Hamburg. Eine Scheidung muss nicht immer etwas Negatives sein – ganz im Gegenteil. Ein Experte erzählt, warum die zweite Ehe häufig besser läuft.
Glück ist das einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt – so das bekannte Sprichwort. Allein in Deutschland wurden letztes Jahr etwa 46.400 Zweitehen geschlossen. Sein Glück zum zweiten Mal mit einem neuen Ehepartner oder Ehepartnerin zu teilen, kann durchaus viele Vorteile bringen. Wie der Berliner Paartherapeut Wolfgang Krüger erklärt, kann eine zweite Ehe sogar erfolgreicher und erfüllender werden als die Erste – „vorausgesetzt natürlich, man lernt aus der Vergangenheit und ist bereit, sich stetig weiterzuentwickeln.“
Der Experte spricht hier aus eigener Erfahrung – er hat erst mit über 60 Jahren geheiratet. „Mein Umfeld war erstaunt, dass es überhaupt noch zu einer Hochzeit gekommen ist“, schmunzelt der Paartherapeut. Er identifizierte vier Faktoren, die für eine zweite Ehe sprechen:
1. Lektionen aus der ersten Ehe
„Wir haben meist so viele Wünsche und Ansprüche an langfristige Beziehungen, dass die Wahrscheinlichkeit beim ersten Anlauf genau daran zu scheitern, sehr groß ist“, so Krüger. Laut des Beziehungsexperten wissen Menschen in der zweiten Ehe besser, welche Wünsche und Bedürfnisse sie haben. Dazu bringen sie oft eine höhere Kompromissbereitschaft und einen konstruktiven Umgang mit Konflikten mit.
Auch die Fähigkeit, aus eigenen Fehlern zu lernen sei in der zweiten Ehe oft höher. „In der ersten Ehe wird oft noch aus Naivität oder überwältigenden Gefühlen heraus geheiratet“, so der Experte, „während die zweite Ehe oft sachlicher angegangen wird.“
2. Partnerwahl verläuft nach realistischeren Kriterien
Für die zweite Ehe würden sich die meisten Menschen den neuen Partner oder Partnerin nach realistischeren Kriterien aussuchen. Oft machen sie es zur Priorität eine Person zu finden, mit der man sich eine langfristige Partnerschaft vorstellen kann, die zu eigenen Zukunftsvorstellungen passt. Der Paartherapeut betont: „Sie wissen bereits, worauf es ihnen bei ihrem Partner oder ihrer Partnerin ankommt, worüber sie hinwegsehen können und im Gegenzug auch, welche Eigenschaften für sie unabdingbar sind.“
Krüger weist auch darauf hin, dass Menschen mit mehr Lebenserfahrung die Prioritäten anders setzen: „Auch rationale, sachliche Argumente spielen mit zunehmendem Alter im Vergleich zu emotionalen Faktoren eine wichtigere Rolle.“ Um den passenden Partner zu finden, stellte der Experte eine Checkliste zusammen, die dabei hilfreich sein kann:
- Sinn für Humor
- Liebenswürdigkeit
- Verantwortungsbewusstsein
- Körperliche Anziehung
- Gespräch- und Streitkultur
- Konfliktlösungsfähigkeit
- Kompromissbereitschaft
- Emotionale und berufliche Stabilität
- Eigenständigkeit
- Beteiligung am Haushalt
Zur Person
Dr. Wolfgang Krüger (75) ist Diplom-Psychologe und Psychotherapeut mit eigener Praxis in Berlin. Beziehungsprobleme sind ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Zudem veröffentlichte Krüger diverse psychologische Sachbücher – unter anderem zu den Themen Liebe, Partnerschaft und Sexualität.
3. Emotionale Reife und Menschenkenntnis
In Deutschland heiraten die meisten Menschen schon mit Anfang 30. Doch laut Krüger habe man erst mit 40 genügend Lebenserfahrung, Menschenkenntnis und Durchhaltevermögen. „Wir sehen aber in der Therapie, dass wir Menschen eigentlich erst ab dem 40. Lebensjahr wirklich erwachsen werden“, so der Experte. „Wenn es danach geht, sollte eigentlich jeder grundsätzlich erst mit 40 Jahren heiraten. Dann weiß man ungefähr, worauf man sich einlässt.“
Die emotionale Reife, die sich erst im Laufe der Zeit entwickelt, ermögliche den Menschen bei der zweiten Ehe klarer beurteilen zu können, welche Bedürfnisse sie überhaupt haben und wer sie wirklich sind. Das wiederum sei eine wichtige Grundlage für eine beständige Partnerschaft.
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4. Bessere Gesprächs- und Streitkultur
In der zweiten Ehe hat häufig eine offene, ehrliche und respektvolle Kommunikation einen höheren Stellenwert. „Im Laufe der Jahre merken wir, wie wichtig es ist, mit unserem Partner oder unserer Partnerin gute Gespräche führen zu können“, so Krüger. „Wir wollen uns gemeinsam weiterentwickeln, Denkimpulse vom Gegenüber bekommen, aber wir wollen uns auch reiben, streiten und Konflikte lösen – ohne Drama und Eskalation.“ Viele Menschen machen in der ersten Ehe die Erfahrung, dass Kommunikation das A und O einer gesunden Beziehung ist und achten bei der zweiten Ehe besonders darauf.
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Krüger: „Konflikte gehören zu jeder Beziehung dazu“
„Ich bin nun seit 17 Jahren mit meiner jetzigen Frau zusammen und habe das Gefühl, von Jahr zu Jahr wird diese Beziehung besser“, sagt der Paartherapeut. Doch was ist das Geheimnis einer gelungenen Ehe? Darauf hat Krüger eine konkrete Antwort: „Eine gute Beziehung zeichnet sich immer durch Arbeit aus.“ Es sei fundamental, Konflikte gemeinsam zu bewältigen und sich auch gegenseitig genügend Raum zu geben. „Konflikte gehören zu jeder Beziehung dazu, ausschließlich perfekte Lösungen, bei denen immer alle Wünsche und Bedürfnisse befriedigt werden, gibt es nicht“, betont der Experte.