Hamburg. Reden statt Schweigen: So wichtig ist das Ausdrücken von Gefühlen in der Partnerschaft – zwei Expertinnen geben wertvolle Tipps.
Das Ausdrücken von Gefühlen ist essenziell für enge und vertrauensvolle Beziehungen, doch für viele Menschen ist es eine Herausforderung – besonders für jene mit Bindung- oder Verlustängsten. Aus Angst vor Zurückweisung oder Enttäuschung vermeiden sie oft, ihre Emotionen offen zu zeigen, was Beziehungen oberflächlich halten oder Missverständnisse fördern kann. Zwei Expertinnen geben Antworten auf zentrale Fragen rund um den Umgang mit Gefühlen.
Psychologin: Warum wir unsere Gefühle nicht unterdrücken sollten
Gefühle sind ein fester Bestandteil des Lebens und spielen in jedem Lebensbereich eine zentrale Rolle. Gleichzeitig haben viele Menschen große Schwierigkeiten damit, offen über ihre Gefühle zu sprechen und sie der Außenwelt zu zeigen. Die Psychologin und Coachin Linda-Marlen Leinweber erklärt, warum wir unsere Emotionen ernst nehmen sollen: „Gefühle sind unsere Signalgeber für unser Wohlbefinden und den Grad der Befriedigung unserer seelischen und körperlichen Grundbedürfnisse“, so die Expertin. „Sie sind wie Warnlampen im Auto – ignorieren wir sie, kann es für uns unangenehm werden.“
Das Unterdrücken von Gefühlen kann den Körper und den Geist demnach stark belasten. Laut Leinweber können unterdrückte Emotionen zu einem Dauerstress führen, der sich negativ auf das ganze Nervensystem auswirkt. Dauert dieser Zustand über eine längere Zeit an, könnten sich daraus sogar ernsthafte Krankheiten entwickeln. Nachwuchsforscher der Universität Jena konnten zwischen dem emotionalen Stress und daraus resultierenden Gesundheitsproblemen einen Zusammenhang beobachten.
Besonders in Partnerschaften sei es fundamental, mit dem Partner über die eigenen Gefühle zu sprechen, so die Berliner Paartherapeutin Birgit Fehst. Finden Gespräche über die Gefühlslage nicht statt, kann es häufig zu Konflikten führen, da Partner nicht immer einschätzen können, wann der Andere fühlt oder ob er möglicherweise sogar unglücklich mit der Beziehung ist. „Gefühlskälte kann manchmal sogar den Eindruck erwecken, dass die Liebe einseitig ist, weil der oder die andere nie über die eigenen Gefühle spricht und innerlich verschlossen wirkt“, warnt Fehst.
Expertentipps: Wie können wir lernen, unsere Gefühle zu zeigen?
Gefühle begleiten uns von Geburt an. Doch viele Menschen lernen erst im Erwachsenenalter, mit ihnen umzugehen. Drei Strategien können dabei helfen:
1. Fünf Sprachen der Liebe
Der Beziehungsberater und Autor Gary Chapman präsentierte in den 1990er Jahren das Konzept der fünf Liebessprachen. Laut Chapman drücken Menschen ihre Zuneigung auf unterschiedliche Weise aus: durch Worte der Anerkennung, gemeinsame Zeit, Geschenke, Unterstützung im Alltag oder körperliche Nähe. Paare, die wenig über ihre Gefühle sprechen, zeigen ihre Liebe möglicherweise eher durch Handlungen statt durch Worte.
Paartherapeutin Fehst betont, wie wichtig es ist, diese unterschiedlichen Ausdrucksformen als Liebesbeweise wahrzunehmen. Zudem empfiehlt sie, die Liebessprache des Partners zu erlernen, um gegenseitige Bedürfnisse besser zu verstehen und zu erfüllen.
2. Regelmäßiger Austausch
Bevor sich viele unausgesprochene Worte und unausgedrückte Gefühle ansammeln, sei es ratsam, regelmäßige Gespräche mit seinem Partner zu führen, so Fehst. Um das zu erleichtern, könnte man beispielsweise einen festen Termin dafür ausmachen, um daraus eine Routine zu entwickeln. Solche Gespräche über Gefühle, aber auch über Wünsche und Anregungen, tragen nicht nur dazu bei, Missverständnisse zu vermeiden, sondern können die Partnerschaft auch bereichern und die emotionale Bindung stärken.
3. „Niemand kann die Gedanken des anderen lesen“
Regelmäßige Gespräche über die eigene Gefühlslage seien in jedem Beziehungsstadium genauso wichtig: „Niemand kann die Gedanken des anderen lesen und den Grund für die Gefühle erahnen – egal, wie gut man sich kennt und wie lange man schon zusammen ist“, so Psychologin Leinweber. Indem man Emotionen und Bedürfnisse mit seinem Partner teilt, gibt man ihm die Möglichkeit, darauf einzugehen.
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Beziehung: Warum schwanken unsere Gefühle?
Am Anfang einer Beziehung produziert das Gehirn große Mengen an Glückshormonen, die die Menschen euphorisch machen und sie die Welt durch eine rosarote Brille sehen lassen. Doch die Verliebtheitsphase vergeht oft nach wenigen Wochen oder Monaten – und das ist ganz normal. Für den Körper ist das Verliebtsein ein anstrengender Zustand, der nicht über eine sehr lange Zeit andauern kann, wie die Beziehungsexperten betonen.
Dass sich die Gefühle im Laufe der Zeit verändern, sollte kein Grund zur Sorge sein. „Beziehungen durchlaufen oft verschiedene Phasen – Phasen, in denen man sich mehr verbunden fühlt als in anderen“, sagt Leinweber. Oft werden Partnerschaften durch äußere Einflüsse zusätzlich belastet. „Faktoren wie Konflikte, Stress oder Kinder wirken sich sowohl auf das eigene Gefühlsleben als auch auf das der Beziehung aus“, so Paartherapeutin Fehst. Umso wichtiger sei es, seinen Partner regelmäßig wissen zu lassen: Was brauche ich? Welche Wünsche, Bedürfnisse, Anregungen habe ich aktuell?
In stressvollen und herausfordernden Phasen können Beziehungen auf eine harte Probe gestellt werden. „Deshalb sind Kompatibilität im Alltag, aber auch in Bezug auf Werte, Ziele und Visionen, sowie eine gute Kommunikationskultur wichtig“, so Fehst.
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Experten warnen: Dann sollten bei uns die Alarmglocken läuten
Gefühle können sich in Beziehungen ändern, was nicht zwangsläufig etwas Schlechtes bedeuten muss. Doch wenn Partner gar keine positiven Gefühle mehr haben, kann es durchaus ein Anzeichen einer unglücklichen Beziehung sein, erklärt die Paartherapeutin. „Man freut sich nicht mehr auf den anderen, hat keine Lust mehr, Zeit miteinander zu verbringen, oder fühlt sich mit dem Partner nicht mehr sicher“, so Fehst.
Bei unerfüllten Beziehungen stellt die Paartherapeutin häufig ein weiteres Merkmal fest, eine Art „grundsätzlichen Groll“. „Es gibt kaum noch Wohlwollen, und das Handeln des anderen wird sehr negativ bewertet“, erklärt die Expertin. Der amerikanische Paartherapeut John Gottman weist zudem noch auf ein weiteres Anzeichen hin, das darauf hindeutet, dass die Liebe möglicherweise erloschen ist: die Verachtung. „Von der Verachtung führt kaum ein Weg zurück in eine glückliche Beziehung“, warnt Fehst.
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Welche Rolle spielen Bindungs- und Verlustängste?
Wie offen jemand über seine Gefühle spricht und ob er sie zeigt, kann häufig mit Bindungs- und Verlustängsten zusammenhängen. Für beide Ängste sind meistens frühkindliche Erfahrungen verantwortlich, die Menschen mit ihren Bezugspersonen machen. „Erfährt ein Kind von seiner Mutter, seinem Vater oder anderen wichtigen Bezugspersonen keine bedingungslose Liebe und kann es kein Urvertrauen von „Ich bin okay, so wie ich bin, und ich werde geliebt“ aufbauen, nimmt es die Angst vor Nähe- oder Liebesverlust mit ins weitere Leben und in jede Beziehung, die es als Erwachsener führt“, erklärt die Psychologin Linda-Marlen Leinweber.
Bindungs- und Verlustangst äußern sich unterschiedlich: Menschen mit Bindungsangst halten oft ihre Gefühle zurück und wahren Distanz, während Verlustängstliche möglicherweise eine starke Anpassungsfähigkeit und ein übermäßiges Bedürfnis nach Nähe zeigen, erklärt Leinweber. „Grob verallgemeinert haben bindungsängstliche Menschen Angst vor Nähe und verlustängstliche Menschen Angst vor dem Verlust von Nähe“, so Fehst.
Laut Leinweber schaden Menschen häufig der Beziehung, in dem sie nicht über ihre Emotionen sprechen und hoffen, dass sie mit der Zeit verschwinden. Die schlechte Nachricht ist: Gefühle verschwinden nur selten. Die Expertin betont, dass Menschen sich nicht von der Angst vor Ablehnung lähmen lassen sollen: Gefühle zu äußern, gehört zu einer gesunden Beziehung dazu.
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Wie äußert sich Verlustangst?
- Angst, nicht genug zu sein
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Ist es möglich, Bindungs- und Verlustängste zu heilen?
„Ob Bindungsangst oder Verlustangst – beides sind Bindungsstörungen, die durch negative Bindungserfahrungen in der Kindheit entstanden sind, und keine Störungen mit Krankheitswert“, erklärt die Paartherapeutin Fehst. Trotzdem können sie für die Betroffenen eine erhebliche Belastung darstellen.
Um beide Angststörungen effektiv zu bewältigen, rät die Paartherapeutin Fehst dazu, sie differenziert zu betrachten: „Bei Verlustängsten ist es sinnvoll, sich mehr auf sich selbst zu konzentrieren und das eigene Selbstwertgefühl zu stärken.“ Hingegen sei bei bindungsängstlichen Menschen wichtig, dass sie ihre Bedürfnisse nach mehr Raum klar kommunizieren. „Wenn der Betroffene für sein Rückzugsverhalten nicht kritisiert wird, fällt es ihm auch leichter, wieder auf den anderen zuzugehen“, erklärt sie.
In einigen Fällen, wenn die eigenen Bindungsmuster und Ängste die Oberhand gewinnen, kann es ratsam sein, sich therapeutische Hilfe zu holen, erklärt Leinweber.