Berlin. Psychische Erkrankungen wie Depressionen sind allgegenwärtig. Eine Studie zeigt nun: Bei der Mehrheit tritt ein bestimmtes Problem auf.

Wann hole ich mir Hilfe oder nutze Angebote zur Unterstützung? Fast neun von zehn (86 Prozent) Menschen in Deutschland haben große Probleme im Umgang mit Informationen zur eigenen psychischen Gesundheit oder zu psychischen Erkrankungen. Das zeigt eine repräsentative Studie zur psychischen Gesundheitskompetenz im Auftrag des Wort & Bild Verlags.

Die Ergebnisse sind in der „Apotheken Umschau Impact“ (Ausgabe Dezember 2024) veröffentlicht und liegen dieser Redaktion vorab exklusiv vor. „Die Ergebnisse im Bereich mentaler Gesundheit sind somit noch dramatischer als die der allgemeinen Gesundheitskompetenz“, heißt es in der Studie.

Traurigkeit oder schon Depression? Das sind die Alarmsignale

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    Psychische Gesundheit: Mehrheit schätzt eigene Kompetenz niedrig ein

    Der Untersuchung „Mental Health Literacy in Deutschland“ zufolge fällt es den meisten Teilnehmern und Teilnehmerinnen (69,1 Prozent) schwer zu beurteilen, ob Informationen zu Angeboten zur Bewältigung eines psychischen Problems frei von kommerziellem Interesse sind. Fast genauso viele (68,3 Prozent) tun sich schwer damit, wenn es darum geht, wann eine professionelle Einschätzung für Anzeichen von psychischen Erkrankungen nötig wäre. Ebenso viele der Befragten können nur schwer einschätzen, ob Informationen über psychische Erkrankungen in den Medien vertrauenswürdig sind. Nur knapp jeder Siebte (13,9 Prozent) verfügt laut Studie über eine hohe psychische Gesundheitskompetenz.

    An der bundesweit repräsentativen Online-Befragung durch das Skopos-Institut nahmen zwischen Juli und August 2024 insgesamt 2000 Erwachsene und 500 Auszubildende ab 18 Jahren teil. Durch die Verknüpfung eines neu entwickelten Fragenkatalogs mit soziodemografischen Daten der Befragten lässt sich nach Angaben der Studienautoren erstmals gezielt zeigen, wie es um die Gesundheitskompetenz der Deutschen mit Blick auf die psychische Gesundheit und psychische Erkrankungen bestellt ist.

    Bei der jüngeren Gruppe der Auszubildenden zeigt sich im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung nur ein leicht besseres Bild: Statt 86 sind es hier 80 Prozent, die über eine niedrige psychische Gesundheitskompetenz verfügen. „Eine erschreckend hohe Anzahl“, heißt es in der Studie. Den Jüngeren falle es lediglich etwas leichter als dem Großteil der Bevölkerung, Informationen zu suchen, zu finden, zu verstehen, zu bewerten und anzuwenden.

    „Ein tief verankertes Missverständnis ist, dass Depressionen vor allem Folge belastender Lebensumstände sind“, sagt Prof. Dr. Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention in einem Interview zur Studie. „Die entscheidende Bedeutung der Veranlagung wird nicht gesehen. Menschen mit dieser Veranlagung rutschen in ihrem Leben meist mehrfach in eine depressive Phase, auch bei eigentlich guten Lebensumständen.“ Umgekehrt erkrankten Menschen ohne diese Veranlagung „auch bei größten Bitternissen“ nie an einer richtigen Depression. „Das heißt, viele – auch professionell Tätige – überschätzen den Einfluss äußerer Faktoren“, so Hegerl. 

    Psychische Erkrankung: Mehr als zwei Drittel kennt Betroffene

    Weitere Erkenntnisse der Studie: Bei der psychischen Gesundheitskompetenz zeigen sich keine Unterschiede bei Frauen und Männern, beim Alter oder bei den Einkommensgruppen. Anders beim Wohnort: Menschen mit Wohnsitz in den alten Bundesländern schätzen ihre Kompetenz niedriger ein als Menschen, die in den neuen Bundesländern leben. Auch Menschen mit niedrigerer Bildung oder mit einem Migrationshintergrund fällt der Umgang mit Informationen zur psychischen Gesundheit etwas schwerer.

    Wie allgegenwärtig das Problem in der Gesellschaft ist, zeigt ein weiteres Ergebnis: Mehr als zwei Drittel der Befragten (69,9 Prozent) gibt an, einen Menschen zu kennen, der eine psychische Erkrankung hat oder hatte, die eigene Person eingeschlossen.

    Depression: Frauen erkranken doppelt so häufig wie Männer

    Der offenbar hohe Nachholbedarf hinsichtlich der psychischen Gesundheitskompetenz der Deutschen klingt umso alarmierender mit Blick auf die steigenden Betroffenenzahlen in Deutschland:

    • Wie die Studienautoren betonen, erkrankt hierzulande etwa jeder fünfte Mensch einmal im Leben an einer Depression – Frauen doppelt so häufig wie Männer.
    • Im Schnitt vergehen 8,2 Jahre nach dem Auftreten erster Symptome, bis professionelle Hilfe aufgesucht wird.
    • Knapp 9,5 Millionen Menschen ab zehn Jahren waren im Jahr 2022 in Deutschland wegen einer Depression in Behandlung – ein neuer Höchststand.
    • Fast jede fünfte Krankenhausbehandlung (19 Prozent) von 10- bis 17-Jährigen ging 2022 auf psychische Erkrankungen zurück.

    Wie lässt die psychische Gesundheitskompetenz in der Gesellschaft verbessern? Die Studienautoren fordern eine intensive Aufklärung zum Umgang mit psychischen Erkrankungen. Zudem brauche es Angebote, die sich an unterschiedliche Zielgruppen richten, verbunden mit einer „Lotsenfunktion“, um Informationen leichter bewerten zu können. „Fast jeder Mensch wird im Laufe seines Lebens mit Depression in Berührung kommen – sei es durch eine eigene Erkrankung, als Angehöriger oder im Freundeskreis“, sagt Experte Ulrich Hegerl. „Wegen dieser Häufigkeit und Schwere der Erkrankung gehört das Thema Depression zum Beispiel in die Lehrpläne von Schulen, ähnlich wie Suchterkrankungen.“