Berlin. Wie hoch ist die Infektionsgefahr an Weihnachten und was können Familien jetzt noch tun? Mediziner beantworten die wichtigsten Fragen.

Die Vorfreude auf die Weihnachtsfeiertage ist groß, der Familienbesuch ist geplant. Doch überall husten und schniefen gerade wieder Angehörige, Freunde und Kollegen. Wie hoch ist die Infektionsgefahr so kurz vor Weihnachten, soll ich mich jetzt noch impfen und wie lassen sich die Großeltern schützen? Zwei Mediziner beantworten die wichtigsten Fragen:

Corona, Grippe, RSV: Wie sind aktuell die Infektionslage und das Ansteckungsrisiko?

„Generell befinden wir uns jetzt in der Hochphase der Atemwegsinfektionssaison“, sagt Prof. Mathias Pletz, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena. „Wir wissen aus den Vorjahren, auch schon vor der Pandemie, dass um die Weihnachtszeit die Ansteckungen im Familienrahmen zunehmen“, so Pletz.

„Viele Menschen haben derzeit Erkältungskrankheiten“, bestätigt auch Prof. Christoph Spinner, Leiter der Infektiologie des Universitätsklinikums rechts der Isar der Technischen Universität München. Eine wichtige Rolle spielten vor allem Rhinoviren, Coronaviren, Influenzaviren (Grippeviren) und die der Grippe ähnlichen Parainfluenzaviren. Der Covid-19-Erreger Sars-CoV-2 komme derzeit nur bei etwa vier Prozent aller Menschen vor. „Damit besteht natürlich auch beim Zusammentreffen von Familien ein erhöhtes Risiko für die Übertragung von Erregern von Atemwegsinfektionen, vor allem, wenn einzelne Personen Symptome einer Atemwegsinfektion aufweisen“, sagt Spinner.

Wie sollte vor Weihnachten ein guter Impfschutz aussehen, insbesondere bei Risikogruppen?

Ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von akuten respiratorischen Erkrankungen, also Atemwegserkrankungen, wie Influenza und Covid-19 haben beiden Infektiologen zufolge vor allem ältere Menschen ab dem 60. Lebensjahr und chronisch kranke Menschen. Beide Risikogruppen sollten sich daher jährlich im Herbst zum Schutz vor einem schweren Verlauf gegen Covid-19 und Influenza impfen lassen. „Gegebenenfalls auch jetzt noch“, sagt Christoph Spinner.

Three generations family gathering for christmas holiday
Damit das Familienessen an Weihnachten nicht flachfällt, sollten Ansteckungsgefahren frühzeitig vermieden werden. © iStock | bernardbodo

Auch Mathias Pletz hält die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) für maßgeblich: „Wir haben die Influenza-Impfung und eine Impfung gegen Covid-19, da hat die Stiko aus meiner Sicht eine sehr gute Empfehlung getroffen.“ Demnach sollen sich alle über 60 Jahre und auch medizinisches Personal einmal im Jahr impfen lassen. Bei Menschen unter 60, die innerhalb des letzten Jahres eine Corona-Infektion hatten, sei eine Impfung nicht unbedingt nötig. „Das muss dann jeder für sich entscheiden“, sagt Pletz. Wenn man vor wenigen Monaten infiziert war, aber keine Begleiterkrankung habe und nicht hochbetagt sei, könne man auf eine Impfung verzichten.

Die Gefährlichkeit von Covid-19 sei inzwischen wieder ähnlich wie die einer Influenza, gibt Mathias Pletz zu bedenken. „Das war jahrelang nicht der Fall.“ Und diese echte Virusgrippe sei keinesfalls zu unterschätzen. Nach Daten des Uniklinikums Jena versterbe jeder zehnte Patient, der wegen einer Influenza in die Klinik eingeliefert wird. Neben den überwiegend älteren Erkrankten sehe er auch immer wieder junge Menschen mit schweren Infektionen, „insbesondere bei der Influenza“, sagt Pletz. Er hält eine Impfung auch jetzt noch für angeraten. Richtig aufgebaut sei der Impfschutz in der Regel nach 14 Tagen. „Aber die erste Schutzwelle tritt schon nach fünf bis sieben Tagen ein“, erklärt Pletz.

Welche Corona-Impfstoffe verabreichen die Hausärzte?

Das Bundesgesundheitsministerium hat Praxen und Apotheken in diesem Herbst und Winter bislang mehr als acht Millionen Impfstoffdosen gegen das Coronavirus zur Verfügung gestellt. Zunächst war ein an die Variante JN.1 angepasster Impfstoff ausgeliefert worden, seit Mitte November wird zudem ein an die neue Variante KP.2 angepasstes Vakzin geliefert.

Der Bund habe beim ersten Impfstoff vom Hersteller Biontech/Pfizer insgesamt rund 6 Millionen Dosen bekommen, davon seien rund 5,4 Millionen an den pharmazeutischen Großhandel ausgeliefert worden, sagte ein Ministeriumssprecher gegenüber dieser Redaktion. Vom zweiten Vakzin habe der Bund insgesamt rund 8,2 Millionen Dosen bekommen, von denen bislang rund 2,6 Millionen an den Großhandel ausgeliefert worden seien.

Darüber hinaus könne seit Mitte Dezember auch der an die Variante JN.1 angepasste Covid-19-Impfstoff des Herstellers Novavax bestellt werden. An den pharmazeutischen Großhandel seien bislang rund 43.000 Impfdosen dieses Impfstoffs ausgeliefert worden, so der Sprecher.

Wie gefährlich ist das RS-Virus?

Das Respiratorische Synzytial-Virus (RS-Virus) halten beide Mediziner neben Corona und Influenza für eine der gefährlichsten Atemwegserkrankungen, gerade jetzt im Winter. Sie betrifft vor allem Kleinkinder unter zwei Jahren, die noch ein geschwächtes Immunsystem haben. Pletz zufolge musste in den vergangenen Jahrzehnten jedes 20. Kind unter zwei Jahren bei der ersten RS- Virusinfektion ärztlich vorgestellt oder sogar klinisch aufgenommen werden.

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Jedes Jahr führe das RS-Virus weltweit zu etwa einer halben Million Todesfällen. „Wir haben erst in den letzten Jahren verstanden, dass nicht nur die Kleinkinder betroffen sind, sondern auch die älteren Erwachsenen.“ Der Jenaer Infektiologe betont: „Bei einem hochbetagten Menschen ist die Sterblichkeit sogar höher als bei Influenza.“ Spinner erklärt: „Neu dazugekommen ist daher auch die Empfehlung für Menschen ab 75 Jahren, sich gegen RSV impfen zu lassen. Das ergibt gerade jetzt Sinn, weil RSV derzeit etwa so häufig vorkommt wie Sars-CoV-2.“

Neben den Viruserregern dürfe man bei Atemwegserkrankungen keineswegs den häufigsten bakteriellen Erreger vergessen, warnt Pletz: die Pneumokokken. Auch hier gebe es inzwischen einen Impfstoff, der breit und auch immunologisch gut wirke. Es handele sich um eine einmalige Impfung, von der Stiko empfohlen für alle ab 60 Jahren oder alle chronisch kranken Erwachsenen. „Das Gute ist: Man kann sich diese drei Impfstoffe, Influenza, Pneumokokken und Covid sogar an einem Termin verabreichen lassen, dann wirken sie wahrscheinlich sogar noch besser“, sagt Pletz und nennt einen weiteren Vorteil einer Impfung: „Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen einer Virus- oder Bakterieninfektion der Atemwege und einem Herzinfarkt oder Schlaganfall.“

Wie sinnvoll ist ein Corona-Test vor dem Familienbesuch an Weihnachten?

Ob kurz vor oder während der Weihnachtsfeiertage: Selbsttests ebenso wie genauere PCR-Tests sind aus Sicht beider Experten nicht weiter hilfreich. „Weil die Erkältungssymptome ja auch durch verschiedene andere Erkältungsviren bedingt sein können“, sagt Christoph Spinner. Diese Erreger könnten ebenso übertragen werden, würden aber nicht durch die Tests erfasst werden.

Jenaer Infektionsmediziner Mathias Pletz
Mathias Pletz ist Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena. © Mathias Pletz | Mathias Pletz

Wer sich dennoch testen möchte, dem empfiehlt Mathias Pletz Selbsttests aus dem Handel oder der Apotheke, die in der Lage seien, in einem Durchgang vier Atemwegsviren nachzuweisen: Corona, Influenza, das RS-Virus und Adenoviren. Man wisse seit der Pandemie allerdings, so Pletz, „dass all diese Selbsttests von vollkommen unterschiedlicher Qualität sind und keinesfalls mit PCR-Tests mithalten können.“ Zudem deckten sie nicht alle Risiken ab: „Die häufigsten Atemwegsviren momentan sind allerdings die Rhinoviren, die können Immungeschwächte auch mal schwer krank machen“, sagt Pletz. Diese ließen sich mit Selbsttest jedoch nicht nachweisen.

Kann ich bei negativem Test trotz Symptomen die Familie besuchen?

Habe man deutliche Erkältungssymptome, sei auch ein negativer Selbsttest „kein Freifahrtschein, jemanden beim Familienbesuch ins Gesicht zu husten“, sagt Pletz. Schließlich seien durch den Test keineswegs alle möglichen Atemwegsviren ausgeschlossen. Andersherum gelte für ihn ein positiver Selbsttest als klarer Beleg für einen auf dem Test befindlichen Erreger. „So ein Ergebnis sagt mir: Ich muss hier vorsichtig sein und sollte vielleicht auf den Besuch verzichten.“ Sei man dagegen vollkommen symptomfrei, müsse man sich vor den Feiertagen auch nicht testen oder testen lassen.

Dr. Christoph Spinner vom Klinikum rechts der Isar
Christoph Spinner ist Oberarzt für Infektiologie und Leiter der Stabsstelle Medizin & Strategie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. © Klinikum rechts der Isar/TUM | Falk Heller

Christoph Spinner betont ebenfalls, dass ein negativer Test keinesfalls Entwarnung für den Familienbesuch geben könne. Viel wahrscheinlicher sei derzeit eine Infektion durch ein anderes Erkältungsvirus.

Wann sollte ich auf den Familienbesuch verzichten?

„Ich würde es ganz pragmatisch halten: Wer Symptome einer Erkältungskrankheit hat, sollte Familienfeste vielleicht lieber meiden und zu Hause bleiben – vor allem, wenn ältere und chronisch kranke Personen mit dabei sind“, empfiehlt Christoph Spinner. Pletz sieht das ähnlich: „Wenn ich mich erkältet fühle und dauerhaft husten und niesen muss, dann hat man ein deutlich höheres Risiko, andere anzustecken.“ Der Hustenstoß setze deutlich mehr gefährliche Partikel frei als das Atmen.

Schon eine einfache Erkältung gefährde etwa ältere Familienmitglieder mit einer Krebserkrankung. „Das gilt insbesondere für Familien mit erkrankten kleinen Kindern, weil diese sehr viel Virus ausschütten.“ Andersherum: Handle es sich bei den Großeltern um rüstige Rentner jenseits der 70 ohne Begleiterkrankungen und vollständig geimpft, sei ein Besuch mit leichter Erkältung in der Regel weniger problematisch. Sein Zusatztipp: „Regelmäßig Lüften ist immer gut, das geriet nach der Pandemie schnell in Vergessenheit.“