PARIS. Der Clearstream-Skandal in Frankreich weitet sich immer mehr zu einem Thriller aus. Nun steht nicht mehr nur Rufmord an Politikern und Topmanagern im Raum, sondern Mord. Rüstungsmagnat Jean-Luc Lagardère soll umgebracht worden sein. Nach offiziellen Angaben starb der Industrielle im März 2003 an den Folgen einer Hüftoperation.
Am Freitag veröffentlichte "Le Parisien" das Schreiben der Richterin Dominique de Talance an die Clearstream-Ermittler. Sie zitiert darin Bemerkungen, die Jean-Louis Gergorin, Chefstratege des Luftfahrt- und Rüstungskonzerns EADS, im April 2004 gegenüber Talances Kollegen, Ermittlungsrichter Renaud van Ruymbeke gemacht habe: Frankreichs Rüstungsindustrie sei "in den Händen der russischen Mafia". Lagardère sei ermordet worden, er selbst fürchte um sein Leben und werde ständig von Leibwächtern begleitet.
Van Ruymbeke ermittelte im Fall von riesigen Schmiergeldzahlungen, die 1991 den Verkauf französischer Kriegsschiffe an Taiwan begleitet hatten. Im Zusammenhang damit hatte es mysteriöse Todesfälle unter Geheimdienstlern und taiwanesischen Soldaten gegeben. Van Ruymbeke sagte, er habe von dem EADS-Mann Listen des Unternehmens Clearstream mit geheimen Schwarzgeldkonten von Politikern und Managern zugespielt bekommen - was Gergorin, ein enger Vertrauter von Regierungschef Dominique de Villepin, bestreitet.
Immer stärker geraten Villepin und Präsident Jacques Chirac ins Zwielicht. Chirac soll den Geheimdienstgeneral Philippe Rondot angewiesen haben, den Wahrheitsgehalt der Schwarzgeld-Vorwürfe herauszufinden, was der Staatschef dementiert. Und Villepin soll spätestens im Juli 2004 begriffen haben, daß die in Paris kursierenden Clearstream-Listen gefälscht waren und seinen daraufstehenden Erzrivalen Nicolas Sarkozy zu Unrecht verdächtigten. Doch er stoppte die üblen Gerüchte demnach nicht.
Um die Tragweite der Affäre weiß Villepin schon lange: "Wenn wir, der PR (Abkürzung für den Präsidenten der Republik) und ich, auftauchen, fliegen wir raus", heißt es in einer Notiz, die Rondot nach einem Treffen mit ihm am 19. Juli 2004 anfertigte. Rondots Aufzeichnungen druckte "Le Monde" jetzt in Auszügen.