Berlin. Das Erdklima wird wärmer – schneller als erwartet. Wissenschaftler haben herausgefunden, was für den Rekordanstieg gesorgt haben könnte.

Hitzewellen, Unwetter und überschwemmte Landstriche: Das Jahr 2023 war ein extremes Jahr für das Klima. Global stellte 2023 einen neuen Temperaturrekord auf. In Deutschland war es das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die weltweite Durchschnittstemperatur stieg um fast 1,5 Grad, verglichen mit den vorindustriellen Jahren 1850 bis 1900. Das berichtete der EU-Klimawandeldienst Copernicus im Januar. Es handelt sich dabei um eine Erderwärmung von 0,3 Grad Celsius – Copernicus schreibt im Bericht von „außergewöhnlich hohen Werten“.

Klimaforscherinnen und -forscher waren überrascht von dem rasanten Anstieg und konnten ihn nicht lückenlos erklären – bis jetzt. Nun hat ein Forschungsteam aus Deutschland eine Studie im Fachjournal „Science“ veröffentlicht, die einen überraschenden Grund nennt: fehlende Wolken. Dabei wird eine bestimmte Art von Wolken zum Problem.

Klimawandel: Dieses Rätsel blieb bis vor Kurzem ungelöst

Forscher gingen bislang davon aus, dass Treibhausgase, Vulkanausbrüche und das Wetterphänomen El Niño zum raschen Anstieg der Temperatur im Jahr 2023 geführt haben. El Niño setzt alle paar Jahre ein und ist, kurz gesagt, eine Änderung der Luft- und Meeresströmungen im Pazifik. Das Klimaphänomen beeinflusst weltweit das Wetter.

Aber all das erklärte nicht alles: Für einen Teil des Anstiegs in Höhe von 0,2 Grad in 2023 gab es keinen eindeutigen Ursprung. Helge Gößling, Hauptautor der Studie vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), bezeichnet das Rätsel um die Lücke in einer Pressemitteilung des AWI als „eine der prominentesten Fragen der Klimaforschung.“

Der Klimawandel sorgt immer häufiger für extreme Wetter- und Umweltereignisse. So sind im April 2024 südvietnamesischen Provinz Dong Nai tausende Fische während einer Hitzewelle verendet.
Der Klimawandel sorgt immer häufiger für extreme Wetter- und Umweltereignisse. So sind im April 2024 südvietnamesischen Provinz Dong Nai tausende Fische während einer Hitzewelle verendet. © AFP | Str

Gößling hat die Studie mit Kollegen vom Europäischem Zentrum für mittelfristige Wettervorhersagen (ECMWF) in Bonn und der Universität Bremen durchgeführt. Die Wissenschaftler untersuchten Satellitendaten der US-Weltraumbehörde Nasa und des ECMWF. Bei der Analyse der Daten haben sie entdeckt: Die Erde strahlt weniger Sonnenlicht zurück ins All als früher.

Der Anteil an Sonnenstrahlung, den der gesamte Planet zurück ins Weltall reflektiert, wird als planetare Albedo bezeichnet. Die Reflektion hilft, die Erde kühl zu halten und ist wichtig für das Klima. Alle Oberflächen der Erde, einschließlich Wasser, Land, Eis und Wolken tragen unterschiedlich stark zur Albedo bei. Besonders wo viel Schnee liegt, ist die Reflektion hoch.

Studie mit überraschendem Ergebnis – Grund für die 0,2 Grad-Lücke

„Wir konnten bereits in den letzten Jahren einen gewissen Rückgang erkennen. Die Daten legen nun nahe, dass die planetare Albedo 2023 so niedrig wie nie seit mindestens 1940 gewesen sein könnte“, erklärt Thomas Rackow, Co-Autor der Studie vom ECMWF in der Pressemitteilung. Mehr vom Planeten aufgenommene Sonnenstrahlung bedeutet: Es wird heißer. Die Forscher haben ausgerechnet: Ohne die geringe Albedo seit Dezember 2020 wäre es 2023 um 0,23 Grad kühler gewesen. Das könnte die 0,2 Grad-Lücke erklären.

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Doch warum ist die planetare Albedo so dramatisch gesunken? Dem AWI zufolge ist die Albedo tendenziell seit den 1970er-Jahren zurückgegangen. Weil Schnee und Eis in der Arktis immer mehr verschwinden, fehlen weiße Flächen. Aber das ist nicht der einzige Faktor, wie Gößling erläutert. Bei der Analyse habe das Forschungsteam feststellen können, dass der Rückgang der Reflexion von Sonnenlicht in den Polarregionen, also dort, wo Schnee und Eis schmelzen, nur etwa 15 Prozent des jüngsten Rückgangs der Rückstrahlkraft der Erde ausmacht.

Experte warnt: „Globale Klimaerwärmung näher als bislang gedacht“

Die Studienautoren konnten mit ihrer Analyse feststellen, was offenbar noch eine entscheidende Rolle bei der niedrigen Albedo gespielt haben könnte: Es gibt weniger niedrige Wolken, besonders über dem Atlantik. Wolken in allen Höhen kühlen die Erde, weil sie Sonnenlicht zurück ins All schicken. Doch besonders niedrige Wolken sind wichtig für das Klima. Wenn es weniger davon gibt, wird es wärmer.

Wolken in hohen Schichten sorgen neben Kühlung gleichzeitig auch dafür, dass Wärme in der Atmosphäre bleibt: „Das entspricht im Grunde der Wirkung von Treibhausgasen“, beschreibt Studienautor Gößling. Verschwinden die niedrigen Wolken, „verlieren wir nur den Kühleffekt, es wird also wärmer.“ Die Daten der Studie haben gezeigt, dass Wolken in höheren und mittleren Lagen kaum verschwunden sind.

Sonne und Wolken
Wolken haben erheblichen Einfluss auf die Erderwärmung und damit auf den Klimawandel. © DPA Images | Rolf Vennenbernd

Dass sich in niedriger Höhe immer weniger Wolken bilden, führt Gößling vor allem auf die Erderwärmung selbst zurück. Der Forscher vermutet, dass die steigende Temperatur der Erde dazu führt, dass weniger niedrige Wolken entstehen. Es handele sich um eine Art „Rückkopplung“. Andere Gründe seien natürliche Veränderungen des Wetters und wenige Aerosole, kleine Schwebeteilchen in einem Gas, in der Atmosphäre.

Gößling warnt: „Wir könnten einer globalen Klimaerwärmung von über 1,5 Grad Celsius bereits näher sein als bislang gedacht.“ Die verbleibenden Treibhausgasemissionen müssten dringend weiter gesenkt werden, um gegen Extremwetter besser gewappnet zu sein.