Berlin. In einer Schweizer Kapelle beichten Gläubige einem KI-Jesus ihre Sünden. Kann künstliche Intelligenz bald echte Seelsorge ersetzen?

In der ältesten Kirche Luzerns, der Peterskapelle, verbindet sich seit kurzem historische Tradition mit moderner Technologie. Seit Anfang August lädt dort ein von künstlicher Intelligenz (KI) gesteuerter Jesus-Avatar im Beichtstuhl zur Interaktion ein, wie die Stadt Luzern in einer Pressemitteilung schreibt. Das Projekt mit dem treffenden Namen „Deus in Machina“ entstand in Zusammenarbeit zwischen der Kirche und einem lokalen Forschungslabor für immersive Realität.

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Jesus-Hologramm im Beichtstuhl

Mit einer einzigen Einwilligung zur Datenverarbeitung erscheint er: Hinter dem Gitter des Beichtstuhls in der Peterskapelle erwacht auf einem Bildschirm ein KI-gesteuerter Jesus-Avatar zum Leben. Der Mund des Hologramms bewegt sich synchron zu seinen Worten und soll so eine möglichst authentische Beichtatmosphäre schaffen.

Entwickelt wurde der digitale Jesus vom Immersive Realities Lab der Hochschule Luzern. Er beeindruckt vor allem durch seine Fähigkeiten: Der Avatar spricht 100 Sprachen und kennt das Neue Testament auswendig. Die Besucher sind eingeladen, ihre Gedanken und Fragen mit dem virtuellen Jesus zu teilen. Dabei betonen die Initiatoren, dass es sich nicht um ein offizielles Beichtsakrament handelt. Vielmehr soll das Projekt die Grenzen der Technologie im religiösen Kontext kritisch ausloten und zum Nachdenken anregen.

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Wie leistungsfähig der KI-Avatar ist, zeigt auch ein Beitrag auf dem Blog der Hochschule Luzern: Selbst komplexe theologische Fragen konnte der digitale Jesus beantworten. So lautete eine der Anfragen: „Wie kann ich aus christlicher Sicht einen alten, kranken Menschen unterstützen, der sich für Sterbehilfe entschieden hat?“ Die KI reagierte empathisch: „Vielleicht könntest du deinem geliebten Menschen folgende Fragen stellen: Was bedeutet dir dein Glaube in dieser schwierigen Zeit? Gibt es noch etwas in deinem Leben, das dir Frieden oder Freude bringen könnte? Wie kann ich dich unterstützen und trösten? Deine Aufgabe ist es nicht, zu urteilen, sondern liebevoll zu begleiten.“

KI-Jesus polarisiert: Begeisterung und Kritik am digitalen Experiment

Nach einer zweimonatigen Testphase, in der über 1.000 Menschen mit dem Avatar interagiert haben, zeigen erste Auswertungen ein überwiegend positives Echo. Marco Schmid, theologischer Mitarbeiter der Peterskapelle, erklärte gegenüber dem „Guardian“, dass zwei Drittel der Nutzer die Erfahrung als spirituell empfanden. Einige fühlten sich sogar getröstet und gestärkt. „Das hat mich überrascht“, sagt Schmid.

Doch nicht alle teilen die Begeisterung. Während einige Besucher die Fähigkeit des Avatars lobten, theologische Fragen fundiert zu beantworten, sahen andere in dem Projekt lediglich ein technisches Gimmick. Kritik kam auch aus kirchlichen Kreisen. Katholische Vertreter kritisierten die Nutzung des Beichtstuhls für ein nichtsakramentales Angebot, evangelische Stimmen stellten die bildliche Darstellung Jesu in Frage.

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KI in der Religion: Fortschritt mit Fehltritten

Das Projekt „Deus in Machina“ in der Luzerner Peterskapelle war von Anfang an auf eine begrenzte Dauer angelegt – aus gutem Grund. „Einen Jesus-Avatar dauerhaft einzusetzen, würde ich nicht verantworten. Die Verantwortung wäre zu groß“, erklärt Marco Schmid gegenüber der britischen Nachrichtenzeitung. Eine der größten Herausforderungen sei die Gefahr gewesen, dass die KI unangemessene oder der Kirchenlehre widersprechende Antworten geben könnte. Trotz intensiver Tests sei es nicht möglich gewesen, solche Fehltritte völlig auszuschließen. Dennoch wertet Schmid das Experiment als Erfolg und sieht darin ein Zeichen dafür, dass viele Menschen wieder einen Zugang zu Jesus suchen.

Andere Versuche, KI und Religion zu verbinden, waren weniger erfolgreich. So sorgte 2024 in den USA ein KI-Avatar namens „Father Justin“ für Aufsehen. Der virtuelle Priester fiel durch extreme Äußerungen auf, verurteilte etwa Masturbation und schlug vor, Kinder mit Energydrinks zu taufen. Das Projekt wurde nach wenigen Tagen eingestellt, Father Justin ist jedoch bis heute online abrufbar.