanzen in einem privaten Setting eingenommen hätten. Ob es sich dabei tatsächlich um die vermeintlichen Wirkstoffe gehandelt hat und in welcher Dosierung sie geschluckt wurden, könne niemand mit Sicherheit wissen.

Wie LSD und Pilze auf die Psyche wirken

Mithilfe von Fragebögen und neuropsychologischen Tests will Majićs Team herausfinden, wie sich der häufige Konsum von psychedelischen Substanzen wie LSD, Psilocybin oder N,N-Dimethyltryptamin (unter anderem Inhaltsstoff psychedelisch wirkender sogenannter Ayahuasca-Tees) auf kognitive Fähigkeiten und seelische Gesundheit auswirkt. Wie beeinflussen sie Koordination, Reaktions- und Entscheidungsfähigkeit?

Sowohl Psilocybin als auch LSD gelten als gefährliche Drogen. Ihr Konsum ist auch hierzulande illegal. Dennoch spricht vieles dafür, dass die Verabreichung im wissenschaftlichen Rahmen und unter Aufsicht von Medizinern heilsam sein kann.

Einige Untersuchungen bestätigen die Wirkung einzelner Psychedelika bei psychischen Erkrankungen bereits jetzt. Darunter die des Halluzinogens Psilocybin bei Depressionen und MDMA beziehungsweise Ecstasy bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). Studien mit mehr als 150 Patienten haben gezeigt, dass nach MDMA-unterstützter Psychotherapie mehr als 90 Prozent der Teilnehmenden keine PTBS-Kriterien mehr erfüllten – und sogar über Jahre hinweg stabil bleiben.

Vorsicht vor Halluzinogen bei Psychosen und Persönlichkeitsstörung

2018 hat die amerikanische Arzneimittelaufsicht FDA der starken Wirksamkeit wegen sowohl Psilocybin als auch MDMA als sogenannten Therapiedurchbruch eingestuft. Diesen Status erhalten Wirkstoffe, die verglichen mit bereits verfügbaren Alternativen einen grundlegenden Fortschritt in der Therapie darstellen.

Torsten Passie, der als Experte auf dem Gebiet der Wirkung von Ecstasy auf die Psyche gilt, rechnet damit, dass MDMA-basierte Medikamente bereits 2024 in Europa zugelassen werden könnten. Dennoch: Psychedelika sind keine Allheilmittel. Wer unter Psychosen oder einer Persönlichkeitsstörung leidet, könnte seinen Gesundheitszustand durch den Konsum massiv verschlechtern. „Die meisten Patienten, die ich in meinem Arbeitsalltag erlebe, würden vermutlich nicht davon profitieren, Psychedelika einzunehmen“, sagt Oberarzt Majic.

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