Berlin. Wie begegneten Menschen im Südpazifik über Jahrhunderte dem Klimawandel? Zwei deutsche Forscher über lehrreiche Antworten für die Zukunft.

„Klimawandel hat es schon immer gegeben“, heißt es immer wieder, wenn Skeptiker zum Beispiel im Umfeld der jüngsten Klimakonferenz in Aserbaidschan über die Auswirkungen der Erderwärmung relativieren. Die Phrase ist genauso richtig, wie die Schlussfolgerung falsch ist. Das ist wissenschaftlich hinlänglich bewiesen. Und das zeigt einmal mehr ein archäologischer Blick in die Region der pazifischen Inseln, die in den vergangenen 3000 Jahren immer wieder von extremen Wetterphänomenen sowie von Veränderungen des Meeresspiegels betroffen war.

Die Menschen dort mussten sich immer wieder den veränderten Bedingungen anpassen. Wie machten sie das? Und kann man etwas von ihnen lernen?

Archäologe: „Im Pazifik immer mit Klimawandel konfrontiert“

Christian Reepmeyer forscht seit 2010 in der Region und geht unter anderem der Frage nach, welche Strategien die Menschen auf den pazifischen Inseln entwickelten, um in ihrer Umwelt zu leben. Der Wissenschaftler ist stellvertretender Direktor der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Bonn-Bad Godesberg. In einem gemeinsamen Interview mit seiner Kollegin Annette Kühlem und unserer Redaktion sagt er: „Sobald man im Pazifik arbeitet, ist man mit Klimawandel konfrontiert. Als Archäologe ist das ja nicht etwas, das heute stattfindet. Sondern Klimawandel hat immer stattgefunden.“ Das Problem heute jedoch sei die Schnelligkeit. „Das ist etwas, was es so noch nicht gegeben hat. Die Schnelligkeit und die Extremheit des Klimawandels.“

Reepmeyer sagt, es habe immer langfristige Phasen der Anpassung gegeben – aber eben über 300 oder 400 Jahre, und nicht wie zurzeit über 30 oder 40 Jahre. Und die seien sehr erfolgreich gewesen. Als Beispiel nennt er die Entwicklung im Inselstaat Tonga, wo er seit 2010 arbeitet. Zur Zeit der frühesten Besiedlung des südlichen Pazifiks habe es vor rund 2900 Jahren eine intensive Kolonialbewegung in Tonga gegeben, das – wie Reepmeyer sagt – mit Samoa und Fidschi das Kerngebiet Polynesiens bildet. Diese Kolonialbewegung habe jedoch abrupt geendet, was auch mit dem damaligen Klimawandel in Verbindung gebracht werde.

Archäologie im Pazifik
Die Archäologin Dr. Annette Kühlem forscht für die Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) des Deutschen Archäologisches Institut (DAI) in Bonn unter anderem auf der Osterinsel (Chile).  © DAI | Rapa Nui

„In dem Fall geht es jedoch im Gegensatz zu heute um eine Senkung des Meeresspiegels. Daraus bildeten sich bestimmte Veränderungen am Riffsystem heraus. Und das veränderte die Ressourcen, die den Menschen zur Verfügung standen“, sagt Reepmeyer. Und daraufhin zogen die Bewohner von den Küsten ins Landesinnere. „Die Besiedlung war ursprünglich sehr maritim orientiert. Aber da ihre Ressourcen weg sind, müssen sich die Menschen umorientieren“, sagt Reepmeyer.

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Inselbewohner brachten sich vor Tsunami in Sicherheit

Ähnliche Beispiele gebe es zu der Zeit auf der Insel Palau im westlichen Pazifik, wo die Menschen nach der Migration in Landesinnere eigene Technologien zur Wasserwirtschaft entwickelten und Terrassen anlegten. „Wasser war immer eines der größten Probleme“, sagt Reepmeyer. „Die einzige Möglichkeit, Frischwasser zu bekommen, ist der Regen. Wenn dieser gar nicht mehr fällt oder zu häufig fällt, müssen die Menschen reagieren.“

Die Meeresspiegelsenkung in der Südsee fand bis ungefähr 500 v. Chr. statt. Danach wurde es wärmer und der Meeresspiegel stieg wieder an bis ungefähr um 500 n. Chr. Anschließend setzte eine kleine Eiszeit ein, die sich jedoch nur mäßig auf das Klima und den Meeresspiegel auswirkte.

Während dieser Zeit gab es im Pazifik vor allem zwei unterschiedliche Migrationsbewegungen: Entweder zogen die Menschen auf eine Insel, auf der die Voraussetzungen besser waren, oder sie verlagerten ihre Dörfer und Siedlungen um ein paar Kilometer und änderten ihre Lebensweise – so wie in Tonga. „Die Menschen wussten: Wenn ein Tsunami kommt, dann bin ich in den höheren Lagen eben sicherer“, sagt Reepmeyer. „Es geht aber auch um Versalzungen der Küstenbereiche und Mehrfachüberschwemmungen durch Stürme.“

Osterinsel: So gelang die Anpassung an Klimaveränderungen

Das trifft zum großen Teil auch auf die Osterinsel im östlichen Pazifik zu – nur mit einer speziellen Herausforderung: „Es gab keine Möglichkeit weiterzuziehen“, sagt die Archäologin Annette Kühlem, die seit 2010 für das DAI auf der von den Einheimischen Rapa Nui genannten Insel arbeitet. „Nach der ursprünglichen Besiedlung ab ungefähr 650 n. Chr. standen keine Bäume zur Verfügung, um hochseetüchtige Boote zu bauen.“ Die entsprechenden Baumarten habe es auf der Insel nicht gegeben, so Kühlem. „Abwanderung war also keine Option.“

Kühlem forscht unter anderem zum „prähistorischen Ressourcenmanagement“ auf der Insel, die heute zu Chile gehört. „Es geht ganz konkret um Wasser, was auch auf der Osterinsel eine sehr seltene und sehr wertvolle Ressource war und auch immer noch ist“, sagt sie.

Die Osterinsel ist von der Fläche her so groß wie Berlin. Rund 8000 Menschen leben heute dort – ungefähr so viele wie damals auch, so Kühlem. Und da die Bewohner nicht wie andere Inseln im pazifischen Raum in die oft über Tausende Kilometer bestehenden Netzwerke eingebunden waren, „entwickelten sie Mechanismen, um sowohl auf Klimaveränderungen als auch menschengemachte Veränderungen des Ökosystems zu reagieren“, sagt die Forscherin.

Aerial view of tropical island surrounded by pristine blue water and coral reef in Tonga
Im pazifischen Inselstaat Tonga hatten die Einwohner früher keine Möglichkeit zum Auswandern. So blieb ihnen nur die Anpassung an die Klimaveränderungen. © Getty Images | Philip Thurston

Ein einmaliges Phänomen sind die Großanlagen zur Erosionskontrolle. Denn nach der Abholzung des ehemals heimische Palmenwaldes, beginnend um 1200 n. Chr., musste die Fläche, die für Landwirtschaft und Gartenbau geeignet war, anders vor Wind, Regen und starker Sonneneinstrahlung geschützt werden. „Es gab eine große Bodenerosion, und da mussten die Menschen erfinderisch werden“, so Kühlem. „Und da hat man eben – und das gibt es nirgends anders im Pazifik – schon zeitgleich zur Abholzung riesige sogenannte Steinmulchen aus porösem Vulkanstein ausgelegt.“ Steinmulchen, so Kühlem, bestehen aus „meist kindskopfgroßen Steinen“. „Sie wurden im flachen Terrain ausgelegt, und das kann man heute noch sehr gut in der Landschaft sehen. Denn wir reden von über einer Milliarde Steinen.“

Vulkanstein: Uralte Planztechnik zur Coronapandemie wiederentdeckt

Zusätzlich gaben die Menschen auf Rapa Nui organisches Material in die Böden – zum Beispiel Holzkohle –, um die Böden fruchtbarer zu machen. „Da kamen dann Setzlinge rein, zum Beispiel für Süßkartoffeln, und dann wurde die Fläche mit den porösen Vulkansteinen abgedeckt, zwischen denen die Pflanzen hindurchwachsen konnten.“ Als zuletzt während der Corona-Pandemie weniger Versorgungsflugzeuge mit Früchten und Gemüse auf die Osterinsel kamen, sagt Kühlem, sei die alte Technik wieder eingeführt worden. Eine lokale Archäologin hatte sie vorher wiederendeckt, mit ihr experimentiert „und eine ganz gewaltige Ertragssteigerung“ festgestellt.

Vor allem aber die extremen Wetterlagen beschäftigten die Menschen auf der Osterinsel. Und das teils so sehr, dass sie diese in ihre Mythen und Erzählungen aufnahmen. „Wir haben auf der Osterinsel aus archäologischer Perspektive eine ganz tolle Situation“, sagt Kühlem. „Zu dem Fundort, an dem wir arbeiten, gibt es eine Legende. Und diese handelt von einer extremen Flut.“

Archäologie im Pazifik
Archäologie-Forschung in der Südsee: Dr. Christian Reepmeyer ist stellvertretender Direktor der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) des Deutschen Archäologisches Institut (DAI) in Bonn. © DAI | DAI

Der Fundort Ava Ranga Uka A Toroke Hau im Zentrum der Osterinsel liege in der Weitung eines Trockenbachlaufs, sagt Kühlem. „Und bei der Legende ist die Rede davon, dass ein kleines Mädchen allein zu Haus geblieben ist. Dann gab es einen Extremregen, und die Hütte wurde weggespült“, so die Archäologin. „Und an dem Ort haben die Eltern dann den schwimmenden Leichnam ihrer Tochter gefunden. Jedem auf der Insel sei diese Geschichte bekannt.“

„Wir haben dann unsere Ausgrabungen gemacht und tatsächlich ein solches Extremregenereignis nachweisen können. Natürlich können wir nicht hundertprozentig sagen, dass es sich dabei um die Legende handelt. Aber wir haben selten eine orale Tradition, die sich so eng mit wissenschaftlichen Daten verbinden lässt.

Moai-Statuen auf der Osterinsel: Darauf weisen sie hin

Auch die Politik und die Religion der südpazifischen Gesellschaften waren von klimatologischen Voraussetzungen geprägt. Es gab starke Hierarchien, vergleichbar mit den Kaisern von Gottes Gnaden des europäischen Mittelalters, sagt Kühlem. „Die polynesischen Eliten stehen im direkten Zusammenhang mit dieser göttlichen Sphäre. Das zeigen auf der Osterinsel die Moai-Statuen, die als vergöttlichte Ahnen gelten.“ Bergbäche und Quellen würden zu heiligem Wasser, zu dem nur bestimmte hierarchische Gruppen Zugang hätten. „Und wer sich nicht entsprechend der Regeln verhält, der muss harsche Konsequenzen über sich ergehen lassen“, sagt Kühlem.

Moai stone sculptures at Rano Raraku, Easter island, Chile.
Die Moai-Steinskulpturen in Rano Raraku auf der zu Chile gehörenden Osterinsel. Was verraten sie uns über den Klimawandel? © picture alliance / Zoonar | Peter Kastelic

„In Tonga ist es genau das Gleiche“, sagt Reepmeyer. „Die Lords von Tonga stehen in einer Abfolge von Herrschern, die über die Jahrzehnte mehr und mehr göttlich werden.“ Und im Vergleich zur heutigen, westlich geprägten Welt hatten sie offenbar mehr Spielraum. „Anstelle in Stein- und Betonbauten an der Küste lebten die Menschen nun mal in flexiblen Gebäuden im Inland“, so Reepmeyer. Damit seien sie resilienter gewesen.

„Unsere heutigen Gesellschaften und Wirtschaftssysteme sind extrem abhängig von den küstennahen Infrastrukturen, die jetzt durch den Klimawandel gefährdet sind. Die Veränderungen erfolgen zudem in einer Geschwindigkeit, die kaum noch Raum für Anpassung lässt“, sagt Reepmeyer. Das sei eine Entwicklung, die es so in der Archäologie bislang nicht gegeben habe. „Doch diese Erkenntnis allein hilft nicht weiter – man kann den Leuten schließlich nicht vorschlagen, ganze Lebensräume ins Gebirge zu verlagern.“ Es bleibt jedoch der Eindruck, dass es hilft, flexibel und offen für Ideen zu sein, wenn es drauf ankommt – und Entwicklungen nicht kategorisch abzustreiten, die längst erwiesen sind.