Heidenau. „Wir werden euch bestrafen“: SPD-Chef richtet so deutliche Worte an Urheber rassistischer Übergriffe wie sonst kein Regierungsmitglied.
Die Luft ist stickig in der weitläufigen Halle, die Stimmung unter den Flüchtlingen gedämpft. Dicht an dicht stehen die schmalen Pritschen auf nacktem Betonboden, einige Männer dösen unter Schlafsäcken. Jeweils ein paar Dutzend der Feldbetten sind mit weißen Planen abgetrennt. Gleich am Eingang ist mit einem rot-weißen Absperrband eine Spielecke markiert, auf dem Boden kauern drei Mädchen und sortieren Bauklötze. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zieht die Augenbrauen hoch, als er die gerade erst bezogene Flüchtlings-Notunterkunft in dem ehemaligen Baumarkt in Heidenau bei Dresden betritt. „Das ist nicht das, was wir uns unter einer angemessenen Unterkunft vorstellen“, wird der Vize-Kanzler später kritisch sagen.
Eigentlich wollte Gabriel an diesem Mittag zu Beginn einer zweitägigen Sommerreise Vorzeigeunternehmen der Mikroelektronik-Branche in Dresden besuchen. Jetzt hat er wegen den Ausschreitungen vor der Flüchtlingsunterkunft sein Programm geändert. Was er sieht, bedrückt ihn sichtlich: 300 Menschen sind hier schon untergebracht, 600 sollen es werden, Toiletten und Waschgelegenheiten sind bislang knapp. Es dauert eine Weile, dann scharen sich immer mehr Flüchtlinge um den Minister. Der 25-jährige Ahmed aus dem Jemen erzählt von seiner einjährigen Flucht, die ihn 5000 Dollar gekostet und zwischendurch vorübergehend ins Gefängnis gebracht habe. Vor zwei, drei Tagen sind Ahmed und die anderen hier im sächsischen Heidenau angekommen, empfangen von randalierenden Neonazis, die den Einzug der Flüchtlinge verhindern wollten. In zwei aufeinanderfolgenden Nächten bewarfen mehrere Hundert Rechtsradikale und Rassisten Polizeibeamte mit Steinen, Flaschen und Böllern, zeitweise blockierten sie die Zufahrtsstraße.
Gabriel wird richtig deutlich
Die Krawalle haben nicht nur deutschlandweit Empörung ausgelöst, sie haben auch die Flüchtlinge stark verunsichert. „Wir hatten gedacht, wir kämen hier in Sicherheit“, sagt der 20-jährige Hasson Hussuni aus Afghanistan, „jetzt haben wir Angst“. Als sie bei ihrer Ankunft die Randalierer sahen, hätten sie den Busfahrer gebeten, wieder umzudrehen – vergeblich. Hasson will schnell in eine andere Stadt. Hier traut er sich allenfalls an das Absperrgitter, das die Polizei um das Gebäude gezogen hat – an einen Gang in die Stadt sei nicht zu denken.
Als Gabriel die Unterkunft verlässt, richtet er so klare Worte an die Adresse der Randalierer, wie sie noch kein Regierungsmitglied gefunden hat: „Keinen Millimeter dem rechtsradikalen Mob“, sagt der Minister, „das ist Pack, die haben mit Deutschland nichts zu tun“. Für sie gäbe es nur eine Antwort: Polizei, Staatsanwaltschaft und wo möglich Gefängnis. „Wir sagen ihnen: Ihr gehört nicht zu uns. Wo wir euch kriegen, werden wir euch bestrafen und hinter Gitter bringen.“ Neben Gabriel steht der Heidenauer Bürgermeister Jürgen Opitz und nickt. Er spricht von einer „angespannten Stimmung“. Opitz ist von den Behörden erst 48 Stunden im Voraus über die Ankunft der Flüchtlinge informiert worden. „In so kurzer Zeit kann man die Bürger nicht mehr mitnehmen“, sagt er. Versucht hat er es dennoch. Sein Appell, die Flüchtlinge herzlich willkommen zu heißen, hat ihm üble Pöbeleien von Rechtsradikalen eingetragen.
Gabriel lobt den Bürgermeister für seine Zivilcourage, verspricht Unterstützung. Opitz hofft, den Imageschaden für die kleine Industriestadt mit knapp 17.000 Einwohnern noch abwenden zu können. „Heidenau ist anders“, versichert er. Jeder Politikerbesuch, der das unterstreiche, sei willkommen. Wenn es nach dem Bürgermeister geht, soll gern auch die Kanzlerin anreisen: am Mittwoch ist Angela Merkel ohnehin in der Region zu Besuch – dass sie nach Heidenau kommt, gilt dennoch als unwahrscheinlich.
Der SPD-Chef dagegen nutzt die Gelegenheit, um politisch Zeichen zu setzen. Aber das Thema treibt ihn schon lange um. Gabriel hat eine Reihe von Flüchtlingsheimen besucht, für nächste Woche lädt die SPD ehrenamtliche Flüchtlingshelfer nach Berlin ein, um ihr Engagement zu würdigen.
Gabriel fordert gerechte Verteilung der Flüchtlinge
Von den erwarteten 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr, werden nach Gabriels Rechnung 500.000 bis 600.000 wohl in Deutschland bleiben. „Wir müssen ihnen eine neue Heimat bieten, viele von ihnen sind ja auch eine Chance für unser Land.“ Der Minister mahnt ungeduldig, der Bund müsse jetzt sehr schnell die Kommunen finanziell stärken und auch eigene Liegenschaften als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung stellen. Erneut fordert er eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU. Doch hierzulande gehe es um eine doppelte Integrationsaufgabe. Nicht nur die Flüchtlinge müssten eine Chance etwa zur Qualifizierung erhalten, sondern auch die einheimischen Bürger. Gleiches gelte für Wohnungen. In seinen Gesprächen hört er, wie entsetzt viele über die Proteste sind – aber gleichzeitig besorgt, was die Flüchtlingswelle an Unsicherheit für das eigene Leben bringe.
Die Proteste gegen die Flüchtlinge, meint Gabriel versöhnlich, seien nicht nur ein ostdeutsches Problem. Rechtsradikale Einstellungen gebe es auch in Westdeutschland. Entscheidend sei, dass die Mitte der Gesellschaft dagegen halte. Bürgermeister Opitz freilich meint, dass angesichts einer starken rechtsradikalen Szene in der Region Heidenau einfach „dran“ gewesen sei als Aktionsplatz von Neonazis.
Und der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), der Gabriel begleitet, erklärt, die Pegida-Proteste in Sachsen hätten den Nährboden für solche Krawalle gelegt. „Hier haben einige Menschen leider das Gefühl, sie dürften es tun.“