Berlin. Gesellschaftsspiele sind sein Leben. Reiner Knizia erzählt von seinen Erfolgsgeheimnissen und davon, was ein gutes Spiel ausmacht.

Reiner Knizia hat einen Beruf, der wie ein kurzweiliger Zeitvertreib klingt: Er erfindet Gesellschaftsspiele. Tatsächlich aber ist das harte Arbeit, sagt der promovierte Mathematiker. Denn tolle Ideen seien das eine – sie dann aber auch zur Reife zu bringen, das andere. Das erfordere viel Disziplin, sagt Knizia, dessen Spiel „My City“ in diesem Jahr Chancen auf den Preis „Spiel des Jahres 2020“ hat. Ein Gespräch über das perfekte Spiel und 80 Schubladen voller Ideen.

Herr Knizia, Sie sind Spieleerfinder. Wie wird man das?

Reiner Knizia: Durch die Liebe zum Spiel. Natürlich braucht man auch ein kreatives Konzept, viel Zeit und Talent. Eine Ausbildung gibt es nicht. Letztlich bildet sich jeder Spieleerfinder selbst aus.

Wann haben Sie mit dem Erfinden angefangen?

Da war ich acht oder zehn Jahre alt. Meine Spiele waren natürlich nicht ausgereift und nicht zu verkaufen. Aber Spaß gemacht haben sie.

Was war damals Ihr Antrieb?

Ich bin in Illertissen aufgewachsen, einer kleinen Stadt südlich von Ulm. Dort gab es keinen Spieleladen, sondern nur einen Friseur, der auch Spiele verkaufte. Ich war ein sehr spielebegeisterter Junge und hatte wenig Taschengeld. Wenn mich ein Thema faszinierte, fing ich einfach selbst an, etwas zu basteln.

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Früh übt sich?

Es heißt ja, dass man etwa 10.000 Stunden investieren muss, um der Perfektion nahezukommen. Ich denke: Ja, Übung macht den Meister. Und man merkt, dass ein gutes Spiel reifen muss.

Inwiefern?

Nun, solange ich meine Spiele im Kopf spiele, funktionieren sie immer ganz fantastisch. Spiele lassen sich aber nicht am Reißbrett erfinden. Entscheidend ist es, vom Abstrakten zum Konkreten zu kommen.

Sie basteln also einen Prototypen?

Ja, genau. Das ist der erste wichtige Schritt: Weg von der Idee im Kopf und hin zu Dingen wie etwa einem Spielplan mit Figuren, Karten oder Plättchen. Meine Materialsammlung ist riesig und ich habe auch einen speziellen Drucker, mit dem ich auf dicken Karton drucken kann.

Und was ist der nächste wichtige Schritt?

Die Testphase. Die ist bei mir immer sehr intensiv, denn ich bin Perfektionist. Bevor ich ein Spiel veröffentliche, habe ich es meist rund 300 Mal gespielt. Um verschiedene Eindrücke zu sammeln, habe ich mehrere Testgruppen. Ich beobachte, frage, notiere. Was ist gut? Was könnte man besser machen? Spieleentwicklung ist ein steter Optimierungsprozess.

Mathematiker Reiner Knizia hat sich vor 22 Jahren dazu entschlossen, den Banken- und Managementbereich zu verlassen, um Spieleentwickler zu werden. Seine Entscheidung hat er nie bereut.
Mathematiker Reiner Knizia hat sich vor 22 Jahren dazu entschlossen, den Banken- und Managementbereich zu verlassen, um Spieleentwickler zu werden. Seine Entscheidung hat er nie bereut. © Karen Easteal

Sie sind promovierter Mathematiker. Hilft Ihnen die Mathematik beim Spieleerfinden?

Ja, die hilft, denn Spiele sind in gewisser Weise Modelle, die eine Situation abbilden und in eine andere Welt entführen. Zentral sind Gesetze und Regeln. Allerdings darf man nicht alles mathematisch lösen, denn Spielspaß ist etwas anderes als Mathematik.

Haben Sie Angst, dass Ihnen irgendwann einmal die Ideen ausgehen könnten?

Nein, die habe ich nicht. Ideen sind für mich ein positiver Fluch: Ich hab eigentlich viel zu viele. In meinem Studio befinden sich mittlerweile 80 Schubladen, in denen je eine neue Spielidee steckt. Alle Schubladen sind farbig markiert. So sehe ich auf einen Blick, welche Spiele auf welchem Entwicklungsstand sind.

Zum Beispiel?

Manche Spiele sind in der Testphase. Für manche Spiele fehlt noch der Prototyp. Manche müssen überarbeitet und für einen festen Veröffentlichungstermin fertig werden. Mit den Schubladen beschränke ich mich selbst. Hätte ich mehr Schubladen, würden darin ruckzuck weitere Notizen landen. Das Problem ist allerdings: Ideen hat man leicht, aber ein Spiel zur Reife zu bringen, kostet viel Disziplin, Konzentration und Arbeit.

Klappt das im Nebenberuf?

Anfangs habe ich das so gemacht, ja. Vor 22 Jahren habe ich mich dann allerdings dazu entschlossen, den Banken- und Managementbereich zu verlassen und hauptberuflich Spiele zu erfinden. Ich habe mir diesen Schritt sehr gut überlegt und ihn bis heute nicht bereut. Im Prinzip arbeite ich jetzt im Unterhaltungsbereich. Statt auf der Bühne zu stehen, packe ich meine Unterhaltung in Kisten. Ich liebe meine Arbeit, ich liebe meinen Beruf und ich liebe meine Produkte.

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In den vergangenen 30 Jahren haben Sie rund 700 Spiele erfunden. Trotz Vielfalt: Gibt es eine Gemeinsamkeit?

Für mich steht der Spielspaß im Vordergrund, und den erreicht man nicht durch Komplexität, sondern mit einer schönen, herausfordernden Spielidee. Mein Motto ist: Je einfacher, desto besser.

Im vergangenen Jahr war Ihr Kartenspiel „L.A.M.A.“ für den Preis „Spiel des Jahres“ nominiert. In der Begründung der Jury hieß es, Sie hätten mit dem Spiel das Prinzip des Kartenablegens „genial reduziert“.

Tatsächlich war das Spiel am Anfang des Entwicklungsprozesses viel komplizierter. Einfachheit ist manchmal auch Genialheit.

Gibt es ein perfektes Spiel für Sie? Eines, das Sie selbst gerne erfunden hätten?

Gibt es das perfekte Gemälde? Gibt es den perfekten Roman? Für mich sind Spiele nichts Absolutes. Die Spielfreude – und darum geht es ja – hängt ab von den Mitspielern, von der jeweiligen Spielsituation, und auch von der eigenen Stimmung. Wenn es das perfekte Spiel gäbe, bräuchte man keine anderen Spiele mehr. Eine schreckliche Vorstellung für einen Spieleautor.