Der Journalist Hajo Schumacher sieht in seinem neuen Buch den Tücken des Alters ins Auge und gibt zahlreiche Denkanstöße
Als „Praktikant des Alterns“ hat Hajo Schumacher sehr unterschiedliche Lebens- und Wohnmodelle besucht: Mehrgenerationenhaus, Luxusresidenz, Pflegestation, Altenheim in Thailand, Ökodorf und Robinsoninsel. Sein Mut machendes Fazit lautet: Ein Ruhestand in Würde und mit Spaß kann klappen, wenn wir früh anfangen, uns mit unserem Alter zu beschäftigen.
Hamburger Abendblatt: Gab es außer Ihrem 50. Geburtstag einen anderen Grund für das Buch „Restlaufzeit“?
Hajo Schumacher: Oh, ja, und zwar meine ausgeprägte Alterspanik. Ab Mitte 40 sah ich überall um mich herum nur noch Verfall und Elend. Und in jeder Ecke meines Körpers knarzte es plötzlich so verdächtig. Meine Frau ist Psychologin und sagte: Guck dir doch mal an, wovor du solche Angst hast. Vieles verliert dann seinen Schrecken. Stimmt. Fachaufsätze über Inkontinenz, Recherche-Reisen in alle Welt, viele Gespräche mit Fachleuten – das war Medizin. Es handelte sich also um therapeutisches Schreiben.
Weshalb hat in Deutschland das Alter ein so negatives Image?
Schumacher: Es ist seltsam. Helmut Schmidt oder andere Altmeister werden verehrt, aber erst dann, wenn sie ein quasi biblisches Stadium erreicht haben. Zwischen 50 und 80 dagegen ist man noch nicht heilig, sondern einfach nur alt. Wir leben nun mal in einer Phase des Jugendwahns. Jede Hollywood-Wachtel botoxt sich bis zur Unkenntlichkeit, Magersucht ist bei Männern in der Midlife-Crisis ein wachsendes Problem – alle wollen ewig jung sein. Das war schon immer so in der Menschheitsgeschichte, aber selten so peinlich wie heute, wo sich Großeltern in die Klamotten ihrer Enkel zwängen. Das Alter bombardiert unsere wichtigsten Alltagswerte wie Tempo, Bindegewebe, Hysteriebereitschaft. Wir fürchten den Rückbau und flunkern ihn einfach weg.
Und wie kann man sich dem entziehen?
Schumacher: Wahrnehmen, entspannt begucken und dann einfach drüber lachen, vor allem über sich selbst. Die Forschung hat festgestellt, dass das Leben ein U beschreibt. Das Tief ist um Mitte 40 herum, danach geht´s wieder bergauf. Kann ich bestätigen. Das Mehr an Gelassenheit ist ein echter Gewinn an Lebensqualität. Wer den Horizont sieht, regt sich nicht mehr über jeden Mist auf.
Wie kann sich jeder auf sein Alter gut vorbereiten?
Schumacher: Zuerst einmal ist es wichtig, sich der Realität zu stellen. Ja, wir werden ein Rentenloch bekommen. Ja, wir werden viele sein. Ja, wir werden zusammenrücken und etwas bescheidener werden müssen. Nein, wir können nicht alle jahrelang Kreuzfahrt machen. Nein, davon geht die Welt nicht unter. Ja, es wäre sinnvoll, sich heute mit 50 schon ein paar Gedanken zu machen, statt mit Mitte 70 festzustellen, dass ich keine Freunde habe und auch sonst nicht viel Sinn im Leben. Vor allem: Jeder von uns ist Herr oder Herrin seines Lebens. Niemand wird uns die letzten Jahre nett gestalten außer wir selbst.
Was war bei Ihrer Recherche die überraschendste Erkenntnis ?
Schumacher: Ganz einfach: Da geht was. Es gibt keine Zwangsläufigkeit des Elends. Und: Über Ängste, Probleme, Sorgen kann man mit vielen gleichaltrigen Menschen sehr offen reden. Denn alle haben im Prinzip genau die gleichen Muffen. Ach ja: Und diese vermaledeite Zahlenmystik. Wie viele Menschen starren gebannt auf die 65, weil sich da ja angeblich ganz viel ändert im Leben. Ich enthülle hiermit ein gut gehütetes Geheimnis: Es ändert sich gar nichts. Wer bis 65 keine Neugier und Interessen entwickelt und immer nur funktioniert hat, der wird nur wegen einer plötzlichen Rentenzahlung nicht zum kreativen Lebenskünstler.
Was ist positiv am Älterwerden?
Schumacher: Klingt so altbacken, aber: Reife. Dieses Wegducken bei Altersthemen ist Gift für die Lebensqualität. Wer in Ruhe reift, hat ein ausgeprägteres Qualitätsbewusstsein, mehr Entspanntheit und, das nur nebenbei, häufig auch noch ziemlich guten Sex.
Hat die Recherche-Reise Sie verändert?
Schumacher: Die Angst ist nicht gänzlich verschwunden, aber sehr viel milder geworden. Altwerden ist nicht toll, aber Jugendwahn ist noch anstrengender. Wie sagt mein großer Sohn: Meine Eltern dürfen alles, aber nicht peinlich werden. Wir arbeiten daran.
Hajo Schumacher schrieb „Restlaufzeit: Wie ein gutes, lustiges und bezahlbares Leben im Alter gelingen kann“, Eichborn Verlag, 19,99 Euro