Rettungseinsätze sind generell kostenlos - und Seenot-Situationen mit etwas mehr Umsicht oft vermeidbar.
Bremen. Ein Lübecker Ehepaar segelt auf seinem Neun-Meter-Boot vor Rügen. Plötzlich erkrankt der Skipper. Seine Frau ist hilflos. Sie kann das Boot nicht manövrieren, denn sie kümmerte sich an Bord vor allem ums Kochen und Putzen. Sie muss die Seenotretter rufen. Der Kreuzer "Wilhelm Kaisen" rückt aus, schleppt die Yacht nach Sassnitz. Das Drama, das sich am vergangenen Wochenende am Kap Arkona abspielte, sei "leider ein Klassiker", sagt Andreas Lubkowitz, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) mit Hauptsitz in Bremen. Jedes Jahr bewältigen die Retter um die 2000 Einsätze - vom kostenpflichtigen Pannendienst bei ausgefallenem Motor bis zur Gratis-Rettung von im Wasser treibenden Personen.
Die Bandbreite der Schiffbrüchigen ist groß. Sie reicht vom in Not geratenen Surfer bis zum Abbergen eines erkrankten Crewmitglieds von einem Berufsschiff - etwa 60 Prozent der Einsätze betreffen die Freizeitschifffahrt, 40 Prozent die seefahrenden Profis. Motorschäden und Navigationsfehler seien typische Ursachen für Rettungsaktionen von Wassersportlern, so Lubkowitz. "Ein Problem ist die Technikgläubigkeit. Wenn das GPS die Route anzeigt, wird dies stur befolgt, ohne auf das Revier zu achten." Kurz nach dem Saisonbeginn treten Motorschäden gehäuft auf. Bei warmem Frühlingswetter wird schnell Segel gesetzt und hinausgefahren. Kommt dann eine Flaute, stellt der Skipper plötzlich fest, dass der Motor nicht anspringt.
Technischer Beistand kostet 150 Euro pro Stunde
Solch technische Hilfeleistung ist kostenpflichtig. Hier lassen sich die Seenotretter ihre Betriebskosten von 150 Euro pro Stunde erstatten, verlangen höchstens jedoch 300 Euro. Gilt es dagegen, Menschen aus Gefahrensituationen zu retten, ist dies immer gratis. "Wir rechnen dem Skipper später nur unsere Kosten vor und bitten um eine Spende", so Lubkowitz.
Kostenlos geborgen wird auch dann, wenn Leichtsinn im Spiel ist. Im vergangenen Oktober wollten zwei Männer (42/39) aus Tostedt ihre Motoryacht von Grömitz ins Winterlager auf Fehmarn überführen. Die Rettungswesten waren bereits gut verstaut - und nicht greifbar, als die Yacht Feuer fing. Die beiden mussten von Bord springen. Sie schwammen eine halbe Stunde lang im neun Grad kalten Wasser, bis gerade noch rechtzeitig die Retter kamen.
Drei Viertel aller Wassersport-Einsätze im Freizeitbereich betrifft Segelschiffe, ein Viertel Motoryachten. "Das schwächste Glied ist immer der Mensch", sagt Lubkowitz. Dazu zählt auch die fehlende Einweisung der Begleiter. "An Bord sollten immer mindestens zwei Personen mit den Handhabungen vertraut sein", so Lubkowitz. Es komme immer wieder vor, dass der Ehemann etwa beim Pinkeln über Bord geht und seine Frau ihm nicht helfen kann, weil sie nicht einmal weiß, wie sie den Motor startet. "Verliert der Mann sein Leben, ist auch die Frau traumatisiert."
Bei der Suche nach Vermissten greift die DGzRS auf die Hilfe der Marine zurück. Diese startet dann mit ihren Hubschraubern die Suche aus der Luft. Auch solche Aktionen sind für den in Not Geratenen kostenlos. Zudem machen sich die Seenotretter per Funk schlau, fragen bei Berufsschiffen, die in der Nähe des vermeintlichen Unfallortes sind, ob sie etwas gesehen haben. Lubkowitz fordert alle Wassersportler oder Strandbesucher auf, sich an die DGzRS zu wenden, wenn sie meinen, einen Menschen in Seenot gesichtet zu haben. Er hat keine Angst vor Fehlalarmen: "Wir fahren lieber zweimal vergeblich hinaus als einmal zu wenig."
Die Zahl der DGzRS-Einsätze sei in diesem Jahrzehnt etwa konstant geblieben, so Lubkowitz, an den Wochenenden würden um die 70 bis 90 Menschen aus Gefahrensituationen befreit. Zwei Drittel der Einsätze absolvieren die 187 an deutschen Küsten stationierten Seenotretter auf der Ostsee. Dort befinden sich 32 der 54 Rettungsstationen. Das Revier ist weit stärker befahren als die Nordsee, auch weil hier die Tide keine Rolle spielt.
Ein "herrenloses Boot" entpuppte sich als im Meer entsorgte Kühltruhe
Neben den traurigen Vorkommnissen sind die 168 Männer und 20 Frauen auch mit Skurrilem konfrontiert. Lubkowitz: "Einmal erreichte uns der Notruf, dass vor Wangerooge fünf Menschen um ein gelbes gekentertes Schiff treiben. Die Kollegen auf Wangerooge erkannten bei genauerem Hinsehen sofort: Das ,Schiff' war eine Warntonne, die ,Menschen' fünf kugelrunde Seehundköpfe." Ein "herrenloses Boot" entpuppte sich als illegal entsorgte Kühltruhe. Und ein Rettungseinsatz galt einem Fuchs auf einer Eisscholle.
Die Seenot-Rufnummern der DGzRS:
Kurzwahl 124 124 (funktioniert nicht aus allen Revieren) oder 0421/53 68 70.
Unterwegs mit einem Seenotrettungskreuzer der DGzRS