Hamburg. Seitensprünge in Beziehungen: Ein Paar- und Sexualtherapeut unterscheidet drei Arten des Fremdgehens und liefert spannende Einblicke.

In Deutschland ist Untreue kein seltenes Phänomen. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2017 gab fast jeder Fünfte zu, schon einmal eine Affäre geführt zu haben. In vielen Fällen erschüttert ein Seitensprung das Vertrauen zwischen Beziehungspartnern so stark, dass die Partnerschaft daran zerbricht. Doch was verleitet einen Menschen zum Fremdgehen? Dieser Frage geht der Berliner Paar- und Sexualtherapeut Wolfgang Krüger auf den Grund. Der Experte spricht von drei Arten des Fremdgehens, die er in seinem Berufsalltag am häufigsten beobachtet.

Sexualtherapeut spricht Klartext: Fremdgehen ist nicht gleich Fremdgehen

Laut Krüger sei es in Deutschland üblich, dass Menschen ab etwa Mitte 30 eine feste Beziehung eingehen und oft den Wunsch äußern, zu heiraten. „Wenn man jünger ist und in ersten Beziehungen nicht ganz so treu ist, dann hat das meist etwas mit Neugierde zu tun“, erklärt der Beziehungsexperte, „zum Beispiel, wenn man erleben möchte, wie andere Frauen oder Männer im Bett sind, wie sie küssen oder sonst irgendetwas.“ Während das Fremdgehen in jungen Jahren von der Gesellschaft größtenteils toleriert werde, sei es in festen Beziehungen ein Tabu.

Der Berliner Sexualtherapeut rät dazu, sich mit den Ursachen von Untreue auseinanderzusetzen, um Beziehungsdynamiken besser verstehen zu können. Er unterscheidet zwischen drei Arten des Fremdgehens:

1. „Das Phänomen der schlechten Ehe“

In diesem Fall spielt Frustration und Unzufriedenheit mit der eigenen Beziehung die entscheidende Rolle. „Und das betrifft zwei Drittel aller Seitensprünge“, so Krüger. Tiefe emotionale Wunden, häufige Enttäuschungen und kein respektvoller Umgang in Beziehungen kann häufig dazu führen, dass Menschen den Schritt wagen, eine Affäre einzugehen. Möglicherweise sehen sie es nicht mehr ein, an der eigenen Partnerschaft zu arbeiten und seinem Partner treu zu bleiben. „Man geht im Grunde fremd, weil die Partnerschaft, in der man sich befindet, schlicht und ergreifend beschissen ist.“ Doch Krüger betont, dass es sich nicht um Mehrheiten handelt. In den meisten festen Beziehungen stehe Treue für beide Partner an der obersten Stelle.

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2. Bin ich noch sexuell attraktiv? Der narzisstische Seitensprung

Hier geht es vor allem um die Selbstbestätigung. Menschen wollen häufig testen, ob sie auf andere immer noch anziehend wirken und damit ihrem Ego schmeicheln. Insbesondere bei Männern sei es einer der häufigsten Gründe für Untreue: „Die Männer versuchen Frauen rumzukriegen, um sich Bestätigung zu holen“, sagt Krüger. „Sie wollen das Gefühl haben ‚Ich bin ein toller Kerl‘.“

Der Paartherapeut weist darauf hin, dass es sich in solchen Fällen oft nur um das eigene Selbstwertgefühl handelt: „Die Männer erzählen dann, dass sie in dem Augenblick, in dem sie spüren, dass die Frauen bereit wären mitzukommen, eigentlich schon aufhören könnten.“

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3. Untreue aus Angst, die eigene Freiheit zu verlieren

Bei bindungsängstlichen Menschen, die sich für eine Affäre entscheiden, sei häufig die Angst um die eigene Freiheit der entscheidende Auslöser. „Manche Menschen haben geradezu phobische Ängste, wenn sie merken, ihre Beziehung ist etwas Dauerhaftes“, so Krüger. Sie fühlen sich von zu viel Nähe und der Ernsthaftigkeit der Partnerschaft oft eingeengt und wollen Distanz wahren.

Der Drang dazu, sich eine Affäre zu suchen, entsteht oft dann, wenn wichtige verbindliche Entscheidungen bevorstehen beispielsweise Zusammenziehen oder Kinderplanung. „In dem Moment, in dem sie fremdgehen, können sie sich wieder besser auf die Beziehung einlassen, weil sie das Gefühl haben, dass sie zur Not eine Alternative haben – ohne diese ernsthaft zu wollen.“

Warum Menschen eine Angst vor Bindung entwickeln, kann häufig an Erfahrungen liegen, die sie mit ihren ersten Bezugspersonen gemacht haben: „Wenn man sich die Kindheit dieser Fremdgeher anschaut, die für das Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse immer wichtig ist, dann merkt man, dass die Eltern beispielsweise eine schlechte Ehe hatten und dass sich ein Elternteil dann zu eng an das Kind angelehnt hat, ihm alles erzählt hat und es als Partnerersatz genutzt hat.“

Zur Person

Dr. Wolfgang Krüger (75) ist Diplom-Psychologe und Psychotherapeut mit eigener Praxis in Berlin. Beziehungsprobleme sind ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Zudem veröffentlichte Krüger diverse psychologische Sachbücher – unter anderem zu den Themen Liebe, Partnerschaft und Sexualität.

Beziehungsstudie: Forscherteam identifiziert acht Fremdgeh-Auslöser

In einer Studie aus dem Jahr 2020 haben Psychologen der amerikanischen University of Maryland rund 500 Männer und Frauen gefragt, was ihre Ursachen für Untreue waren. Die Wissenschaftler konnten dabei acht Fremdgeh-Motive identifizieren, die eine Ergänzung der drei häufigsten Gründe von Krüger darstellen. Wie das Forschungsteam um den Psychologen Dylan Selterman herausgefunden hat, erklären die folgenden Motive nicht nur die Ursachen für Untreue, sondern auch die Dauer und Intensität der Affären:

  • Wut auf den Partner oder die Partnerin
  • Selbstwertbestätigung
  • Mangelnde Liebe
  • Fehlende Verbindlichkeit
  • Wunsch nach Abwechslung
  • Mangel an Verbundenheit oder Ablehnung
  • Sexuelles Verlangen
  • Unüberlegte Ausrutscher

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Untreue gehört zweifellos zu den häufigsten Trennungsgründen, muss jedoch laut Krüger nicht zwangsläufig das Aus einer Beziehung bedeuten. Dabei sei es wichtig sich im Klaren zu sein, welche Gründe dazu geführt haben – nur so könnte man bewusst an der Erfüllung seiner eigenen Bedürfnisse und Wünsche arbeiten. „Das ist für viele eine große Herausforderung“, so der Experte. „Aber wenn es gelingt, ist auch nach einem Seitensprung noch eine großartige gemeinsame Beziehung möglich.“