Berlin. Viele Paare verlieren nach Jahren die Lust aneinander. Eine Expertin erklärt, was meist das Problem ist und wie Sie es lösen können.

Der Liedermacher Konstantin Wecker singt treffend: „Wer nicht genießt, ist ungenießbar“. Genuss ist wichtig – nicht nur, wenn es um ein leckeres Essen oder ein gutes Glas Wein geht, sondern auch für ein erfülltes Sexualleben. Warum das so ist, erklärt eine Conscious Sexuality Coachin. Ihr Ziel: Ihre Klienten sollen zu erfüllender, „bewusster Sexualität“ finden.

Nähe als Liebestöter? Ein noch immer verbreiteter Irrglaube

Viele Paare erleben es: Die ersten Jahre einer Beziehung sind meist von Leidenschaft und Romantik geprägt. Doch dann lässt die Lust nach. Bei einer Studie der Universität Göttingen aus dem Jahr 2005, an der fast 13.500 Personen teilnahmen, gab mehr als die Hälfte an, höchstens einmal pro Woche Sex zu haben. Weitere 17 Prozent hatten in den letzten vier Wochen überhaupt keinen Geschlechtsverkehr. Auch bei der Folgestudie 2016 gaben Paare ihre Sexualität als eines der häufigsten Probleme an.

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Die üblichen Erklärungen? Stress, Alltagsroutine, Zeitmangel – und teils noch immer verbreitete Annahme, dass zu viel Nähe in langjährigen Beziehungen die Leidenschaft erstickt. Doch Maria Kehr, Conscious Sexuality Coach aus München, die mit Sexological Bodywork, einer Form des körperorientierten Sexualcoachings, und Tantra arbeitet, widerspricht dieser These: „Nicht zu viel Nähe ist das Problem, sondern ein Mangel an echter Intimität.“

Viele Paare verlieren laut Kehr die Intimität, weil sie falsche Erwartungen haben und unter Leistungsdruck stehen. Hinzu komme ein verzerrtes Selbstbild, das den eigenen Körper kritisch sieht und nicht als Quelle von Lust und Sinnlichkeit wahrnimmt. „Unsere Körper und Köpfe sind voller Anspannung. Das verhindert Nähe und Intimität, auch wenn wir uns danach sehnen“, erklärt die Expertin.

Sex-Coaching kennt wirksames Mittel gegen Lustlosigkeit

Doch es gibt Gegenmittel, die partnerschaftliche Sexualität und Intimität wiederbeleben können. Das Wirksamste ist laut Sexualcoachin Maria Kehr die Sinnlichkeit. „Sinnlichkeit ist frei von Leistungsdenken. Sie hat kein Ziel und ist bedingungslos“, erklärt sie.

Statt Druck und Erwartungen aufzubauen, wie es bei leistungsorientiertem Sex oft der Fall ist, wirke Sinnlichkeit wie ein Ruhepol, der dem Körper hilft, loszulassen und wieder echte Empfindungen wahrzunehmen. „Erst wenn wir uns sicher und entspannt fühlen, ist der Körper bereit, sinnlich-sexuelle Reize voll aufzunehmen. Alles, was wir mit dieser inneren Qualität erleben, wird dadurch reicher und intensiver“, betont die Expertin.

Expertin rät: Wer sinnlich sein will, muss seinen Körper spüren lernen

Sinnlichkeit beginnt bei sich selbst – doch das Bewusstsein für den eigenen Körper ist nicht jedem automatisch gegeben. „Um wirklich sinnlich zu sein, muss man lernen, den eigenen Körper bewusst wahrzunehmen und zu spüren“, sagt Kehr. Diese Fähigkeit erfordere Übung und spielerisches Experimentieren. „Es geht darum, angestauten Stress loszulassen und Sexualität dort zu erleben, wo sie tatsächlich stattfindet – im eigenen Körper.“

Die Sexualcoachin beobachtet, dass viele Menschen beim Sex gedanklich oft nicht bei sich sind, sondern sich darauf konzentrieren, wie sie auf den Partner wirken und wie gut sie auftreten. Oder sie betrachten ihren Körper von außen und vergleichen ihn mit einem unrealistischen Ideal. „Diese Fokussierung blockiert die eigene Wahrnehmung und führt dazu, dass echte Empfindungen gar nicht erst entstehen können“, warnt die Expertin.

Achtsame Berührung statt Leistungsdruck: So wird der Sex wieder erfüllend

Um diese mentale Distanz und innere Anspannung zu überwinden, rät Sexualcoachin Maria Kehr, den Fokus beim Sex vom Leistungsdenken auf das bewusste Spüren und Genießen zu verlagern. „Es geht darum, wahrzunehmen, wie sich Berührungen wirklich anfühlen, und diese Momente in Ruhe auszukosten“, erklärt Kehr. Statt sich auf den schnellen Orgasmus zu fixieren, sollte man sich also vor allem Zeit lassen. „Alles, was wir langsam tun, erleben wir intensiver“, so Kehr. „Unsere konventionelle, schnelle Sexualität mag im Kopf aufregend wirken, doch die Körper bleiben dabei auf der Strecke, denn unser Empfindungsreichtum wird regelrecht erstickt.“

Kehr rät außerdem dazu, auf Sexspielzeug zu verzichten und stattdessen die eigenen Hände, Lippen und Körperteile neu zu erkunden. „Weniger ist oft mehr. Achtsame Berührungen haben das Potenzial, intensive sinnlich-sexuelle Empfindungen hervorzurufen“, sagt die Expertin. So entsteht Raum für echte Sinnlichkeit – und der Körper kann Berührungen in ihrer ganzen Tiefe spüren.

Verantwortung für die eigene Lust übernehmen

Ebenso wichtig ist es laut Sexualcoachin Maria Kehr, sich von der Vorstellung zu lösen, dass der Partner allein für das eigene sexuelle Glück verantwortlich ist. Aussagen wie „Er berührt nicht richtig“ oder „Sie ist nicht orgasmusfähig“ greifen nach Ansicht der Expertin zu kurz. „Natürlich spielen diese Faktoren eine Rolle, aber unser Einfluss auf unser sexuelles Empfinden ist viel größer, als wir denken“, betont Kehr.

Mit einer verfeinerten Selbstwahrnehmung könnten Paare entdecken, wie vielfältig und aufregend ihre Gefühlswelt tatsächlich ist. Körperorientierte Antworten auf Fragen wie „Wer bin ich in meiner Sexualität“ und „Was weckt in mir Lust, was lässt mich tiefe Verbundenheit spüren“ könnten helfen, die eigenen Bedürfnisse kennen zu lernen. Nur wer sich selbst kenne, könne dem Partner offen mitteilen, was er brauche.

Bedürfnisse offen ansprechen – und zuhören

Damit das Äußern der eigenen Wünsche fruchtet, muss natürlich auch das Gegenüber bereit sein, sich darauf einzulassen. „Leider fällt es vielen Menschen schwer, offen und spielerisch auf die Wünsche des Partners einzugehen“, beobachtet die Sexualcoachin Maria Kehr. Ein guter Einstieg sei, sich gegenseitig zu fragen: „Was empfindest du, bei dieser Berührung?“ Zusätzlich gehe es darum, langfristig auf die Bedürfnisse des Partners einzugehen. Es gehe um ein faires Geben und Empfangen, gegenseitige Fürsorge und die Bereitschaft, eigene Bedürfnisse situativ zurückzustellen.

Kehr ermutigt Paare auch, sich von alten Glaubenssätzen und festgefahrenen Vorstellungen über Sexualität zu lösen: „Vieles, was wir über Sexualität gelernt haben, ist Unsinn. Das gilt für uns alle. Erst wenn wir bereit sind, ohne Angst und Scham neu anzufangen, können wir wirklich etwas verändern.“ Der Weg dorthin sei nicht immer einfach, eröffne aber Raum für eine tiefe Verbundenheit: „Die Sehnsüchte und Verletzungen, die sich angestaut haben, können verschwinden – und Platz machen für eine erfüllte Ruhe und Nähe in der Beziehung.“, fasst die Expertin zusammen.